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Harihn hatte seine Sklaven in Übereinstimmung mit Aurians Edikt freigelassen. Einige würden zurückbleiben, um nach lange verlorenen Freunden und Familien zu suchen, aber viele hatten beschlossen, ihrem Prinzen ins Exil zu folgen. Er war gerührt über ihre Treue, aber die Organisation, die eine Durchquerung der Wüste mit so vielen Leuten erforderte, war der reinste Alptraum. Der Khisal war unablässig in Bewegung und versuchte, an jedem Ort gleichzeitig zu sein. Überall um ihn herum waren die Menschen dabei, einander Lebewohl zu sagen, überall feierten die befreiten Sklaven, und überall versuchten diejenigen, die mitkommen wollten, die schwere Wahl unter ihren Habseligkeiten zu treffen, denn alle mußten sie mit leichtem Gepäck reisen. Ein Pferd, das durch den Lärm und das allgemeine Durcheinander in Panik geraten war, riß sich los, galoppierte über den Hof und ließ die Menschen und ihr Gepäck auseinanderstieben.

Anvar hielt sich, als der den Hof betrat, die Ohren zu. Das ist ja lächerlich! dachte er. Zu seiner Verärgerung hatte der Prinz Aurian aus ihrem Gemach rufen lassen und sie so um die Ruhe gebracht, die sie so dringend brauchte. Aber Harihn wollte, daß sie ihm dabei half, Ordnung in das Chaos zu bringen. Gerade sprach sie mit ihm, und Anvar konnte hören, wie sie sich anstrengen mußte, um sich über dem allgemeinen Tumult Gehör zu verschaffen. »Fangt schon an, die Soldaten und die Pferde über den Fluß setzen zu lassen. Sagt ihnen, sie sollen sich auf der anderen Seite versammeln. Auf diese Weise haben wir hier wenigstens etwas mehr Platz. Dann kümmern wir uns um den Rest.«

Harihn nickte dankbar und ging davon, um mit dem Hauptmann seiner Wache zu sprechen. Es dauerte eine ganze Weile bis die Soldaten in Fünfertrupps den Marsch zum Fluß hinunter angetreten hatten, aber Aurian hatte recht gehabt – dadurch war jetzt etwas mehr Platz gewonnen. Anschließend war es einfacher, die verschiedenen Aufgaben zuzuweisen. Diejenigen, die sich dem Massenaufbruch nicht anschließen würden, hatten den Hof zu verlassen, und die Maultiere wurden beladen und eins nach dem anderen zur Fähre geführt. Jetzt, da es einfacher war, abzuschätzen, wie viele Leute mitkommen würden, machte Harihn ein besorgtes Gesicht. Anvar schlenderte mit Bohan zu ihm hinüber, um zu hören, wie er sich mit der Magusch unterhielt. »Es sind etwa drei Dutzend Leute von meinem Haushalt, die mitkommen, und wir brauchen Pferde für sie. Zusammen mit den Tieren, die das zusätzliche Essen und das Wasser tragen müssen, haben wir dann nur wenige überzählige Reittiere, und damit nur einen sehr kleinen Sicherheitsspielraum. Wir müssen durch die Wüste kommen, bevor uns Nahrung und Wasser ausgehen, und doch können wir es nicht wagen, allzuschnell zu reiten und den Verlust von Pferden zu riskieren.«

»Gibt es denn in der Wüste überhaupt kein Wasser?« erkundigte sich Aurian.

»Es gibt zwölf Oasen, und wir werden auf sie alle angewiesen sein«, erwiderte Harihn. »Es ist eine Reise von vielen Tagen, selbst wenn wir uns an die kürzeste Route halten. Wir können unmöglich genug Wasser für die Durchquerung der ganzen Wüste mitnehmen.«

Anvar kam, überschattet von Bohan, auf sie zu. Man hatte seinen eisernen Halsreifen entfernt, und sein Gang war aufrechter geworden, jetzt, da er dieses Zeichen der Sklaverei nicht mehr trug, obwohl das Gewicht des Eisens nichts gewesen war im Vergleich zu der Schwere, die auf seinem Herzen lastete … Der Prinz drehte sich zu ihm um. »Und was ist das für ein Gefühl, frei zu sein?« fragte er.

Anvar hörte den Spott in seiner Stimme und wußte, daß Harihn ihn mit voller Absicht an seine frühere, niedrige Stellung erinnerte. Er warf ihm einen kalten Blick zu. »Ich finde die Veränderung höchst willkommen«, sagte er knapp, wobei er absichtlich Harihns Titel wegließ.

»Wahrhaftig, die Dinge haben sich in kurzer Zeit sehr verändert«, erwiderte Harihn glatt, aber Anvar freute sich darüber, daß ein Stirnrunzeln an die Stelle seines höhnischen Lächelns getreten war. »Innerhalb eines Tages hast du aufgehört, ein Sklave zu sein, und ich habe aufgehört, ein Prinz zu sein. Sie ist eine große Gleichmacherin, deine Lady.«

»Zumindest ist sie jetzt nicht mehr gezwungen, Eure Konkubine zu werden«, fuhr Anvar auf.

