Der Prinz stieß eine Salve triumphierenden Gelächters aus. »Ah!« sagte er. »Du zahlst mir meine Investition bereits zurück. Ich habe mich, als ich dich gerettet habe, schon gefragt, ob ihr beide, du und Sara euch kennt. Zwei Fremde, die so kurz nacheinander hier eintreffen – das konnte einfach kein Zufall sein. Ich frage mich, was mein Vater sagen wird, wenn er hört, daß seine kostbare neue Khisihn die Konkubine eines anderen Mannes ist.«
Aurian seufzte. Was für ein Unschuldslamm! »Sara wird sagen, ich sei eine Lügnerin, oder sie wird behaupten, Ihr lügt, und der Khisu wird natürlich seiner Frau glauben, und dann werden wir beide in Schwierigkeiten kommen«, sagte sie ausdruckslos, und Harihn zog ein langes Gesicht. »Was er braucht, sind Beweise. Wenn Ihr doch nur Anvar finden könntet …«
Das Gesicht des Prinzen hellte sich auf. »Beim Schnitter, Lady, du bist wirklich klug! Daran hätte ich nie gedacht. Wie schade, daß du eine fremde Zauberin bist. Du würdest eine viel bessere Königin abgeben als diese Eselin, die mein Vater geheiratet hat! Du bist wahrhaftig wert, mit den Schätzen der Wüste aufgewogen zu werden.« Es schien ein merkwürdiges Kompliment zu sein, aber Aurian ließ es ihm durchgehen. Harihn sprang auf die Füße. »Ich werde sofort einen Mann zum Hafen hinunterschicken – wenn es überhaupt eine Spur gibt, dann kann sie nur dort beginnen.«
»Harihn, ich weiß gar nicht, wie ich Euch danken soll«, sagte Aurian, und Erleichterung malte sich auf ihren Zügen ab. »Sobald ich wieder auf den Beinen bin, werde ich Euch Eure Freundlichkeit zurückzahlen, das verspreche ich. Mit Eurer Erlaubnis werde ich beginnen, Eure persönliche Wache in den nördlichen Kampfkünsten zu unterweisen. Dann habt Ihr den bestmöglichen Schutz, falls Euer Vater jemals einen Schritt gegen Euch unternehmen sollte.« Und wenn ich gehe, dachte sie, hast du immer noch jemanden, der dich beschützt.
»Lady, ich bin dir aus ganzem Herzen dankbar.« Harihn sah sie an, und Dankbarkeit war an die Stelle der alten Arroganz getreten. Aurian begriff, daß er große Angst vor seinem Vater hatte – und daß er sehr allein war. Und nun hatte sie auch noch die Absicht, ihn zu hintergehen, sein Vertrauen zu gewinnen und alle Hilfe anzunehmen, die er ihr bieten konnte – und ihn dann, sobald es möglich war, zu verlassen. In diesem Augenblick haßte sie sich selbst. Wie weit würden sich die Wellen von Miathans Bosheit noch ausbreiten? War es jetzt soweit, daß auch sie, Aurian, von ihnen verschlungen wurde? Aurian zwang sich zu einem Lächeln, aber sie schauderte innerlich und verachtete sich für das, was sie tat.
»Euer Hoheit«, sagte sie, »Es wird mir eine Ehre sein, Euch zu helfen.« Und mögen die Götter mir helfen, dachte sie.
25
Die Gefangenen
Die Nachtfahrer hatten sich in einer sicheren und geheimen Honigwabe von Höhlen ein Zuhause geschaffen – vom Ozean aus war es über einen Tunnel von einer Stelle an der Küste aus zu erreichen, wo die Wellen sich in einer dunklen Öffnung in den Klippen verloren. Dieser unterirdische Kanal, der tief genug für ein Schiff war, öffnete sich zu einer riesigen Höhle. Ein sanft gerundeter Kiesstrand wurde nach hinten immer schmaler und verlor sich schließlich in den tiefen Wassern, bevor er die senkrechte Felswand am hinteren Ende der Höhle erreichte. In dem gewaltigen Bassin lagen vier kleine, schlanke und schnittige Schiffe mit Galionsfiguren, die nach dem Vorbild legendärer Tiere mit Talent und Liebe geschnitzt und bemalt waren. Eine Reihe kleinerer Boote war am Strand vertäut; dieser Strand stieg sanft zu einer breiten Terrasse aus flachem Fels an, und die Wand dahinter war durchlöchert von dunklen Eingängen, die in das Labyrinth von Fluren und Kammern führten, in denen die Schmuggler lebten.
Die Höhle wurde von Lampen und Fackeln beleuchtet, die auf in Fels gehauenen Konsolen standen oder auf hohen Holzpfosten thronten, die fest im Kreis verankert waren. Ihr flackerndes Licht spiegelte sich in den glitzernden Splittern der Glimmererde und den feinen Erzadern in den Wänden wider und fand sein Echo im Funkeln der Tränen in Zannas Augen.
