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Miathan stieß einen Wutschrei aus – einen Schmerzensschrei – den Schrei eines rasenden Verlustes. Anvar floh; die Welt blitzte in einem Nebel verschwommener Farben an ihm vorbei; aber der Erzmagusch, nicht der alte, blinde, sondern der mächtige und starke, verfolgte ihn wie ein großer, schwarzer Drache, ein Ungeheuer, das den tiefsten Ängsten des Menschen entsprang. Die Gewalt seines Zornes brannte heiß auf Anvars Absätzen, während er immer weiter floh – aber wohin? Wie konnte er seinen Weg zurück finden? Miathan kam näher … . näher. Dann schoß plötzlich eine gewaltige, glühende Kraft an Anvar vorbei, wie ein Speer aus Licht. Sie rammte sich in den Erzmagusch hinein, brachte ihn zu Fall, warf ihn zurück, hinab, hinweg …

»Komm!« Anvar hörte Aurians Stimme und folgte voller Erleichterung ihrem funkelnden Licht, bis er sich mit einer lautlosen Explosion und einem gewaltigen Ruck auf dem Fußboden des Zeltes wiederfand.

Aurian lag neben ihm. Ihre Augen flackerten und schienen ihn aufspießen zu wollen. Anvar mußte sich zusammennehmen, um ihrem Blick zu begegnen. In ihren Augen fand er Zorn und Verwirrung, vor allem aber eine furchtbare, schwindelerregende Angst um seine Sicherheit, die mit der Erinnerung an einen älteren, größeren Schmerz verbunden war. Es war, als wären ihre Augen Waldseen, und er konnte ihre Gedanken wie schwer faßbare Fische unterhalb der Oberfläche umherhuschen sehen. »Was hast du getan?« flüsterte sie. »Wie hast du das fertiggebracht?«

Anvar konnte ihr keine Antwort geben. Er fühlte sich seltsam orientierungslos, als wäre er von einem unergründlichen Raum umgeben, statt von den Seidenwänden des engen Zeltes. Ein Raum, in dem er leicht hinabstürzen konnte … Der Boden schien unter ihm aufzureißen und zu schmelzen, und voller Panik riß er nach der Hand der Magusch.

Aurian setzte sich auf und sah ihn aufmerksam an. »Schließ die Augen«, sagte sie, und ihr Ton war plötzlich energisch und sachlich. »Konzentriere dich auf deinen Körper. Du bist zu schnell zurückgekommen, und du bist noch nicht ganz bei dir. Spüre deinen Körper, Anvar. Spüre dein Herz, wie es schlägt, spüre den festen Boden unter dir und die Hitze des Zeltes auf deiner Haut.« Sie beugte sich vor, bis ihr Gesicht dem seinen ganz nahe war. Anvar blickte in die grünen Tiefen ihrer Augen, sah den langen, feinen Schwung ihrer Augenlider, die klare Wölbung ihrer Brauen, die stolze, fein gemeißelte Skulptur ihrer hohen Wangenknochen und der hervorspringenden Nase, Juwelenstaub glitzerte wie Sternschnuppen in dem schlummernden Feuer ihres Haars, und plötzlich überfiel ihn eine lebhafte Erinnerung an jenen lang vergangenen Sonnenwendmorgen, als sie auf den Stufen des Turms gestanden hatte, auf dem Kopf eine Krone aus Schneeflockendiamanten.

»Denk an deinen Körper – nicht an meinen!« sagte Aurian schroff, und Anvar errötete. Er hatte nicht bedacht, daß sie seine Gedanken ebenso klar lesen konnte wie er die ihren.

»Es ist schon gut – ich fühle mich jetzt besser.« Er wich ihrem Blick aus.

»Gut«, fuhr sie auf, »denn du hast mir einiges zu erklären.«

Gerade in diesem Augenblick trat Bohan ein, die Augen wegen des zunehmenden Funkeins draußen fest zusammengekniffen. Er hatte ihre Ration an Essen und Wasser geholt, und sein Gesichtsausdruck rügte sie für ihre Vergeßlichkeit.

