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Antor verursachte eine Sensation. Binnen wenigen Sekunden hatte eine lärmende Gruppe entzückter alter Fischersfrauen ihn in ihre Obhut genommen, und er wurde gebadet und gefüttert, verwöhnt und verhätschelt. Remana versicherte sich zuerst, daß niemand in seinem Eifer die Zubereitung des Frühstücks vernachlässigte, und wandte sich dann wieder Zanna zu. Sie wies ihr einen Platz neben dem Feuer zu und reichte ihr eine große Schüssel Haferbrei, eine Tasse mit dampfendem Tee, eine Scheibe von dem warmen, frischen Brot und etwas scharfen Ziegenkäse. Dann schenkte sie sich selbst eine Tasse Tee ein, setzte sich an die andere Seite des Kamins und las, während Zanna frühstückte, Dulsinas Brief.

»Also wirklich! Mein armes, liebes Mädchen, du hast schwere Zeiten hinter dir, nicht wahr?« Zanna errötete unter Remanas forschendem Blick, als die grauhaarige Frau einmal kurz von dem Brief aufschaute. »Mach dir keine Sorgen, mein Kind – wir werden gut für euch beide sorgen, und ihr könnt so lange bleiben, wie ihr wollt. Sei versichert, daß ihr hier willkommen seid, meine Liebe – ja, sogar sehr willkommen.«

Und so begann eine der glücklichsten Zeiten in Zannas Leben. Sie bekam eine Kammer neben der Remanas – ein winziger, mit Vorhängen abgeteilter Schlafraum, den man, wie so viele andere Räume hier, in den Felsen geschlagen hatte. Eine mühsame Arbeit, die nach und nach in den vielen Jahren, in denen die Nachtfahrer in diesem Höhlenlabyrinth lebten, zuwege gebracht worden war. Die wunderbar exzentrischen Möbelstücke waren aus Treibholz gemacht, und auf dem Boden lagen bunte Lumpenteppiche. Dicke gewobene Wandbehänge halfen, die Kälte, die von den dicken Mauern ausströmte, ein wenig einzudämmen, denn nur in der Küche und in den wichtigsten Wohn- und Arbeitsräumen gab es Kamine, die durch natürliche Brüche in den Klippen entlüftet wurden.

»Aber habt ihr denn keine Angst, daß der Rauch gesehen werden könnte?« hatte Zanna Remana gefragt.

»Aber nicht im geringsten, mein Kind. Zum einen bleibt nur sehr wenig Rauch übrig, wenn er erst einmal durch das ganze Felsmassiv gezogen ist, und zum anderen« – Remanas Augen wurden groß und rund, als sie ihre Stimme senkte – »wagt sich niemand jemals an diese verlassene Küste. Weißt du, hier spukt es.«

»Es spukt?« Zanna keuchte.

Remana brach in Gelächter aus. »Zanna, wenn du doch nur dein Gesicht sehen könntest! Es gibt nichts, worüber du dir Sorgen machen müßtest. Es ist lediglich ein riesiger, hoher Stein in der Nähe, oder, um genauer zu sein, am anderen Ende der Bucht – ein großes, hoch aufragendes, schwarzes Ding, das ausgesprochen finster aussieht, vor allem bei Mondlicht. Leynards Großvater, der erste Führer der Nachtfahrer, fand heraus, daß die einheimischen Fischer und Schafhirten furchtbar abergläubisch waren, was diesen Stein betrifft. Daher hat er ein paar ›Gespenster‹ organisiert – du weißt schon, mysteriöse Lichter, die des Nachts um den Stein hüpfen, geisterhafte Stimmen im Wind, der Klang unsichtbarer Reiter, die vorüberziehen – dieser ganze alte Quatsch. Jetzt traut sich keiner mehr in seine Nähe. Aber denk daran …« Einen Augenblick lang hoben sich ihre Brauen zu einem Stirnrunzeln. »Ich muß zugeben, daß die Tiere Angst vor ihm haben, aber wirklich, es gibt keine Grund zur Furcht. Um genau zu sein, sind wir dankbar für den Stein, denn er schenkt uns Sicherheit. Ich wollte dich nur warnen, für den Fall, daß du dort hinauf reitest. Die nähere Umgebung des Steines sollte man besser meiden, wenn man keinen Sturz riskieren will …«

»Ich kann hier reiten lernen?« Zanna, die den Stein bereits vergessen hatte, konnte vor Freude kaum an sich halten.

