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Harihn starrte sie einen Augenblick lang an und versuchte, die plötzliche Wendung der Ereignisse zu verarbeiten. Sie nickte bekräftigend, und der Prinz ging mit einem plötzlichen Lächeln zu seinem Vater hinüber. Aurian folgte ihm. Xiangs Gesicht war verzerrt vor Entsetzen. Alle Grausamkeit, die vorher in seinem Gesicht gelegen hatte, schien sich auf seinen Sohn übertragen zu haben, und die Magusch war angewidert von dem, was sie bewirkt hatte.

»Nun, mein Vater«, sagte Harihn. »Wie fühlt man sich, wenn man selbst das Opfer ist? Wie meine Mutter es genossen hätte, dich so zu sehen.«

»Mein Sohn, ich bitte dich …« Xiang hatte in seiner Angst die Kontrolle über seine Blase verloren, und ein dunkler Fleck breitete sich unter ihm auf dem Boden aus. »Bitte …«

Es war Aurian ganz klar, wieviel ihn dieses Wort gekostet hatte.

»Du bittest, Vater?« Harihns Augen glitzerten. »Oh, das gefällt mir. Bitte doch noch etwas mehr.«

»Mein Sohn … . bitte. Ich werde alles tun …« Harihn wandte sich angeekelt ab. »Nein!« Es war, als hätte sich das Wort den Tiefen seiner Seele entrungen. Nachdem er mit einiger Mühe seine Stimme wieder unter Kontrolle hatte, drehte er sich zu seinen Zuschauern um. »Ich will den Thron nicht haben«, sagte er mit ausdrucksloser Stimme. »Heute habe ich nur allzugut gelernt, wie die Macht einen Menschen verderben kann. Die Macht der Zauberei« – sein Blick flackerte kalt zu Aurian hin – »die königliche Macht« – er warf einen verachtungsvollen Blick auf seinen Vater und schaute dann zu Sara hinüber – »und die Macht eines Menschen über einen anderen.« Er blickte hinunter auf die zerknüllte Schriftrolle, die ihm den Besitz Anvars bestätigte. »Vater, du magst deinen Thron und dein Leben behalten – wenn du schwörst, daß ich und meine Leute dieses Land ohne Gefahr verlassen können. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen – ich werde nicht zurückkommen. Bist du einverstanden, und wirst du mir dein Wort darauf geben?«

Der Khisu nickte – zu schnell, fand Aurian. Sie hatte die Verachtung in seinen Augen aufflackern sehen. »Du hast mein Wort«, sagte er.

»Laßt ihn frei«, befahl Harihn.

»Wartet.« Aurian, noch immer überrascht über Harihns Zurückweisung des Throns, baute sich vor dem Khisu auf. »Xiang«, sagte sie, »ich habe nicht das geringste Vertrauen zu deinem Wort.« Sein Blick wich ihren Augen aus, und sie wußte, daß sie recht gehabt hatte. Die Magusch dachte hastig nach und nahm schließlich den drohendsten Ausdruck an, zu dem sie fähig war. »Um die Sicherheit des Khisal zu garantieren, belege ich dich mit meinem Fluch, dich und alle Menschen in deinem Land.« Sie hörte ein entsetztes Aufkeuchen hinter sich.

»Was tust du da?« kreischte Harihn sie an.

»Nur das: Solange der Khisu seinen Schwur hält, wird alles gut sein. Aber sollte er ihn brechen, dann wird sein ganzes Königreich von Feuer verzehrt werden und mit ihm alle Menschen darin. Die Ernte wird auf den Feldern verbrennen. Augen werden ausdörren, und Fleisch wird schmelzen. Alles, was lebt, wird in Qualen umkommen. Hast du meine Worte gehört, Xiang?«

»Ja, das habe ich.« Aus seiner Stimme troff kalter Haß.

»Dann merke sie dir gut, damit das, was ich gesagt habe, nicht eintritt.«

Der Khisu nickte und funkelte sie wütend an, aber sie wußte, daß er ihr gehorchen würde. »Oh, und da ist noch etwas.« Sie konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen. »Ich habe das Gefühl, daß Ihr in Zukunft ein besserer Herrscher werden müßt. Es wird keine grausamen Spiele mehr geben, Xiang. Die Arena wird sofort geschlossen, und alle Sklaven werden auf der Stelle befreit.«

»Was?« brüllte Xiang und vergaß in seinem Zorn, in welch gefährlicher Lage er sich befand. Auf ein Nicken von Aurian hin schloß Shia fauchend ihre Kiefer – nur um einen winzigen Bruchteil. Der Khisu würgte und verfiel sofort wieder in tiefes Schweigen.

