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»Große Götter, du hast recht!« Hoffnung flackerte wie ein Sonnenstrahl in Anvars Brust auf. »Sie hat mir erzählt, daß die Magusch es immer wüßten, wenn einer von ihrem Blute stirbt. Wenn sie also tot wäre –«

»Dann hättest du es auch gespürt«, brachte Shia den Satz für ihn zu Ende.

»Aber wenn wir sie nicht erreichen können, wo ist sie dann?«

»Bleib ganz ruhig, Mann. Und hör mir zu.« Shia setzte sich und wandt ihren Schwanz ordentlich um ihre Pfoten. »Als ihr zwei da in dem Zelt wart und diese Sachen gemacht habt –«

»Das haben wir nicht!«

»Ach, doch nicht diese Sachen, du Dummkopf.«

»Oh! Du meinst die Magie.«

»Ich bekomme dann immer ein ganz unangenehmes, prickelndes Gefühl in meinem Pelz.« Ihr Schwanz zuckte. »In dieser Höhle habe ich es auch.«

»Dann war es kein Tier? Du glaubst, Aurian ist von Magie gefangengenommen worden? Aber wir haben dieses verfluchte Becken wieder und wieder durchsucht und überhaupt nichts gespürt.«

»Wenn Aurian etwas gespürt hätte, hätte sie sich dann gefangennehmen lassen?« fragte Shia spitz.

»Was immer es ist, es muß also noch da sein.« Anvar raffte sich mühsam auf und lief los. Als er am Becken angekommen war, stürzte er sich hinein. Aber was genau suchte er da eigentlich? Irgendeine verborgene Öffnung vielleicht? Er hielt inne, und während er bis zur Taille im Wasser stand, sah er sich wild um. Es konnte nicht unter der Oberfläche sein – sie hatten das Becken von einem Ende zum anderen abgesucht. Dann wurde es ihm plötzlich klar. Wo war der offensichtliche Ort, um eine Tür anzubringen? In einer Wand natürlich. Seine Augen wanderten automatisch zu der glatten, flachen Oberfläche, wo der Wasserfall hinuntertröpfelte.

»Anvar! Was machst du da?« Die anderen hatten sich am Rand des Beckens versammelt. Ohne ihnen Beachtung zu schenken, watete Anvar durch das Wasser bis hin zu der Wand und begann, sie mit beiden Händen abzutasten.

»Ich habe es gefunden!« Anvars Triumphgeschrei ging in einem schrillen, angstvollen Kreischen unter, und sein Jubel verwandelte sich in Entsetzen, während der Stein unter seinen Händen zu schmelzen begann, klebrig und bösartig wurde und ihn wie Treibsand in sich hineinzog. Das Zeug hatte schon seinen Kopf und seine Schultern verschlungen, so daß er keine Luft mehr bekam. In Panik schlug er um sich, und dann konnte er plötzlich wieder frische Luft atmen, obwohl er in der ungeheuerlichen Schwärze, die vor ihm lag, nichts sehen konnte.

»Aurian?« rief er. Er bekam keine Antwort. Aber sein Körper hatte das enge Portal beinahe durchquert. Er spürte eine glasartige Oberfläche unter seinen Fingern und klammerte sich verzweifelt daran fest, während er versuchte, sich vorwärts zu ziehen. Dann packte etwas von hinten seine Füße in einem eisernen Griff. Etwas zog ihn zurück. »Nein!« heulte er. Er war so nahe – er mußte einfach weiter! Aber Zentimeter um Zentimeter glitt er nach hinten, bis seine Schreie wieder in dem erstickenden Druck des Portals ertränkt wurde. Er spürte einen Druck an seinen Knöcheln, und er schoß hinaus in das Becken, wo er direkt auf Bohan landete, der sich nach Kräften bemühte, ihn an den Rand des Wassers zu ziehen.

»Du Idiot!« Shias Krallen waren eingezogen, aber der Schlag ihrer gewaltigen Pfote warf ihn zu Boden.

Anvar setzte sich benommen auf. »Wie konntest du mir das nur antun!« fauchte er Bohan an. »Ich war beinahe durch!«

»Wir hatten keine andere Wahl«, protestierte Eliizar. »Was würde es uns nützen, wenn ihr beide in der Falle säßet?«

»Denk nach!« Shias Gedanke schnellte wie ein Peitschenschlag durch Anvars Kopf. »Wir müssen eine Möglichkeit finden, zu verhindern, daß das Portal sich hinter uns schließt, damit wir wieder herauskommen, falls wir uns entschließen, hindurchzugehen.«

»Anvar, hast du sie gesehen?« fragte Nereni ängstlich. »Ich habe gar nichts gesehen – es war zu dunkel, aber ich habe nach ihr gerufen, und sie hat mir nicht geantwortet«, erwiderte er kläglich.