Sie wollte nicht von hier weg. In drei kurzen Monaten war dieser Ort ihr Zuhause geworden. Sie haben mich hier wirklich leben lassen, rechtfertige Zanna sich gegen die Schuldgefühle, die ihre Liebe zu diesem Ort belasteten. Obwohl Dulsinas Schwester Remana freundlich und liebevoll gewesen war, hatte sie nicht versucht, Zanna zu verzärteln, als könne sie zerbrechen. In der geheimen Welt der Nachtfahrer mußte sich jeder nützlich machen.
Zanna hielt am Eingang der massiven Höhle inne, und die Erinnerungen an den Tag, an dem sie hier angekommen war, überfielen sie. Sie war müde und durchgefroren gewesen und hatte nicht wenig Angst gehabt. Trotz Dulsinas Versicherungen hatte der Widerwille, mit dem die Schmugglermannschaft sie akzeptiert hatte, Zweifel in ihr geweckt, ob sie in ihrem Versteck willkommen sein würde. Aber von dem Augenblick an, in dem Vannors Tochter mit dem gereizten Antor auf dem Arm über die federnde Laufplanke in die Welt der Höhle eingetreten war, hatte sich Remana als eine Quelle des Trostes und der Beruhigung erwiesen.
Die große, grauhaarige Frau, älter und stämmiger als ihre Schwester, aber mit derselben aufrechten Haltung, demselben energischen Auftreten und den klugen, zwinkernden grauen Augen, hatte Antor auf den einen Arm genommen und den anderen um das müde Mädchen gelegt. Zannas Versuch, ihr Erscheinen zu erklären, unterbrach sie mit einer Flut energischer, freundlicher Worte.
»Das spielt doch alles keine Rolle, Kind – du siehst vollkommen erschöpft aus. Ich nehme nicht an, daß diese nutzlosen Männer auch nur daran gedacht haben, dir etwas zu essen zu geben, oder? Nein? Das habe ich mir doch gedacht. Männer! Die einzige Möglichkeit, sie zu Verstand zu bringen, ist, ihnen ein Ruder auf den Kopf zu schlagen. Was? Dulsina hat dir einen Brief für mich mitgegeben? O Wunder über Wunder! Ich weiß, es ist nicht leicht, an diesem Ort irgendwelche Nachrichten zu bekommen, aber meine Schwester ist die schlechteste Briefschreiberin, die man sich nur denken kann … So, da wären wir, mein Kind – das ist die Küche –, und wir werden zusehen, daß du im Nu etwas zu essen bekommst und dich aufwärmen kannst …«
Noch während sie das gesagt hatte, hatte Remana die belustigte Zanna durch etwas hindurchgeführt, das ihr damals wie ein Labyrinth aus miteinander verbundenen Höhlen und Tunneln erschienen war. Endlich hatten sie einen niedrigen, überwölbten Eingang am Ende eines Flures erreicht und waren in eine warme, von Wohlgerüchen erfüllte Höhle getreten, die sich als Gemeinschaftsküche erwies. In der Gemeinschaft der Nachtfahrer hatte sogar der Küchendienst seinen Platz. Er war denen überlassen, die für die anstrengenden Arbeiten nicht in Frage kamen: den alten und den ganz jungen. In dieser Hinsicht trug jeder, sogar die Kinder, zum Wohlergehen der eng zusammengeschweißten Gruppe bei. Ein Gefühl der Dazugehörigkeit wurde schon bei den Allerjüngsten geweckt. Es war ein gutes System, fand Zanna – besser als das der Stadt, wo die Armen wie Sklaven gehalten wurden und kleine Kinder und Menschen, die zu alt waren, um noch irgendwelche handwerklichen Arbeiten zu verrichten, in den stinkenden Straßen betteln mußten oder gezwungen waren, sich um des Überlebens willen dem Verbrechen zuzuwenden. Die Küche war erfüllt von fröhlichem Geklapper und hell erleuchtet von vielen Lampen; ihre verrußten Wände erglühten in einem sanften Rot, erleuchtet von dem warmen Licht der Kochherde. Selbst zu dieser frühen Stunde herrschte hier geschäftiges Treiben. Ein blühendes, junges Mädchen, eine von den Ziegenhirtinnen, goß warme, frische Milch in Kannen, die in einem eisigen Becken im hinteren Teil der Höhle standen, wo die See durch einen unterirdischen Riß bis hierher dringen konnte. Ein Junge hockte vor einem Herd und rührte in einem Topf mit Haferbrei. Daneben dampfte ein Kessel voll duftenden Tees, den die Nachtfahrer aus getrockneten Blumen und Seegras gewannen, das oben auf den Klippen wuchs. Ein alter Mann mit knotigen Händen nahm in einer Ecke der Küche Fische aus, und die Früchte seiner Arbeit brieten bereits auf runden Backblechen über einem Feuer, sorgfältig bewacht von seiner Frau. Eine andere alte Frau schlug Möweneier in einer Schale auf, unter den hungrigen Augen eines kleinen Jungen und eines Mädchens, die auf die steilen Klippen geklettert waren und dort diese Eier gesammelt hatten. Das köstliche Aroma frisch gebackenen Brotes lag in der Luft.