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»Was ist da los?« Vannor kam in Begleitung von Sangra und Dulsina auf sie zugelaufen. »Parric! Wir haben schon gedacht, wir hätten dich verloren.« Beim Anblick von Meiriel weiteten sich seine Augen. »Was hat sie hier zu suchen?«

»Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten, Sterblicher!« – »Sie ist aus der Akademie geflohen.« Die Magusch und Elewin hatten gleichzeitig gesprochen und sich dann umgedreht, um einander wütend anzufunkeln.

»Du sagst, sie sei geflohen?« Vannors Augen flackerten von Elewin zu Meiriel. »Würde mir wohl liebenswürdigerweise jemand erklären, was das zu bedeuten hat?«

»Es ist ziemlich einfach«, sagte die Heilerin kalt. »Ich konnte Miathans Augen nicht heilen, und deshalb hat mich Eliseth, diese Nutte, gefangengesetzt.«

Parric stürzte sich auf ihre Worte. »Konntest du nicht – oder wolltest du nicht?«

Meiriel warf ihm einen hochmütigen Blick zu. »Seine Augen waren vollkommen zerstört. Aber selbst wenn ich ihn hätte heilen können, hätte ich es nicht getan. Nicht, nachdem seine Kreaturen meinen Finbarr getötet haben.« Ihre Stimme war voller Haß. »Aber wie dem auch sei, heute abend ist es mir gelungen, zu entkommen. Ich bin Elewin gefolgt und habe gehört, was er zu dir gesagt hat: daß Aurian noch am Leben ist. Ich muß sie finden.«

»Sie lebt? Warum, zum Kuckuck, hast du mir nichts davon gesagt?« Vannor wandte sich an Parric.

»Dazu war keine Zeit«, protestierte er, »nicht mitten im Kampf …«

»Kampf?« Nun war es an Elewin, das Gespräch zu unterbrechen.

Vannor nickte. »Jemand hat uns verraten«, erklärte er.

»Ihr beide müßt jetzt mit uns kommen«, warf Parric ein. »Du kannst jetzt nicht mehr hierbleiben, Elewin, und es wäre nicht sicher genug, wenn wir sie zurückließen.«

»Einen Augenblick mal.« Vannor wandte sich an Meiriel. »Warum mußt du Aurian finden?«

»Sie braucht meine Hilfe«, erwiderte die Maguschfrau. »Miathan hat das Kind mit einem Fluch belegt. Sie trägt ein Ungeheuer unter dem Herzen.«

»Was!« explodierte Parric. »Dieser Bastard! Ich bringe ihn um!«

»Immer mit der Ruhe, Parric.« Vannor mußte seine ganze Kraft aufbieten, um seinen Freund davon abzuhalten, durch den Tunnel zurückzukehren. »Das ist nicht der rechte Augenblick. Wir müssen sehen, daß wir sicher hier wegkommen, bevor wir uns mit dieser Sache beschäftigen können.«

Also machten sie sich auf den Weg, um am Ausgang der Kanalisation zu den anderen Rebellen zu stoßen; Sangra ging mit Parric voran, der immer noch vollkommen außer sich war vor Zorn und Trauer. Dulsina nahm Meiriel unter ihre Fittiche. Im Weitergehen zog Elewin irgendwann Vannor zur Seite, so daß sie außer Hörweite der anderen waren. »Hör gut zu«, sagte er. »Lady Meiriel mag zwar die Wahrheit sagen, aber ich würde euch doch raten, sehr vorsichtig zu sein. Sie scheint im Augenblick ganz klar zu sein, doch seit Finbarrs Tod ist sie nicht mehr sie selbst. Wir haben es mit einer Wahnsinnigen zu tun, Vannor. Was immer du tust, du darfst ihr auf gar keinen Fall vertrauen.«

30

Rabe

Der Prinz und sein Gefolge brachen bei Sonnenuntergang das Lager ab und machten nur eine kurze Pause, um hastig ein paar Bissen herunterzuschlingen, bevor sie sich wieder auf ihren Weg durch die Wüste machten. Obwohl der Mond noch nicht aufgegangen war, gab es Licht genug. Der Juwelenstaub brannte und funkelte in einer Vielzahl kristallener Schattierungen und hielt das Glühen des Sonnenuntergangs noch lange fest, nachdem es vom Himmel verschwunden war. Sandwolken wehten sanft in der umherstreifenden Nachtbrise über den Boden und kreuzten ihren Weg wie suchende Irrlichter unter den Sternen. Aurian war seltsam still und in sich gekehrt; und Anvar, der neben ihr ritt, staunte über die Sicherheit, mit der Yazour seinen Weg in diesem gesichtslosen Land zu finden schien. Angetrieben von Langweile und Neugier, ritt er nach vorn, um sich zu erkundigen, wie er das machte. Anvar bemerkte das Aufblitzen von Yazours Lächeln unter seinen Schleiern. »Ah«, sagte er. »Das ist die Magie meines Volkes. Die Wüste liegt uns im Blut, und das schon seit endlosen Generationen.« Er lachte. »Mein Freund, ich necke dich nur. Sei versichert, es gibt viele Möglichkeiten – die Geländeformation, die Ausrichtung der Dünen im Wind –, aber vor allem finde ich mich anhand der Sterne zurecht.«

