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Da er es nicht wagte, ein Licht zu entzünden, tastete der Haushofmeister sich im Dunkeln durch den langen, modrigen Raum hindurch und fluchte, als er sich an der Ecke eines Tisches stieß und über einen Stuhl stolperte, der dort nichts zu suchen hatte. Wenn doch nur der Mond geschienen und ein wenig Licht durch die hohen Fenster geworfen hätte! Wenn er doch nur die Nachtsichtigkeit der Magusch besäße! Schließlich erwischte er jedoch das andere Ende, und seine suchenden Finger die in die Mauer eingelassene Tür, die hinunter in die Katakomben führte. Als Elewin einen kunstvoll geschmiedeten Schlüssel aus der Tasche zog, lächelte er in der Dunkelheit. Eliseth und Bragar dachten, alle Schlüssel zum Archiv seien sicher in ihrer Aufbewahrung, und es war auch wirklich kein Wunder, daß sie niemanden in den Katakomben haben wollten, wenn man bedachte, was sie da unten aufhoben! Aber sie wußten nicht, daß Finbarr Anvar seinen eigenen Schlüssel gegeben hatte. Elewin hatte ihn nach Anvars Flucht unter dessen wenigen Besitztümern gefunden. Im Archiv angelangt, schloß der Haushofmeister sorgfältig die Tür hinter sich zu.

Die Wände des Korridors fühlten sich eiskalt an, und Elewin hatte alle Mühe, eine Laterne zu entzünden. Der Feuerschein schlüpfte immer wieder durch seine steifgefrorenen Finger und zwang ihn dazu, sich niederzuknien und fluchend den Boden abzutasten. Wie sehr die Dinge sich doch verändert hatten. Früher hatte er jeden Diener, den er in der Akademie beim Fluchen erwischt hatte, verprügelt. Aber das war zu einer Zeit gewesen, bevor er zu einem Spion und einem Verräter der Magusch geworden war. Ihre Veränderung hatte ihn gezwungen, sich ebenfalls zu verändern.

Nachdem es ihm endlich gelungen war, die Laterne zu entzünden, entspannte sich Elewin ein wenig, denn das sanfte Glühen verbannte die Dunkelheit und ließ die kalte Luft in dem Korridor ein wenig wärmer erscheinen. Dank den Göttern! Hier unten in der Dunkelheit mit diesen Todesgeistern zusammenzusein war mehr, als er ertragen konnte. Obwohl die Geister ihrer Fähigkeiten beraubt waren, war es leicht, sich vorzustellen, wie sie sich rührten … wie sie erwachten … Elewin schauderte und begann, sich vorsichtig seinen Weg durch das Labyrinth von Fluren und Treppenhäusern unter der Akademie zu bahnen. Als er an dem Raum vorbeikam, in dem die Todesgeister eingeschlossen waren, hielt er den Atem an und beschleunigte seinen Schritt. Die Klinge schwirrte ohne Vorwarnung aus der Dunkelheit hervor, nur einen Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. Elewin machte einen Satz zurück um die scharfe Biegung in dem Korridor, wobei er vor Furcht beinahe seine Laterne fallengelassen hätte. »Ich bin es, du Narr!« zischte er. »Was, zum Kuckuck, hast du hier zu suchen. Du hättest mir um ein Haar die Nase abgeschnitten!«

»Tut mir leid.« Die kleine, drahtige Gestalt Parrics, des Kavalleriehauptmanns, erschien an der Ecke. Er grinste von einem Ohr zum anderen. »Ich scheine langsam einzurosten. Ich habe doch auf deinen Kopf gezielt!«

Elewin konnte das gar nicht komisch finden. »Warum hast du nicht an der gewohnten Stelle gewartet? Was wäre passiert, wenn ich nun einer von den Magusch gewesen wäre?«

Parric zuckte mit den Schultern. »Du hast dich verspätet«, beklagte er sich. »Ich habe mir hier unten fast die Eier abgefroren. Ich mußte mich einfach etwas bewegen, um warm zu bleiben.«

»Schon gut«, seufzte der Haushofmeister. Jetzt war ihm klar, wo er seine unflätige Ausdrucksweise herhatte. »Ich habe Nachrichten für euch. Laß uns weiter runtergehen, wo es sicherer ist, dann können wir reden.«

»Ich weiß nicht, worüber du dich so aufregst«, knurrte Parric. »Niemand, der noch recht bei Verstand ist, würde in einer Nacht wie dieser hier herunterkommen, oder? Ich möchte schwören, daß mir Eiszapfen gewachsen sind an meinem –«

»Parric!«

Der Kavalleriehauptmann kicherte.

