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D’arvan sah das Einhorn an. Das wilde, schöne Geschöpf schnaubte und scharrte auf dem Boden, wobei es in kleinen Explosionen von Sonnenlicht feuchtes Erdreich in die Luft schleuderte. Dann trottete es zu dem Magusch hinüber und legte den Kopf auf seine Schulter, und seine großen, dunklen Augen waren unergründliche Teiche des Kummers. D’arvan schlang die Arme um seinen starken, gewölbten Nacken unter der üppigen Mähne, und Tränen schnürten ihm die Kehle zu. »O meine Liebste«, murmelte er, »wie sehr ich dich vermissen werde.« Das unsichtbare Einhorn schnaubte und warf seinen Kopf zurück.

»Du hast recht«, sagte D’arvan. »Ich sollte mich besser gleich an die Arbeit machen.«

Dann drehte er sich um, hob den Stab der Lady Eilin und begann, den Wald zu rufen.

23

Der Dämon

Der Lärm der aufgeregten Menge drang bis in den hintersten Winkel. Auf den langen Reihen von Marmorbänken drängten sich dicht an dicht schwitzende Menschenleiber. Die Erregung hatte ihren Höhepunkt erreicht, und die Menge teilte ihre Aufmerksamkeit zwischen dem sandbedeckten, runden Kampfplatz inmitten des gewaltigen Steinbaus des Stadions und dem blumengeschmückten, königlichen Balkon. Dort saßen der finster dreinblickende Khisal, der rechtmäßige Erbe des Throns, und der lächelnde Khisu Xiang mit seiner neuen Königin, der Khisihn, deren Hochzeit heute gefeiert wurde. Die Menge glotzte mit großer Neugier zu dem Balkon hinauf. Es war tatsächlich ein Tag der Wunder – daß der Khisu, der so lange mit seinem Harem voller Schönheiten zufrieden gewesen war, nun doch noch eine andere Dame zu seiner Gemahlin erhoben hatte, die den Platz der alten Königin einnehmen sollte, die nun schon seit vielen Jahren tot war. Die Gerüchte wollten wissen, daß sie von des Khisus eigener Hand ermordet worden war.

Runzlige, scharfsinnige alte Weiber nickten einander weise zu. »Der junge Prinz muß jetzt sehr vorsichtig sein«, sagten sie. »Er hat nie die Gunst seines Vaters gehabt. Wenn die neue Königin einen Sohn zur Welt bringt, wird sich Khisal Harihn ganz schnell in einem Sack am Grund des Flusses wiederfinden, so wie seine Mutter.«

Sie beobachteten die frühen Kämpfe mit wenig Aufmerksamkeit und noch weniger Geduld, denn sie warteten darauf, daß das eigentliche Vergnügen endlich begann. Heute sollte ein neuer Krieger kämpfen. Ein fremder Krieger – und, der Schnitter bewahre uns, eine Frau! Eine Zauberin, so wild wie der Schwarze Dämon selbst. Gerüchten zufolge hatte sie weiter flußabwärts ein ganzes Dorf in Schutt und Asche gelegt. Und wegen dieser Geschichte hatte sich die Arena an diesem Tag schon früh gefüllt. Draußen vor dem Tor wurden noch immer Hunderte von enttäuschten Schaulustigen abgewiesen.

Im Hof der Krieger, unterhalb der steinernen Zuschauerreihen, war es schattig und kühl. Aurian stand allein in einer Ecke und ging Forrals Übungen durch, um ihren Körper und ihren Geist auf die bevorstehende Prüfung vorzubereiten. Es fiel ihr schwer, die Angst um ihr Kind zu unterdrücken, denn sie wußte, daß die Anstrengungen und Risiken dieses Tages möglicherweise das Ende für das unglückliche kleine Würmchen bedeuten konnten. Wenn sie doch nur ihre Magie hätte, dann wäre sie vielleicht in der Lage gewesen, es zu beschützen, aber wie die Dinge lagen …

»O Chathak«, betete sie, »beschütze dieses Kind, ein Kind von Kriegern.«

Aurian war sich verschwommen der Tatsache bewußt, daß die Blicke der anderen Kämpfer neugierig auf sie geheftet waren. Sie waren Fremde füreinander, die voneinander ferngehalten wurden, damit sich keine unerwünschten Freundschaften zwischen ihnen entwickeln konnten. Sie begegneten einander nur in streng überwachten Trainingsrunden, und selbst dann durften sie nicht miteinander reden. In den letzten Wochen hatte Aurian mit einigen dieser Männer trainiert und sogar Eliizar mit ihren Fähigkeiten erstaunt. Abgesehen vom Training hatte sie ihre Tage überaus angenehm verbracht, mit essen, ausruhen und so manchem erfrischenden Bad in dem großen Schwimmbassin der Arena. Sie war so gut vorbereitet, wie sie es nur sein konnte. Nun verdrängte sie alle Gedanken an ihr früheren Begleiter und sogar an ihr Kind, um die innere Ruhe und Gelassenheit zu finden, die sie brauchen würde, um ihr Leben zu retten und ihre Freiheit wiederzugewinnen – denn trotz Eliizars Warnung war sie fest entschlossen, das zu versuchen.