Anvar zog eine Grimasse. »Daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Ich nehme an, das liegt daran, daß die Sterne hier ganz anders sind.«

Yazour hob die Augenbrauen. »Die Sterne sind anders? Wie seltsam! Erzähle mir, Anvar. Sind alle Dinge in deiner nördlichen Heimat anders als hier? Wie ist es dort?«

Anvar lächelte, denn er mochte diesen jungen Mann und überlegte nun, wo er anfangen sollte. Alles im Norden war so verschieden von dem, was er hier kennengelernt hatte, daß sie wohl ein Gesprächsthema für die ganze Nacht hatten – aber er kam niemals dazu, ihm eine Antwort zu geben, denn in diesem Augenblick stieß sein Pferd einen Schmerzensschrei aus und fiel taumelnd und stolpernd in den weichen Juwelenstaub. Anvar wurde ruckartig nach vorn geworfen und mußte all seine Kraft aufbieten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und die Zügel schießen zu lassen. Yazour fluchte wild, sprang ab und griff nach seinem Zaumzeug, um die torkelnde Stute wieder auf die Beine zu bringen, während Anvar aus dem Sattel glitt. Das Tier zitterte am ganzen Leib, und die Spitze eines seiner Hinterhufe berührte kaum den Boden. »Beim Blute des Schnitters! Sie lahmt.« Yazour untersuchte den zuckenden Huf. Das Entsetzen auf seinem Gesicht ging weit über jedes normale Bedauern hinaus.

»Was ist los?« Harihns Stimme klang hart über ihren Köpfen, als er seinen Hengst neben ihnen anhalten ließ.

Yazour machte ein grimmiges Gesicht. »Anvars Reittier hat sich verletzt.«

Harihn zuckte mit den Schultern. »Wirklich schade«, sagte er kühl. »Du weißt ja, was in diesem Fall zu tun ist.«

»Aber, Euer Hoheit …«

»Erledige das, Yazour.«

Der Krieger seufzte. »Es tut mir leid, Anvar«, sagte er sanft. »Wenn es irgendeine andere Möglichkeit gäbe …«

»Was meinst du damit?« Anvar war erschrocken über die Art, wie Yazour ihn ansah, als wäre er bereits tot …

»Das ist das Gesetz der Wüste.« Harihns Stimme war kalt und erbarmungslos. »Wir haben keine zusätzlichen Pferde – die letzten gingen an diese Freunde, die deine Aurian unbedingt mitnehmen wollte. Weil wir so wenig Wasser haben, können wir es dir nicht gestatten, uns auf dem Weg zur nächsten Oase aufzuhalten. Das Gesetz der Wüste besagt, daß wir dich zurücklassen müssen.«

»Was habt Ihr gesagt?« Niemand hatte gesehen, wie Aurian sich ihnen genähert hatte. Ihre Hand lag auf dem Heft ihres Schwertes. Sie zog ihren Schleier zurück, und ihre Augen glitzerten in einem tödlichen, stählernen Licht, als sie auf Harihn zuritt. »Wenn Ihr glaubt, ich würde Anvar hierlassen, damit er stirbt, dann habt Ihr Euch gewaltig geschnitten, Prinz.«

»Lady, halt dich da raus. Das Gesetz duldet keine Ausnahmen.« Harihn machte ein Zeichen, und ein Ring von Soldaten schloß sich mit gespannten Armbrüsten um die Magusch. »Willst du eines einzigen Mannes wegen gegen meine ganze Armee kämpfen?« fragte der Prinz sanft.

Aurians kalte Augen blitzten auf. »Mach nicht den Fehler, mir zu drohen«, knurrte sie. Shia, die neben ihr stand, unterstrich ihre Worte mit einem drohenden Fauchen. Die Magusch zeigte mit dem Finger auf den Prinzen. »Ich könnte Euch niederschlagen, bevor diese Bolzen Zeit hätten, mich zu erreichen. Wollt Ihr es Euch nicht lieber noch einmal überlegen?«

»Senkt eure Waffen«, rief Yazour mit herrischer Stimme. Die Soldaten gehorchten ihrem Hauptmann auf der Stelle.

»Wie kannst du es wagen!« fuhr Harihn ihn an.

»Er hat mehr Verstand als Ihr«, sagte Aurian und stieg vom Pferd. »Ich bin sicher, wir können dieses Problem auch ohne Gewalt lösen, Harihn. Anvar, laß mich einen Blick auf dein Pferd werfen.«

Anvar hielt das Pferd fest, während die Magusch mit vor Konzentration gerunzelter Stirn niederkniete, um den verletzten Huf zu untersuchen. »Hm«, murmelte sie sanft, »nichts zu sehen – aber was ist das da?«