Eliizar runzelte die Stirn. »Aber ich habe diesen Fels doch abgetastet, als ich das Becken durchsucht habe, und mir ist nichts aufgefallen.«

Anvar starrte ihn an. »Also reagiert er nur auf Magusch«, sagte er langsam.

»Zauberer?« keuchte Eliizar. Hastig trat er einen Schritt zurück und machte ein Zeichen gegen das Böse. »Aber du bist doch kein …«

»Doch, Eliizar, ich bin einer von ihnen – genauso wie Aurian.«

Nereni war, obwohl sie ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte, praktischer veranlagt als ihr Mann. Sie zog drängend an Anvars Ärmel. »Kannst du diese Zauberei benutzen, um das Portal für uns zu öffnen?«

Konnte er das tun? Vielleicht hatte sie ja recht. Aber wie sollte er es anstellen? Anvar hatte keine Ahnung, wie die Magie des Portals funktionierte – er war in diesen Dingen immer noch ein Anfänger, und Aurian hatte nur wenig Zeit gehabt, ihm etwas beizubringen. Dann hatte er plötzlich die Lösung.

Es war einer der ersten Zauber, die Aurian ihn gelehrt hatte, da sie beide die entsetzliche Angst vor den Nihilim noch frisch im Gedächtnis hatten. »Nereni, ich glaube, ich kann es!«

Anvar stellte sich vor den unscheinbaren Fels des Portals. Bohan stand hinter ihm und hatte seine dicken Arme um die Taille des Magusch geschlungen. Eliizar und Nereni warteten am Rande des Beckens, denn sie wagten es nicht, näher zu kommen, obwohl der Schwertmeister sich offensichtlich wegen seiner Feigheit schämte.

»Bist du bereit, Bohan?« Anvar warf einen Blick zurück über seine Schulter. Der Eunuch nickte und verstärkte seinen Griff. »Jetzt!« murmelte Anvar und legte seine Hand auf den Fels.

Wieder ertönte dieser gewaltige, schrille Schrei. Der Fels wurde flüssig und klebrig und klammerte sich an Anvars Arm, um ihn in sich hineinzuziehen. Aber diesmal hielt ihn Bohan fest, wild entschlossen, der Kraft des Felsens zu widerstehen. Anvar konzentrierte sich mit aller Kraft und versuchte, sich gegen die ungeheure Ablenkung, die seine Angst ihm bereitete, zur Wehr zu setzen. Er mußte das hier unbedingt schaffen. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Dann streckte er seine freie Hand aus und baute vorsichtig Finbarrs Zeitzauber auf – und taumelte in Bohans Armen zurück ins Wasser, als die Kraft, die an ihm gezogen hatte, plötzlich nachgab. Anvar rappelte sich wieder auf, spuckend und keuchend, und griff nach dem Fels. Bohan kam ihm jedoch zuvor und stieß seine eigene Faust mitten hindurch – und zog sie mühelos wieder heraus.

»Es hat funktioniert!« schrie Anvar. »Eliizar, es hat funktioniert! Ich habe das Portal aus der Zeit genommen! Wir können jetzt hindurchgehen.«

Shia stürzte vor; offensichtlich bedurfte sie keiner weiteren Einladung, aber Eliizar machte einen Schritt zurück. »Ich – ich kann nicht!« keuchte er mit bleichem Gesicht. »Anvar, vergib mir, aber Zauberei … Ich kann einfach nicht!«

Anvar legte eine Hand auf seine Schulter. »Mach dir keine Sorgen, Eliizar – wir haben alle unsere Ängste.« Mit einem schmerzlichen Stich erinnerte er sich daran, daß er dasselbe zu Aurian gesagt hatte, oben auf den Klippen. »Ich muß gehen.« Er wandte sich wieder dem Portal zu, wo Bohan und Shia warteten, die offensichtlich darauf brannten, endlich etwas zu unternehmen. »Du und Nereni, ihr bleibt hier und wartet auf uns. Wir kommen so schnell wie möglich wieder zurück.«

»Warte!« Nereni rannte zu ihm hinüber und planschte in ihrer Hast durch das Wasser. »Hier.« Sie warf ihm ein Bündel zu. »Hier ist ein Wasserschlauch und etwas zu essen – das arme Mädchen muß ganz ausgehungert sein –, und ich habe auch ein Kleid für sie eingepackt und ihre Stiefel – und vielleicht wird sie das hier auch brauchen.« Sie reichte ihm Aurians Schwert und den Stab. »Beeilt euch«, drängte sie ihn und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Kuß auf die Wange zu geben. »Beeil dich, Anvar, und kommt gesund zurück.«