Trotz seines anfänglichen Widerstrebens war Eliizar ihr ein Freund geworden, ebenso wie seine plumpe, mütterliche Frau Nereni, die sich um Aurian, den einzigen weiblichen Krieger, kümmerte. Bei ihren Gesprächen hatte Aurian herausgefunden, daß Eliizar einst ein Offizier der Königlichen Garde gewesen war. Bei einem Mordanschlag auf den Khisu hatte er ein Auge verloren, nachdem er ganz allein alle vier Angreifer getötet hatte. Da Krüppel in der Khazalim-Gesellschaft nicht toleriert wurden, hatte Eliizar nur die Wahl gehabt, in die Sklaverei zu gehen oder mit seiner geliebten Frau zusammen zu sterben. Glücklicherweise war jedoch Xiang in einer seltenen Geste der Dankbarkeit eingeschritten, und Eliizar hatte zur Belohnung den Posten des Schwertmeisters der Arena bekommen. »Und es war eine grausame, hinterhältige Belohnung«, hatte er Aurian gestanden. »Ich bin gezwungen, zum Vergnügen eines blutdurstigen Pöbels starke, junge Krieger in den Tod zu schicken. Wie kann ein Mann mit so etwas leben und nachts trotzdem noch schlafen? Und doch habe ich keine andere Wahl, als hierzubleiben. Diesen Posten zu verlassen würde Tod oder Sklaverei bedeuten, auch für die arme Nereni. Wahrhaftig, ich hasse den Khisu für das, was er mir angetan hat.«

»Bist du bereit?« Eliizars Stimme holte Aurian in die Gegenwart zurück. Gerade wurden die großen Holztüren geöffnet, die auf den Platz des Mordens hinausführten. Ein Krieger humpelte hindurch, gestützt von zwei Helfern und aus mehreren Wunden blutend. Zwei bewaffnete Arenawächter trugen seinen Gegner, einen zerfetzten, blutigen Leichnam. Aurian erkannte die verzerrten Gesichtszüge eines tapferen, lachenden jungen Mannes, gegen den sie erst vor zwei Tagen im Training gekämpft hatte.

Eliizar wischte sich mit zitternder Hand den Schweiß vom Gesicht. »Möge der Schnitter mir vergeben«, murmelte er, und Aurians Herz flog ihm entgegen. Impulsiv legte sie ihm eine Hand auf den Arm.

»Eliizar, du mußt fort von hier. Wenn ich meine Freiheit gewinne, dann kommt ihr, Nereni und du, mit mir nach Norden. Ich werde einen echten Freund und einen guten Krieger brauchen, ob er nun zwei Augen hat oder nur eins.«

Eliizar sah sie voller Erstaunen an und wandte sich dann ab, als der große Gong erklang, um die Magusch zum Kampf zu rufen. »Vergib mir, Aurian«, flüsterte er.

»Da gibt es nichts zu vergeben«, sagte Aurian leichthin. »Wenn dies für mich der einzige Weg in die Freiheit ist, dann würde ich ihn in jedem Falle allem anderen vorziehen. Ich sehe dich später, Eliizar – und denk nach über das, was ich gesagt habe. Ich habe es ernst gemeint.« Sie gab ihm einen verwegenen Kuß auf seinen kahlen Kopf, dann trat sie hinaus in den Tunnel, wobei sie sich um Gelassenheit bemühte und ein Kriegergebet flüsterte, das Forral ihr vor langer Zeit einmal beigebracht hatte. Sie war bereit. Sie mußte es sein.

Aurian trat aus dem schattigen Tunnel hinaus in das weißglühende Gleißen der Arena. Ein gewaltiges Gebrüll stieg aus dreitausend Kehlen auf und hallte wieder und wieder durch das Stadion, bis auch Aurian davon ergriffen und förmlich emporgetragen wurde. Sie hob ihr Schwert – ihr eigenes Schwert, Coronach, das man ihr zurückgegeben hatte –, um die Menge zu grüßen. Sonnenlicht rann wie flüssiges Feuer über die scharfen Schneiden der Klinge. Aurian hob trotzig den Kopf und warf ihr Haar zurück, das nun zu kurz war, um es zu flechten. Der Gestank von Schweiß, Staub und Blut stieg ihr in die Nase, der Geruch des Kampfes.