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Seit diesem Augenblick hatte er jedoch genug Zeit gehabt, um sein übereiltes Handeln zu bedenken, und wieder einmal fragte er sich, was nur über ihn gekommen sein mochte. Alles, was er bisher aus ihr herausgebracht hatte, war ihr Name – Aurian. Woher war sie gekommen? Was war ihre Geschichte? Wie hatte sie – eine Frau – gelernt, so gut zu kämpfen? Die Tatsache, daß sie eine von den hexengeborenen nördlichen Zauberinnen war, machte ihn sehr nervös, trotz der Armreifen, die sie trug und die, wie man ihm fest versichert hatte, ihre Magie aufhoben. Nicht zum ersten Mal fragte Harihn sich, ob er da nicht einen größeren Bissen genommen hatte, als er schlucken konnte. Er hatte zum Beispiel keinen Augenblick daran gedacht, daß dies bedeuten würde, auch den furchterregenden Dämon bei sich aufzunehmen. Und der Khisu war natürlich schrecklich wütend auf ihn, aber das war nichts Neues.

Bei dem Gedanken an Xiang mußte Harihn allerdings zugeben, daß seine Tat auch ihre Vorteile hatte. Es war äußerst vergnüglich gewesen, diesen Ausdruck höchster Wut auf dem Gesicht seines Vaters und dem seiner Braut zu sehen. Warum hatte sie den Tod der Kriegerin gewünscht? Harihn war davon überzeugt, daß die beiden Frauen mit demselben Schiff gekommen sein mußten. Zwei Fremde, die gleichzeitig in der Stadt auftauchten? Das mußte mehr als nur ein Zufall sein. Er lächelte bei sich. Wenn seine geheimnisvolle Dame ihm Informationen geben konnte, die sich zum Nachteil der neuen Königin auswirken würden, dann hatte er damit vielleicht ein neues und dringend benötigtes Druckmittel gegen den Khisu. Harihns Mund verzog sich zu einer bitteren Grimasse. Der Haß, den sein Vater für ihn empfand, war kein Geheimnis. In der Hinsicht konnte sich diese Aurian tatsächlich als nützlich erweisen. Sie konnte kämpfen wie ein Dämon – das hatte er mit eigenen Augen gesehen –, und sie hatte überdies noch ihren eigenen Dämon, der ihr half. Zusammen waren die beiden ein unglaubliches Paar. Der Khisal lächelte. Vielleicht hatte er, als er sie aus der Arena gerettet hatte, doch die richtige Entscheidung getroffen.

Als Aurian erwachte, war es bereits heller Tag. Der Prinz war verschwunden, und ein Fremder döste auf einem Stuhl neben ihrem Bett. Aurian keuchte. Der Mann war ein Riese. Aber Shia schlief am Fußende des Bettes. Sie hatte sich fest zusammengerollt und ihren Schwanz über die Augen gebreitet – ein eindeutiges Zeichen dafür, daß man ihrem neuen Wächter trauen konnte. Sie fragte sich, ob er ihr wohl etwas zu essen bringen konnte. Ihr Verstand war jetzt ganz klar, aber ihr Inneres zog sich vor Hunger zusammen. Sie streckte die Hand aus, um ihn am Arm zu berühren, und der große Mann schreckte mit schuldbewußtem Gesicht sofort auf. Aurian sah die Furcht in seinen Augen und versuchte instinktiv, ihn zu beruhigen. »Keine Angst«, sagte sie. »Es ist nicht schlimm, daß du geschlafen hast. Alle anderen haben das auch getan.« Sie warf lächelnd einen Blick auf die nichtsahnende Shia. »Nur – ich bin so schrecklich hungrig. Glaubst du, du könntest mir etwas zu essen besorgen? Und etwas Liafa.« Während sie in der Arena gelebt hatte, war sie diesem Zeug regelrecht anheimgefallen. Der Riese sprang auf seine Füße, nickte so kräftig, als wolle er sich seines kahlen Kopfes entledigen, und ein scheues Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht. Aurians Augen weiteten sich. Er mußte beinahe sieben Fuß groß sein, und seine Schultern waren so breit, daß sie sich fragte, ob sie wohl durch die Tür passen würden. Er verbeugte sich und verließ das Zimmer mit einer Geschwindigkeit, die seinen gewaltigen Körper Lügen strafte. Er kehrte schon nach kurzer Zeit mit einen Tablett zurück, das beinahe ebenso breit war wie seine Schulter. Als sie sah, was er da hereintrug, wurde Aurian klar, daß, welche Tageszeit es auch sein mochte, es auf gar keinen Fall Frühstückszeit war. Aber das war ihr gleichgültig – das Wasser lief ihr bereits im Mund zusammen. Es gab eine kräftige Suppe, ein gebratenes Huhn, und abgerundet wurde die Mahlzeit von Früchten, Käse, Honig und dem gewohnten flachen Brot. Auf dem wenigen, was an freier Fläche auf dem Tablett noch übrig war, wetteiferten eine Flasche Wein und ein randvoller Krug Liafa um den letzten Platz. »Also wirklich, das ist ja ein Festessen!« rief Aurian. »Ich danke dir – vielen, vielen Dank!«

