»Wie schade nur, daß du niemanden sonst hast, mit dem du reden könntest«, gab Bragar zurück, unfähig, dieser Gelegenheit zu widerstehen, sie an Davorshans Tod zu erinnern. Er hatte die Befriedigung, zu sehen, wie ihr Gesicht sich vor Zorn verzerrte. »Was soll ich sagen? Miathans Gehirn ist offensichtlich bei Aurians Attacke in Mitleidenschaft gezogen worden. Wie sollte sie dieses Unwetter überlebt haben?«
Eliseth runzelte die Stirn. »Ich bin mir da nicht so sicher«, sagte sie. »Weißt du noch, wie nah Aurian und der Erzmagusch sich früher gestanden haben? Wenn überhaupt jemand wissen kann, ob sie tot ist oder nicht, dann er.«
»Unsinn! Der alte Narr ist einfach senil, und das weißt du auch. Wir sollten ihn von seinem Elend erlösen und selbst die Macht ergreifen.«
»Bragar, du hast den Verstand eines Ochsen!« fauchte Eliseth. »Wir brauchen den Erzmagusch als Galionsfigur. Dafür hat er gesorgt, als er die Geschichte verbreiten ließ, daß es seine Macht gewesen ist, die die Nihilim zerstört hat. Wir konnten diesen Tölpel Narvish als Repräsentanten der Händler in den Rat hineinmanövrieren, und Angos von der Garnison ist nichts als ein dickköpfiger Söldner, der für einen entsprechenden Preis alles tun wird, was wir sagen. Aber das wird nicht lange so bleiben, wenn Miathan nicht mehr im Spiel ist. Das, was die Stadt in unseren Händen hält, ist lediglich die Angst der Sterblichen vor Miathans Macht und vor dem, was geschehen wird, wenn er sich von ihnen abwendet!«
»Wenn er nur eine Galionsfigur ist, warum müssen wir dann jedesmal springen, wenn er mit den Fingern schnippst?«
Eliseth nahm einen Schluck von ihrem Wein. »Normalerweise müssen wir das nicht – aber wenn eine Chance besteht, daß Aurian überlebt hat, können wir ihre Rückkehr auf gar keinen Fall riskieren. Miathan mag sie ja lebendig wollen, aber ich will das nicht. Ich habe darüber nachgedacht. Wir wissen, daß sie auf See war, und ich kenne die Kraft und die Richtung des Sturms, den ich erhoben habe. Wenn sie überhaupt irgendwo ist, dann muß sie in den Südlichen Königreichen sein.«
»Im Süden? Selbst wenn wir die Leute dazu hätten, könnten wir niemals eine Streitmacht aufstellen, die groß genug wäre, um sie dort zu finden«, protestierte Bragar. »Die Südländer würden es als Invasion auffassen, und ein Krieg ist das letzte, was wir im Augenblick gebrauchen können. Außerdem heißt es doch, die Südländer seien den Magusch feindlich gesinnt. Wenn Aurian dort ist, wird sich das Problem doch sicher von selbst lösen.«
»Warum sollten wir uns darauf verlassen, wenn wir andere Möglichkeiten zu unserer Verfügung haben?« Eliseth sah ihn hinterhältig an. Bragar wußte, daß sie ihn dazu bringen wollte, zu fragen, was sie meinte, damit sie ihn wieder einmal der Dummheit bezichtigen konnte. Er weigerte sich jedoch, ihr Spiel mitzuspielen, und schluckte statt dessen den Inhalt des Glases herunter, bevor er es von neuem auffüllte.
»Du hattest ja immer schon eine hohe Meinung von dir selbst«, sagte er.
»Wie kannst du es wagen!« Eliseth hatte den Köder geschluckt. »Ich bin die einzige Wettermagusch auf der Welt. Wenn ich mit ihnen fertig bin, werden die Südländer sich glücklich schätzen, wenn überhaupt irgend jemand überlebt hat, geschweige denn diese rothaarige Hexe. Ich habe die Landkarten studiert«, fuhr sie nun etwas ruhiger fort. »Die Südlichen Königreiche verfügen über gewaltige Gebirge und riesige Wüsten, und wenn man weit genug nach Süden geht, findet man dort sogar etwas Dschungel. Bei einem solchen Gelände ist es leicht, ein Unwetter zu produzieren. Ein Sandsturm am richtigen Ort oder Schneestürme in den Bergen zur falschen Jahreszeit könnten unser Problem lösen. Auf diese Weise würden die Südlichen Länder außerdem einer möglichen Eroberung zugänglicher gemacht«, fügte sie einschmeichelnd hinzu.