Die uralten Teile der Katakomben, die Anvar entdeckt hatte, waren kaum mehr als eine Reihe tief in den Felsen liegender, natürlicher Höhlen. Sie waren mittlerweile ihrer Schätze beraubt worden, und die Schritte der beiden Männer hallten in den kahlen Kammern laut wider. Da der altertümliche Zauber, der ihren Inhalt bewacht hatte, durchbrochen worden war, hatte die Feuchtigkeit von dem nahe gelegenen Fluß sich nun auch hier Zutritt verschafft. Die dunklen Mauern waren von schimmernden Eiskristallen übersät, die das Lampenlicht zurückwarfen, und der Boden war glitschig und trügerisch. Elewin umklammerte seine Laterne, weil er befürchtete, sie könnte seinen tauben Fingern entgleiten. Wie sehr er wünschte, daß Finbarr noch am Leben wäre. In den Tagen des Archivars waren diese Höhlen von Maguschlicht erleuchtet und von einem Zauber warm und trocken gehalten worden.

»Siehst du? Genau wie ich dir gesagt habe. Kälter als das Herz eines Freudenmädchens ist’s hier unten.« Parric zog die Überreste einer zertrümmerten Holztruhe aus einer Ecke und setzte sich, wobei er Elewin bedeutete, sich zu ihm zu gesellen. »Ich nehme nicht an, daß du etwas zu essen mitgebracht hast? Oder eine Flasche?« fragte er hoffnungsvoll.

»Ich hatte keine Gelegenheit dazu. Tut mir leid, Parric. Ich weiß, daß es dort, wo du dich versteckst, nicht viele Annehmlichkeiten gibt. Aber ich habe eine Nachricht für dich, die dir das Herz besser erwärmen wird als jede Flasche.« Elewin grinste und kostete den Augenblick aus. »Die Lady Aurian ist angeblich noch am Leben!«

Er erzielte kaum die Reaktion, die er erwartet hatte. Der sehnige, hartgesottene kleine Kavalleriehauptmann starrte ihn an, und Tränen stiegen ihm in die Augen, die dann unkontrolliert über seine Wangen liefen. Schließlich wandte Parric sich abrupt ab, barg das Gesicht in seinen Händen und begann zu schluchzen.

»Parric!« Ein vollkommen verwirrter Elewin setzte die Laterne ab und legte dem Mann einen Arm um die Schultern.

»Es tut mir leid«, brachte Parric mühsam hervor. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und schaute sein Gegenüber verlegen an. »Nicht gerade das, was du von einem zähen alten Bastard wie mir erwartet hättest, wie?« Er schluckte. »Bei den Göttern, habe ich dieses Mädchen gern gehabt! Wir alle haben sie geliebt – sie und Forral. Wir dachten, sie wären beide getötet worden – und dann hat Vannor uns erzählt, daß sie Forrals Kind unterm Herzen trug … Elewin, das ist ja ein Wunder! Ein verdammtes Wunder!« Er drückte dem Haushofmeister den Arm. »Wo ist sie? Wie geht es ihr?«

Es tat Elewin in der Seele weh, Parrics Freude einen Dämpfer zu versetzen. »Du darfst dir nicht zuviel erhoffen, Parric. Es steht noch nicht fest. Aber Miathan besteht darauf, daß sie noch immer am Leben ist, und ihr Diener Anvar ist bei ihr.«

»Was, der junge Anvar? Also wahrhaftig! Forral hat ja immer gedacht, der Junge hätte es in sich.«

»Die schlechte Nachricht ist die, daß sie glauben, sie sei in den Südlichen Königreichen, wenn überhaupt irgendwo.«

»Was? Wie, zum blauen Kuckuck, ist sie denn dahin gekommen?«

Elewin erzählte Parric, was er mitangehört hatte. »Du siehst also, wie ernst die Situation ist«, endete er schließlich. »Wenn Eliseth mit dem Wetter herumpfuscht, würde es nicht nur Aurian in Gefahr bringen, es wäre eine Katastrophe für unser ganzes Volk – schlimmer als irgend etwas, das uns seit der Verheerung widerfahren ist.«