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»Wenn ich dich quäle, dann laß mich gehen!« konterte Eilin schnell.

»Bei allen Götter, Eilin, begreifst du mich denn nicht? Ich – kann – nicht!« Hellorin warf die Arme mit der Geste des Besiegten in die Höhe und stampfte über den moosgrünen Teppich zum Fenstersims, wo eine Flasche Wein und zwei Kelche bereitstanden. Dann warf er sich auf einen Sessel vor dem Fenster, schenkte sich und Eilin etwas Wein ein und hielt ihr einen Becher hin. »Hier – setz dich, du verflixtes Weibsbild, und hör auf, dich so aufzuplustern. Wir wollen diese Kampf beenden, ein für allemal.«

»Aber …«

»Eilin, bitte!«

Die Veränderung in Hellorins Stimme entwaffnete die Erdmagusch. Sie biß sich auf die Lippen, ging durch das Zimmer auf ihn zu und hockte sich zaghaft auf die Kante eines anderen Sessels.

»Du siehst aus wie ein kleiner brauner Vogel, der in der Luft flattert und bereit ist, sich bei der leisesten Gefahr davonzumachen.« Hellorins feingemeißelter Mund wurde weicher, als er lächelte, und Eilin stellte sehr zu ihrem Ärger fest, daß auch die letzten Funken ihres gerechten Zorns wie Nebel bei Sonnenaufgang dahinschmolzen.

»Ein kleiner brauner Vogel, also wirklich!« gab sie scharf zurück, aber trotz all ihrer Bemühungen mußte sie bemerken, daß ihre Lippen zuckten, als sie den Kelch aus seiner Hand entgegennahm.

Hellorins Augen hatten sich keine Sekunde lang von ihr abgewandt. »Ruh dich aus, meine Lady«, sagte er sanft. »Deine Heilung ist erst vor kurzem erfolgt, und du brauchst Zeit, um deine Kraft wiederzuerlangen. Es wird dir nur schaden, wenn du dich so aufregst.«

»Ist das der Grund, warum du mich noch nicht gehen lassen willst?« Eilin stürzte sich begierig auf seine Worte. »Willst du damit sagen, daß ich, wenn …«

»Nein.« Das Wort war von erschreckender Endgültigkeit. Hellorin seufzte. »Lady, ich habe diese Erklärung aufgeschoben, um dich nicht über die Grenzen deiner Kraft hinaus zu beunruhigen – und weil ich fürchtete, daß du mir nicht glauben würdest.« Er nahm ihre Hand in seinen festen, warmen Griff, und seine unergründlichen Augen bohrten sich in die ihren. »Eilin, du mußt versuchen, zu verstehen. Was ich dir jetzt sagen werde, ist die absolute Wahrheit – ich schwöre es beim Haupte meines Sohnes. Als man dich hierhergebracht hat, waren deine Verletzungen tödlich, selbst für eine Magusch. Meine Heiler haben dich vom Abgrund des Todes zurückgeholt – an diesem Ort, an dem die Phaerie ihre Macht besitzen und die Zeit keinen Einfluß hat, war es ihnen möglich, das zuwege zu bringen. Aber dank deiner Maguschvorfahren hat ihre Macht – unsere Macht – in der irdischen Welt keinen Einfluß mehr. Um es kurz zu machen, du bist in dieser Welt geheilt, aber nicht in deiner eigenen. Wenn du versuchst, zurückzukehren …«

»Nein!« Eilin stieß einen erstickten Schrei aus. Ihr Blut war wie Eis in ihren Augen. »Das kann nicht wahr sein – es kann einfach nicht wahr sein!« Aber der Kummer auf dem Gesicht des Waldfürsten, das überwältigende Mitleid in seinen Augen überzeugten sie mehr, als irgendwelche Worte es vermocht hatten, daß er die absolute Wahrheit sprach. Eilin hatte nach all den Tragödien in ihrem Leben geglaubt, jedem Unglück, das das Schicksal ihr in den Weg werfen konnte, überlegen zu sein, aber dieser letzte grausame Streich des Schicksals fällte sie mit einem einzigen tödlichen Schlag.

Die uneinnehmbare Zitadelle wilden Maguschstolzes, mit der Eilin sich nach dem Tode Geraints umgeben hatte, begann endlich dahinzuschwinden und zu Staub zu zerfallen, und die Magusch hatte das Gefühl, zusammen mit ihrem Stolz zu zerbrechen. »Ich kann nicht von hier weg?« flüsterte sie. »Ich kann nicht nach Hause – nie mehr?«

Der Schmerz in Hellorins Augen sagte alles. »Ich fürchte nein, Lady«, erwiderte er voller Mitleid. »Zumindest nicht, bis …«

Aber Eilin hörte diese letzten wichtigen Worte nicht mehr. Sie gingen unter in dem Geräusch endlos brechenden Glases, als ihre diamantene Festung zu Scherben zerbrach, Scherben die fielen; fielen wie ihre Tränen …

Hellorin konnte sie nur hilflos im Arm halten, während sie zitterte und weinte. Ihre Verletzungen hatten sie natürlich furchtbar geschwächt – viel mehr, als es ihr bewußt war –, aber trotzdem war er über ihren tiefen Kummer bestürzt. Eilin so zu sehen, war mehr, als er ertragen konnte: sie, die immer so wild und stolz gewesen war. Wie sehr er sie dafür bewundert hatte. Niemand hatte sich seit Jahrhunderten so gegen ihn behauptet – bis auf die kleine Maya natürlich. Wir waren wirklich viel zu lange von der Welt geschieden, überlegte er. Während unserer Abwesenheit scheint sich dort ein wilder und wunderbarer Frauentyp entwickelt zu haben. Aber selbst die stärksten Frauen brauchten gelegentlich Hilfe.