»Das kannst du doch nicht machen, Eliseth!« Die Flasche zuckte in Bragars Händen, und Alkohol ergoß sich auf den weißgetäfelten Boden. »Du wirst das Wetter auf der ganzen Welt verändern. Es könnte Jahrhunderte dauern, um das Gleichgewicht wiederherzustellen.«
Eliseth zuckte mit den Schultern. »Na und? Wen schert es schon, wenn wir ein paar tausend Sterbliche an Unwetter oder Hungersnöte verlieren? Wenn sich ihre Zahl verringert, sind sie leichter zu kontrollieren. Und was uns betrifft, wir brauchten nicht darunter zu leiden, jetzt, da wir Finbarrs Bannzauber kennen. Wir werden Elewin Nahrungsmittel in den Katakomben lagern lassen, und zwar in unbegrenzten Mengen. Es ist ja nicht so, als hätten wir heutzutage viele Mäuler zu stopfen.«
Bei den Göttern, sie war vollkommen erbarmungslos! Bragar war gleichzeitig beeindruckt und angewidert. Früher einmal war er der Anstifter bei ihren Verschwörungen gewesen, aber jetzt, da es Zeit war zu handeln, statt nur zu reden, stellte er fest, daß er zunehmend ratloser wurde. Es war eine Sache, über negative Magie zu reden, aber das Auftauchen dieser Dinger aus dem Kessel hatte sein Zutrauen zu sich selbst böse angekratzt. Bragar stürzte den Inhalt seines Glases herunter und dachte an das Entsetzen, das die Todesgeister über Nexis gebracht hatten. Wie konnte Eliseth nur so gelassen sein? Ihre schlanke Gestalt wirkte anmutig und kalt, wie ein Speer aus Eis, und doch blühte sie in Situationen, die ihm das Blut gefrieren ließen, erst richtig auf. Sein Bild von ihr, von der unterwürfigen und besiegten Magusch, verflüchtigte sich. Er verlor dieses Spiel; das wußte er jetzt. Seine einzige Hoffnung bestand darin, sich mit ihr zusammenzutun und darauf zu warten, daß sie sich irgendwann übernehmen würde. Dann endlich würde die Reihe wieder an ihm sein. Er beschloß, seine Taktik zu ändern. »Vielleicht hast du recht …« Er unterbrach sich, plötzlich aufmerksam gemacht von einem warnenden Prickeln im Nacken, von einem winzigen Anflug eines Geräuschs draußen vor der Tür. Er stand so hastig auf, daß er den Stuhl hinter sich umwarf, und schoß durch den Raum, um die Tür aufzureißen.
»Bragar, was machst du da?«
Der Feuermagusch spähte in das leere Treppenhaus und schloß dann die Tür, während er verwirrt den Kopf schüttelte. »Ich dachte …«
Elewin, der sich hinter der Biegung der Treppe flach an die Wand preßte, stieß in einem langen Seufzer den Atem aus, den er angehalten hatte. Um Haaresbreite hätte man ihn entdeckt! Einen Augenblick lang dachte er darüber nach, noch einmal zurückzukehren, aber es hatte keinen Sinn, ein solches Risiko einzugehen. Er hatte genug gehört und mußte seine Informationen weitergeben. Also eilte er die Treppe hinunter und schloß die Tür, die aus dem Turm herausführte.
Bei den Göttern! Würde es denn niemals Frühling werden? Dieser verfluchte Winter schien ewig dauern zu wollen. Nach den Stunden in Miathans warmen Gemächern schauderte Elewin in der bitterkalten Luft. Es war wieder Neuschnee gefallen, während er sich um den Erzmagusch gekümmert hatte, aber jetzt war der Nachthimmel klar, und die Temperatur war noch weiter gesunken. Der Schnee, der zu einer harten, scharfen Kruste gefroren war, knirschte laut unter seinen Stiefeln, als er den Hof überquerte, und er blickte nervös hinauf zu dem hell erleuchteten Fenster von Eliseths Zimmer. Wenn sie ihn hörten und hinaussahen … Er würde niemals erklären können, warum er in die Bibliothek ging, und schon gar nicht mitten in der Nacht. Miathan brauchte heutzutage keine Bücher mehr, dachte er trocken.
Seit Finbarrs Tod war die Bibliothek dunkel und leer gewesen. Die Bannzauber, die einer stetigen Erneuerung bedurften, brachen bereits, und als Elewin die schwere Tür aufdrückte, hörte er ein Rascheln wie das von Wind im Herbstlaub, und Mäuse und Küchenschaben huschten über den Boden, um sich zu verstecken. Der Haushofmeister schüttelte traurig den Kopf. Finbarr wäre entsetzt gewesen. Das unwiderbringliche Wissen von Jahrhunderten, um das er sich mit soviel Vorsicht und Geschicklichkeit gekümmert hatte, endete nun als Mistplatz für Ratten! Ich muß irgend jemanden finden, der sich darum kümmert, dachte Elewin, denn der Gedanke, daß Finbarrs kostbare Bände unter einer dicken Schicht aus Spinnweben und Staub langsam zerfielen, war ihm verhaßt. Es war eine Respektlosigkeit gegenüber dem Andenken an den Archivar, sein Lebenswerk einfach der Zerstörung preiszugeben – aber in Wahrheit gab es niemanden, der sich darum hätte kümmern können. Die meisten Diener waren in der ›Nacht des Todes‹, wie die Leute in der Stadt sie nannten, voller Entsetzen geflohen, und kaum jemand war bereit, auch nur in die Nähe der Akademie zu kommen. Elewin mußte sein Äußerstes geben, um überhaupt die allernotwendigsten Dinge getan zu bekommen, und einen Diener abzustellen, der die Bücher abstauben sollte, war ein Ding der Unmöglichkeit.