»Bohan, was würden wir nur ohne dich tun?« sagte Aurian. Das Gesicht des Eunuchen leuchtete vor Freude, als er ging. »Iß«, drängte sie Anvar. »Es kostet sehr viel Energie, wenn man aus seinem Körper tritt.«

Anvar stellte fest, daß er zitterte, und nahm einen hastigen Bissen getrocknetes Fleisch. »Ist es das, was ich getan habe?«

Aurian seufzte. »Ja, Anvar«, sagte sie mit mühsam erzwungener Geduld. »Genau das hast du getan. Und jetzt, im Namen aller Götter, würdest du bitte so freundlich sein, mir zu erklären, was los ist?«

Bei der Erinnerung daran, wie er dem Erzmagusch nur um Haaresbreite entkommen war, erstarrte Anvar. »Er – er konnte uns doch nicht folgen, oder?«

»Nein.« Aurians Stimme klang beruhigend. »Ich habe ihn zu hart getroffen. Er wird eine ganze Weile brauchen, um seinen Körper wiederzufinden. Ich wünschte nur, ich hätte ihm den Rest geben können, aber wenn wir unsere Körper verlassen, befinden wir uns auf einer anderen Ebene der Wirklichkeit. Ein Magusch kann dort gefangen werden, wenn man seinen Körper in seiner Anwesenheit zerstört, aber man kann ihn nicht töten. Und nun vergiß Miathan. Laß uns von dir sprechen.«

Mit einer Stimme, die vor Erschütterung zitterte, erzählte Anvar ihr von Rias Tod und von der Entdeckung seiner Kräfte. Er fuhr fort mit der Beschreibung dessen, was Miathan ihm angetan hatte, und endete mit seiner Flucht aus den Küchen und seiner Begegnung mit Aurian in der Garnison.

Die Magusch starrte ihn mit offenem Mund an. »Das ist ja monströs!« Sie schlug mit der Faust auf den Boden und sah zutiefst erschüttert aus. »Wie konnte Miathan nur so etwas tun? Wenn ich es doch nur gewußt hätte. Wenn du mir doch nur davon hättest erzählen können!«

Anvar zuckte mit den Schultern. »Ich hätte es wahrscheinlich nicht getan. Ich habe dir damals nicht vertraut. Ich dachte, du wärst wie die anderen und stecktest mit Miathan unter einer Decke. Jetzt weiß ich es natürlich besser.« Er schluckte.

»Ich wüßte gern, wie du Miathans Zauber gebrochen hast.« Aurian war plötzlich wieder ganz praktisch geworden. »Und ich wüßte auch gern, was passiert ist, als du – als du weg warst!«

»Die zweite Frage kann ich dir beantworten.« Und er erzählte ihr, was er getan hatte.

»Du hast sie zurückgeholt?« Aurian schien wie vom Donner gerührt. »Kein Wunder, daß Miathan so wütend war.« Sie schnippste mit den Fingern. »Wütend! Natürlich! Anvar, ich habe gerade herausgefunden, wie du es gemacht hast. Damit ein Zauber wie der, mit dem Miathan dich belegt hat, funktionieren kann, mußtest du daran glauben, daß du leiden würdest, wenn du irgend etwas sagst. Heute warst du so wütend, daß du blind für die Konsequenzen warst – und dein Zorn hat dir die Kraft gegeben, die du brauchtest, um dich zu befreien.«

Anvar war entsetzt. »Meinst du damit«, sagte er langsam, »daß ich in all diesen Jahren selbst schuld an meinem Leiden war?«

»Natürlich nicht. Deine Unterwerfung war nur ein Teil des Zaubers. Wenn du immer noch in Miathans Nähe gewesen wärst, bezweifle ich, daß du dich jemals von ihm hättest befreien können, aber er ist weit weg, und mein Angriff auf ihn muß seine Macht geschwächt haben. Das hat zusammen mit deinem Zorn eine Bresche geschlagen, und deine Kräfte haben dich zu sich geholt.« Sie schwieg und starrte ihn an, als wäre er ein Fremder. »Ich kann es immer noch nicht glauben, Anvar. Du ein Magusch.«

»Macht das einen solchen Unterschied?« Die Frage klang schärfer, als er beabsichtigt hatte, und Anvar begriff, daß er Angst hatte, tödliche Angst, daß sie reagieren würde, wie Miathan es einst getan hatte, und ihn als eine Art Monster betrachten würde.

»Nein!« Aurians Antwort kam schnell und empört, aber dann wandte sie den Blick ab.

»Ja«, seufzte sie. »Ich kann nicht es glauben, Anvar. Du … sein Sohn …«

»Sag das niemals wieder!« fauchte Anvar sie an. »Ich bin nicht Miathans Sohn und werde es niemals sein. Meine Mutter war eine der Sterblichen, die er verachtet hat. Du weißt, was er mir angetan hat und dir und Forral. Glaubst du, ich könnte jemals so sein wie er?«

Aurian senkte beschämt den Blick. »Was für eine Närrin ich doch bin!« sagte sie schließlich. »Du hast recht – o ihr Götter, wie recht du hast! Du könntest niemals zu Miathans Grausamkeit fähig sein. Du bist genauso sein Opfer wie Forral und ich.« Sie streckte ihm die Hand hin. »Kannst du mit jemals verzeihen, Anvar?«