»Ich werde Euch beobachten, Xiang«, log Aurian. »Egal, wie weit ich von Eurem Reich entfernt bin. Denk daran. Der Fluch ist lediglich ausgesetzt. Wenn Ihr Euren Schwur brecht, wird er auf Euch zurückfallen. Laß ihn aufstehen, Shia«, fügte sie laut hinzu, so daß auch alle anderen Umstehenden ihre Stimme hören konnten. »Der Khisu hat jetzt eine Menge zu tun. Verschwindet, Xiang, und nehmt Eure Soldaten mit. Shia, begleite sie aus dem Haus.«

»Du meinst, ich darf ihn nicht umbringen?« Shias Gedanken klangen verdrossen.

»Ich fürchte, nein.«

»Das ist nicht fair!« Nur widerwillig lockerte die Katze den Zugriff ihrer Kiefer, doch ihre lodernden Augen wandten sich keine Sekunde lang von dem Gesicht des Khisu ab. Ein Mann aus Xiangs Garde half seinem Herrn, sich aus den Trümmern seines Stuhles zu erheben, obwohl er in der Nähe des schwarzen Dämons und der ausländischen Zauberin am ganze Leibe zitterte. Ein tapferer Mann, dachte Aurian.

Sara, die während des ganzen Tumultes geschwiegen hatte, erhob sich, um ihm zu folgen, und schoß Aurian noch einen Blick giftigen Hasses zu. Aber Bohan hatte Anvar von seinen Fesseln befreit, und jetzt lauerte er ihr mit flehendem Blick auf. »Sara, warte! Du mußt nicht mit ihm gehen. Du bist jetzt frei. Du kannst mit uns kommen.« Seine Stimme zitterte vor Hoffnung, sie könne sich immer noch und trotz allem, was er mit angesehen hatte, als unschuldig erweisen. O ihr Götter, kann er denn noch nicht einmal jetzt akzeptieren, wie die Dinge liegen? dachte Aurian verzweifelt.

Sara wandte sich mit einem Blick tiefster Verachtung an Anvar. »Du Narr«, höhnte sie. »Glaubst du wirklich, ich würde mit dir gehen – mit einem bloßen Diener – einem Sklaven –, wenn ich Königin sein kann?«

Anvar zuckte zusammen, als hätte sie ihn geschlagen. »So«, sagte er sanft, »ich hatte also recht, dir nicht zu trauen. Du hast gelogen, als du sagtest, daß du mich noch immer liebst.«

Saras Lachen hallte laut und schneidend durch den Raum; mit grausamem Hohn begann sie zu sprechen: »Und du hast mir geglaubt, du Trottel, ganz wie ich es erwartet habe! Ich habe es so geplant, weil es meinen Zwecken diente und weil du es verdient hast – dafür, daß du mich einer Pfuscherin von Hebamme überlassen hast und diesem Tölpel von einem Händler. Mit dir kommen, wahrhaftig! Du bist wirklich mitleiderregend, Anvar. Geh und verkriech dich hinter den Röcken deiner Herrin. Sie weiß dich zu schätzen. Was mich betrifft, werde ich dich verachten bis zu dem Tag, an dem ich sterbe.«

Anvars Augen nahmen das harte, kalte Eisblau eines Winterhimmels an. »Warte!« Das Wort war wie ein Peitschenschlag, hart und befehlend. Sara drehte sich langsam um und starrte ihn erstaunt an.

»Da hast du einen schlimmen Fehler gemacht, Sara.« Anvars Ton war kalt und spöttisch. »In deiner Arroganz scheinst du eine wichtige Kleinigkeit vergessen zu haben. Xiang hat keinen Erben mehr – und er wird erwarten, daß du ihm einen neuen Sohn schenkst.«

Saras Gesicht erbleichte zu einem geisterhaften, grünlichen Weiß. Auf der Stelle begann sie zu zittern und schien in sich selbst zusammenzuschrumpfen, während ihr hochmütiges Verhalten zerrann. Plötzlich biß sie sich auf die Lippe und streckte flehend ihre Hände aus. »Anvar, ich …«

»Nein, Sara – diesmal nicht. Und niemals mehr. Du hast bekommen, was du dir wünschtest, und nun mußt du selbst sehen, wie du damit fertig wirst.« Anvars Stimme war wie Stahl. »Verschwinde, Sara. Geh zu dem König, den du so sehr wolltest. Und fang an, über eine Möglichkeit nachzudenken, wie du ihn übertölpeln kannst – so, wie du Vannor und mich übertölpelt hast. Aber du solltest dich besser beeilen!«

Saras Gesicht wurde häßlich vor Zorn. Sie zog den Kopf zurück wie eine Schlange und spuckte ihm ins Gesicht, bevor sie sich in einem Wirbel goldener Röcke umdrehte und Xiang folgte. Als sie hinauseilte, fiel Anvar auf die Knie, und sein Gesicht war eine Maske der Trauer. Aurian war sowohl verwirrt als auch überwältigt von seinem Gespräch mit dem Mädchen, aber sie wußte, daß dies nicht der richtige Augenblick war, um nachzufragen. Statt dessen eilte sie zu ihm hin, um ihn zu trösten, und ihr Herz krampfte sich bei der trostlosen Leere in seinen Augen zusammen.