»Willst du damit sagen, daß dein Vater es dir nicht beigebracht hat?« Remana wirkte schockiert. »Ich habe von Dulsina allerdings gehört, daß Vannor seine Töchter am liebsten in Watte packen würde, aber bei den Göttern, das geht wirklich zu weit. Natürlich kannst du reiten lernen – das ist etwas, das jedes Mädchen können sollte. Später im Jahr, wenn das Wetter besser wird, werde ich dir auch beibringen, wie man segelt …«

Und so kam es auch. Remana, die zu ihrem Wort stand, verlor keine Zeit, sondern erkor schnellstens einen jungen Schmuggler zu Zannas Lehrer, und in kürzester Zeit war sie zu einer unersättlichen Reiterin geworden, die an jedem Tag, an dem es das ungewisse Winterwetter gestattete, mit dem flachsblonden Burschen Tarnal hinausritt. Die Nachtfahrer unterhielten eine Herde schneller, stämmiger, trittsicherer Ponys, die für gewöhnlich wild auf der grasbewachsenen Landzunge herumlaufen konnten. Aber wenn Stürme über die östlichen Küste peitschten, kamen sie auch bereitwillig durch einen schmalen, niedrigen Tunnel, dessen Eingang oben auf den Klippen von einem Stechginsterbusch verborgen wurde, und ließen sich in die Sicherheit der Ställe in den Höhlen führen.

Zanna liebte ihre Ausritte mit Tarnal. Der Blick von den Klippen über den Schmugglerhöhlen war einfach prachtvoll. Unter und rechts von ihnen erstreckte sich ein bleicher, halbmondförmiger Strand zwischen den Klippen und dem leuchtenden Meer. Etwa eine halbe Wegstunde entfernt befand sich auf der gegenüberliegenden Spitze des Halbmondes ein grüner, von einem gewaltigen, finsteren Stein gekrönter Hügel, und dahinter lagen die endlosen, sanften, graugrünen Hügel des öden Moorlandes. Wenn sie auf ihrem geliebten Pony saß, einem zotteligen, fröhlich gescheckten Tier, das sie Piper genannt hatte, konnte Zanna zusammen mit dem Schmugglerjungen viele Meilen übers Moor reiten, und das Haar der beiden, das ihre dunkelbraun und seines von hellstem Gold, wehte hinter ihnen im Winterwind. Müde, aber überglücklich und mit von der Kälte schmerzhaft kribbelnden Händen und Gesichtern kehrten sie zur Abenddämmerung heim zu heißer Suppe in der Küche und einem liebevollen Schelten von Remana dafür, daß sie so lange ausgeblieben waren. Obwohl sie ihren Vater vermißte, hatte Zanna das Gefühl, als wäre sie jetzt erst richtig nach Hause gekommen.

Zuerst hatte sie sich darüber gewundert, warum sie keine Beweise für die eigentliche Tätigkeit der Schmuggler finden konnte, aber eine kichernde Remana hatte ihr das schon bald erklärt. »Oh, aber doch nicht im Winter, mein liebes Kind. Das ist unsere stille Jahreszeit, könnte man sagen. Die See ist viel zu rauh, um unsere Schiffe zu riskieren, und um ehrlich zu sein, gibt es im Winter ja auch kaum etwas, mit dem man handeln könnte.«

Sie hatte Zanna erklärt, daß die Hauptaktivität der Schmuggler darin bestand, zwischen den Küstendörfern hin und her zu pendeln. Sie brachten einheimische Nahrungsmittel und Handwerkswaren von einer Gemeinschaft zur anderen. Das Ganze basierte auf einem Tauschsystem und trug dazu bei, die unverschämten Preise, die die Händlergilde verlangte, zu umgehen. Auf diese Weise kamen auch die armen Bauern in den Genuß von Luxusgütern, die ihnen ansonsten verwehrt gewesen wären. »Natürlich ist dein Vater als Vorstand der Gilde offiziell gegen dieses kriminelle Verhalten«, hatte Remana bemerkt. »Glücklicherweise ist er privat der Überzeugung, daß die Händler schon genug Profite machen und die Bauern ruhig die Früchte ihrer Arbeit genießen sollten. Außerdem«, sie blinzelte Zanna zu, »wäre da auch die Kleinigkeit unserer südlichen Partnerschaft! Zumindest war das früher so.« Ihr Gesicht hatte sich bewölkt, und sie hatte nicht mehr gesagt, aber Zanna wußte, daß sie an Yanis dachte. Sie schwor sich, daß sie, bevor es für ihn Zeit war, wieder davonzusegeln, einen Plan für ihn ersinnen würde, wie er die Südländer besiegen konnte.

Während die Wintertage dahingingen, lernte Zanna viele Dinge von ihren Schmugglerfreunden. Die alten Männer hatten sie ins Herz geschlossen und zeigten ihr, wie man in den Gezeitenpfützen draußen vor den Höhlen fischen konnte. Bei Ebbe stritten sie um das Vorrecht, ihr beizubringen, wie man an den felsigen Riffen in der Nähe der Höhlen die Krabbenreusen befestigte. Remana hatte ihr versprochen, daß sie ihr im Frühjahr, sobald es ruhig genug dazu war, selbst das Segeln beibringen würde. Und sie wollte Zanna in das Geheimnis einweihen, wie man den einen sicheren Weg durch das trügerische Labyrinth der unterirdischen Riffe finden konnte.