Der Fürst der Phaerie sammelte seine Kräfte und stieß einen lauten Befehl aus: »Genug!« Ein gewaltiges Donnergrollen schien die Luft zu zerreißen, und ein Lichtblitz zuckte mit einer sengenden Flamme durch das Zimmer. Eilin sprang auf die Füße, schlug sich die Hand vor ihren offenen Mund, und der Widerhall von Macht in dem kleinen Zimmer ließ ihr das Haar wie einen leuchtenden Strahlenkranz vom Kopf abstehen. Ihre Augen wirkten riesig in ihrem kreideweißen Gesicht. Hellorin lächelte sie an. »So ist es schon viel besser!« sagte er energisch. »Und jetzt, da ich deine Aufmerksamkeit habe, Eilin …«

Der Waldfürst ergriff die Hand der verblüfften Magusch und zog sie hinter sich her aus dem Zimmer, um sie eine gewundene, hölzerne Treppenflucht hinunterzudrängen, die sich durch den ganzen schlanken Turm bis nach unten zog. Er ignorierte das ungläubige Starren seiner Untergebenen und zog sie hinter sich her durch jene scheinbar endlose Folge von Hallen und Gemächern, die seine Zitadelle bildeten, bis sie schließlich die große Halle durchquerten, in der Maya und D’arvan sich ausgeruht hatten, und durch das große, gewölbte Außentor ins Freie gelangten. Ohne einen Augenblick lang innezuhalten, drängte er sie die Stufen der Außenterrasse herab und über einen Rasen bis hin zu den nebelhaften Umrissen der dahinterliegenden Wälder.

»Hellorin, warte! Ich kann nicht …« Eilins atemloses Wimmern brachte den Fürst der Phaerie zum Stehen. Er drehte sich um und sah, daß sie wirklich am Ende ihrer Kräfte war; ihre Beine zitterten, und ihre Brust hob und senkte sich von der ungewohnten Anstrengung, die zu rasch auf ihre Erholung von den schrecklichen Wunden gefolgt war. Aber schließlich konnte sie wieder sprechen, und das zornige Glitzern in ihren Augen verhieß Gutes, was das Wiedererwachen ihres wilden Geistes betraf.

»Das war ein guter Lauf, meine Lady«, sagte er zu ihr, wohl wissend, daß er sich glücklich schätzen konnte, daß sie nicht mehr genug Luft bekam, um die heftige Zurechtweisung auszusprechen, die ihr so klar ins Gesicht geschrieben stand. Er legte einen Arm um sie und drehte sie herum, so daß sie in die Richtung blickte, aus der sie gekommen waren. Ihr leiser Aufschrei puren Entzückens belohnte ihn dafür. »Vergib mir, daß ich dich so überstürzt und auf so grobe Art und Weise hierhergebracht habe, Lady«, sagte er sanft, »aber ich war so begierig, dir dies hier zu zeigen.« Und dort, direkt vor ihren Augen, erhob sich höher und immer höher der sanfte Hügel des grünen Rasens, der ganze Stolz von Hellorins Herzen – die Zitadelle und das Heim seines Volkes.

Die Phaerie, vollendete Meister der Illusion, hatten sich diesmal selbst übertroffen; sie hatten Natur mit Magie kombiniert, um eine echte Einheit zu schaffen, die tatsächlich um sie herum lebte und atmete im Gegensatz zu den bedrückenden Haufen von seelenlosen, hingemordeten, herausgehauenen Steinen, die die Unterkünfte der Magusch und der Sterblichen bildeten. Die Zitadelle, die wie ein Juwel in dem fremden, goldenen Halblicht glühte, das eine unveränderliche Besonderheit dieser zeitlosen Anderwelt war, hatte die äußere Gestalt eines wuchtigen, schroffen Hügels angenommen. Ihre Wände und Balkone waren Klippen und Felsbänke, ihre Fenster durch Magie vor allen Blicken verborgen; und ihre vielen zierlichen, hölzernen Türme wie der, in dem Eilin sich aufgehalten hatte, waren prachtvolle Haine erhabener, lebender Buchen. In den flachen Bereichen des Gebäudes prangten Lichtungen und Gärten mit durchscheinenden, hellen Blüten, die wie gesponnenes Glas in dem elfenbeinfarbenen Licht funkelten. Bäche und Springbrunnen bedeckten den Hügel mit ihrem diamantenen Glitzern und stürzten funkelnde Silberschleier über die Gesichter des Felsens.