Shia, die das Essen gerochen hatte, regte sich, und ihre goldenen Augen hellten sich auf, als sie das Tablett erblickte. Aurian seufzte. Es war ja nicht so, daß sie etwas dagegen hatte, mit ihrer Freundin zu teilen, aber – aber ihr freundlicher Riese hatte sogar daran gedacht. Unter seinen Arm geklemmt, damit er beide Hände frei hatte, um das Tablett zu tragen, hatte er noch einen dicken, in einen Lappen gewickelten Gegenstand. Mit einer schwungvollen Gebärde packte er ihn aus und präsentierte ihn ohne ein Zeichen von Furcht der Katze. Es war eine Keule rohen Fleisches. Zu Aurians maßlosem Erstaunen schnurrte Shia laut und rieb sich das Gesicht an der Hand des Mannes.

»Vielen Dank«, sagte Aurian mit einem Lächeln zu ihm. »Das war sehr aufmerksam. Shia! Nicht auf dem Bett, bitte!«

»Warum nicht? Ich habe auch Hunger.« Shia warf ihr einen düsteren Blick zu und zog dann mit ihrem Fleisch in Richtung Garten ab.

Aurian konnte nicht länger warten und machte sich über das Essen her. »Wie heißt du?« fragte sie den riesigen Mann undeutlich, da sie mit vollem Mund sprach. Er sah sie nur an, schüttelte den Kopf und fuchtelte mit den Händen in der Luft.

»Sein Name ist Bohan. Er kann dir keine Antwort geben, denn er kann nicht sprechen.« Als Harihn eintrat, warf Bohan sich nieder und berührte mit der Stirn den Boden. Der Prinz machte eine lässige Handbewegung, und der Riese verließ den Raum. »Ich habe ihn dazu abgestellt, dir zu dienen und dich zu bewachen. Er ist ein Eunuch, wie es sich gehört.«

»Der arme Mann!« keuchte Aurian. »Wie grausam!«

Harihn machte ein überraschtes Gesicht. »Grausam? Warum? Alle Damen von Stand werden von Eunuchen bedient. Wie sonst könnte die Unantastbarkeit ihrer Person sichergestellt werden?«

Aurian schauderte und dachte an Anvar. Anvar! Großer Chathak, wie hatte sie ihn nur vergessen können?

Der Prinz zuckte mit den Schultern. »Es hat keine weiteren Konsequenzen. Ich denke, er ist zufriedenstellend?« Er machte es sich am Fußende ihres Bettes bequem und nahm sich beiläufig einen Schenkel von ihrem Huhn. Aurian schob sich schnell einen großen Bissen in den Mund, denn sie hatte keine Lust, noch mehr von dem Vogel einzubüßen.

»Wie fühlst du dich?« fragte Harihn, und Aurian würgte, um ihm eine Antwort zu geben. Sie nahm einen Schluck Wein und holte tief Luft.

»Hungrig«, erwiderte sie spitz, bedauerte ihre Grobheit jedoch noch im selben Augenblick. Schließlich hatte sie ihm viel zu verdanken, und im Augenblick war sie außerdem von seinem guten Willen abhängig.

Der Prinz schenkte ihr ein tolerantes Lächeln. Er sah sehr gut aus, dachte Aurian, mit seinem schwarzen, gelockten Haar, den dichten, geraden Brauen und den dunklen, strahlenden Augen. Sein Gesicht war sanfter, weniger eklig und wölfisch als das seines Vaters, aber es zeigte denselben Stolz, und sein Körper war genauso geschmeidig und stark. Dennoch begann sie langsam, sein herablassendes Verhalten äußerst ärgerlich zu finden, und sie mußte sich zwingen, ihr Temperament zu zügeln. »Ich möchte mich entschuldigen, Euer Hoheit«, sagte sie. »Ich fürchte, so kurz nach dem Aufstehen bin ich immer etwas ungenießbar.«

»Du kannst mich Harihn nennen«, sagte er mit dem Tonfall eines Menschen, der einem anderen eine einzigartige Ehre zuteil werden ließ, »und ich habe keine Einwände dagegen, daß du ißt, während wir uns unterhalten.«