Harihn ging drohend und mit zorngerötetem Gesicht auf ihn zu. »Wie kannst du es wagen, so mit mir zu sprechen! Wachen – nehmt diesen Flegel und laßt ihn auspeitschen!«

»Nein!« trat Aurian schnell dazwischen. »Er wollte Euch nicht beleidigen, Hoheit. Ich bin sicher, daß er sich entschuldigen wird.« Sie funkelte Anvar warnend an. Ihre Augen trafen sich, Willenskraft prallte auf Willenskraft, aber Anvar entdeckte eine neue, unerwartete Sturheit in sich. Sein Mund schloß sich zu einer unbewußten Weigerung. Aurian drehte ihren Kopf ein wenig, so daß der Prinz ihr nicht mehr ins Gesicht sehen konnte, und murmelte: »Bitte!« Sie sah müde und aufgeregt aus, und er schämte sich plötzlich, denn er wußte, das das letzte, was sie heute brauchen konnte, noch weitere Schwierigkeiten waren. Anvar seufzte.

»Es tut mir leid, Euer Hoheit«, murmelte er.

»Na also, dann wäre das ja erledigt«, sagte Aurian schnell. Nach dem Ausdruck von Harihns Gesicht zu schließen, war es alles andere als erledigt, aber glücklicherweise wurden sie von Yazour unterbrochen, der zwei Leute im Schlepptau hatte. Das Gesicht der Magusch leuchtete vor Freude auf, und sie lief hinüber, um sie zu umarmen.

»Eliizar! Nereni!«

»Euer Hoheit, diese Leute haben darum gebeten, die Zau… die Lady Aurian sprechen zu dürfen«, berichtete der Hauptmann.

»Kenne ich dich nicht von irgendwoher?« wandte sich der Prinz an Eliizar, der sich tief verbeugte.

»Ich bin – war – Schwertmeister der Arena, Euer Hoheit«, sagte er. »Jetzt hat der Khisu befohlen, die Arena zu schließen, und die Stadt ist voll von Gerüchten und Unruhe. Wir haben gehört, daß die Lady Aurian mit Euch nach Norden reist. Früher einmal hat sie uns angeboten, uns mitzunehmen, deshalb sind wir gekommen, um ihr unsere Dienste anzubieten, wenn sie uns noch immer haben will.«

»Aber natürlich will ich das! Meine lieben Freunde, ich freue mich ja so sehr, euch wiederzusehen! Wir können doch gewiß noch zwei Leute mehr mitnehmen, oder, Harihn?« bat Aurian.

Der Prinz runzelte die Stirn. »Du scheinst ein treues, eigenes Gefolge um dich herum zu versammeln, Lady. Erst meinen Eunuchen und dieses gefährliche Tier, dann deinen ungehobelten Ehemann und jetzt noch den Schwertmeister der Arena. Wenn du noch viel länger hierbleiben würdest, würdest du am Ende vielleicht selbst Khisihn werden.«

»Ich bleibe nicht hier, genausowenig wie Ihr«, gab Aurian scharf zurück, »und Ihr solltet dankbar für ein zusätzliches Schwert sein, Harihn. Wir freuen uns, daß ihr mit uns kommen wollt, Eliizar und Nereni. Ich habe eure Freundlichkeit nie vergessen.«

»Ich habe etwas für dich«, sagte Eliizar. Er gab ihr ihren kostbaren Stab, den sie in der Arena zurückgelassen und während ihrer Krankheit und ihrer anschließenden Suche nach Anvar vollkommen vergessen hatte.

»Bei allen Göttern!« rief Aurian aus. »Ich bin wirklich froh, ihn wiederzuhaben, Eliizar.«

Der Schwertmeister blickte zu Anvar hinüber. »Ich sehe, daß du deinen Mann wiederhast«, sagte er.

Nerenis Augen zwinkerten schelmisch. »Er ist ihr viel zu kostbar, um ihr bloß ein Ehemann zu sein!« Sie wandte sich an Anvar. »Du bist ein glücklicher Mann. Weißt du, daß sie sich während der ganzen Zeit, die sie in der Arena verbracht hat, halb krank um dich gesorgt hat? Wie froh ich bin, daß sie dich wiedergefunden hat.«

Anvar war sprachlos. Aurian hatte auch diesen Leuten erzählt, daß er ihr Mann sei? Sie hatte sich sogar um ihn gesorgt? Er begriff, was sie das gekostet haben mußte, nachdem Forral erst vor so kurzer Zeit gestorben war. »Ich bin auch froh, daß sie mich gefunden hat«, sagte er fest und versuchte erfolglos, Aurians Blick aufzufangen. »Und ich stimme euch zu – ich bin ein sehr glücklicher Mann.«