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Es war schwierig, sich einen Weg durch den bösartigen Fels zu bahnen, ohne daß der Zauber das Portal für sie öffnete. Shia, der sich vor Ungeduld die Nackenhaare aufgestellt hatten, ging als erste, und Anvar und Bohan halfen ihr, indem sie von hinten schoben. Dann folgte Anvar; er spürte die gewaltigen Kiefer der Katze an seinem Kragen, als sie ihn hindurchzog. In der Kammer, in die sie gelangten, war es pechschwarz – selbst die Nachtsichtigkeit der Magusch half da nicht weiter. Anvar drehte sich um und griff nach Bohans Hand, und Shia half ihm, den Eunuchen hindurchzuziehen. Bohan hatte eine Fackel mitgebracht, aber als er sie entzündete, gab die Flamme kein Licht.

»Was, um alles in der Welt, ist das …« ächzte Anvar. Er konnte das Licht in der Luft flackern sehen wie einen bleichen, körperlosen Geist, aber das war auch alles. Es beleuchtete absolut gar nichts.

»Magie!« fauchte Shia angewidert. »Mach du irgendwie Licht!«

Anvar seufzte, Feuermagie war nicht gerade seine Stärke, aber mit ungeheurer Konzentration gelang es ihm, eine ziemlich zittrige Kugel Maguschlicht zu formen – und er fiel schreiend zu Boden, als die Kammer sich plötzlich mit einer Helligkeit füllte, die einem die Augen versengte.

»Mach es aus!« brüllte Shia gequält. Anvar löschte sein Licht; seine Augen tränten, und rote und grüne Flecken schienen vor ihm zu tanzen. Er raffte sich auf, nur um gleich wieder zu Boden zu fallen, als die ganze Kammer sich mit einem gewaltigen Aufschrei zu bewegen begann und mit furchterregender Geschwindigkeit nach oben jagte.

Als Anvars Blick wieder klar wurde, sah er, daß das Gewölbe jetzt von einem sanften Glühen erleuchtet wurde, das von den Wänden selbst auszugehen schien. Die Wände! Seine Gedanken überstürzten sich. Er befand sich in einem hohlen Edelstein! Überall um ihn herum tauchten unendlich viele Bilder von ihm selbst auf, von Shia und Bohan. Wenn er sich bewegte, tanzten die Bilder auf und ab, bis ihm ganz schwindlig wurde vor Verwirrung. Es war, als wäre er selbst ebenfalls ein Teil der Bilder, als würde seine Seele, ja sein ganzes Selbst in die Wände hineingesogen. Neben ihm stieß Shia ein unglückliches Wimmern aus. Es war das erste Mal, daß er bei der großen Katze ein Anzeichen von Furcht entdeckte. »Es ist alles gut.« Er versuchte, überzeugend zu klingen. »Bleibt ganz still liegen und schließt die Augen. Wir werden irgendwo hingebracht – vielleicht zum Berggipfel. Es wird sicher besser, wenn wir oben angekommen sind.«

»Wenn ich den in die Krallen kriege, der dieses Ding hier gemacht hat!« murmelte Shia zornig. Nachdem sie das gesagt hatte, begann Anvar tatsächlich zu überlegen, wer wohl die Schöpfer dieses seltsamen Gebildes sein mochten. Das hier lag weit jenseits der Kräfte seines eigenen Maguschvolkes. Aber mit wem – oder mit was – hatte er es hier zu tun? Und was hatten sie mit Aurian gemacht?

»Also, wie kommen wir hier wieder raus?« Genau wie Anvar es vorhergesehen hatte, kam die Bewegung schließlich vibrierend zum Stillstand. Er sah sich um: Die Bilder, die sich auf allen Seiten bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schienen, verwirrten ihn. Dann sah er es – den bleichen, bläulich schimmernden Flecken Maguschlicht, der den Bereich markierte, in dem sein Bannzauber wirkte. Er stemmte sich auf die Knie und streckte versuchsweise die Hand danach aus. Zu seiner Erleichterung wirkte der Zauber noch immer, und seine Hand ging mühelos durch die Wand des Edelsteins.

»Laß mich vorangehen.« Shia drängte sich an ihm vorbei. »Wenn irgend jemand da draußen ist, dann werde ich mich um ihn kümmern.«

Sie traten auf den flachen, kahlen Felsen, der im Halbdunkel einer anderen Höhle lag. Anvar warf einen Blick zurück und sah eine unscheinbare Wand aus poliertem Stein, und nur das verräterische Glimmen seines Zaubers markierte den Punkt ihres Ausgangs. Er betete darum, daß der Zauber sich halten würde. Das war das erste Mal, daß er etwas so Komplexes ohne Aurians Hilfe versucht hatte, und er war sich seiner rohen, unerprobten Kräfte noch immer nicht sicher.

Das Dach der kleinen Höhle war niedrig und wirkte wie eine umgestülpte Schale. Die Mauer, durch die sie gekommen waren, wölbte sich in einem breiten Halbkreis, an dessen Ende jeweils ein gewaltiger, steinerner Torbogen lag, durch den schwaches Licht zu ihnen hereindrang. An einem der Torbogen stand Bohan und winkte. Anvar beeilte sich, zu ihm zu gelangen.

Hinter dem Torbogen war ein breiter Steinvorsprung, ein vorstehendes Sims über – dem Nichts. Anvar prallte zurück und schluckte, während er sich von dem schwindelerregenden Felsvorsprung entfernte. Soweit er sehen konnte, war der Abgrund darunter schier endlos. Seine steilen Wände erstreckten sich zu beiden Seiten und stürzten hinab in ein grauenerregendes Nichts, in dessen Mitte ein schwaches Licht glühte, das dieses gewaltige Maul im Körper des Berges beleuchtete. Einige hundert Meter weiter weg, am gegenüberliegenden Rand, gab es noch eine hervorstehende Felszunge wie die, auf der er stand, und dahinter erhob sich ein ähnlicher Torbogen. Sein Mund war plötzlich trocken geworden, und Anvar betete darum, daß der Felsvorsprung, auf dem er stand, solider war, als sein Gegenstück aussah. Abgesehen von der reinen Unmöglichkeit seiner Ausmaße, hätte Aurian es bei ihrer Angst vor Höhen niemals geschafft, hinüberzukommen. Und doch war nirgendwo ein Zeichen von ihr zu sehen. Anvar weigerte sich, sich dem Offensichtlichen zu stellen: daß sie über die Klippe in den Tod gestürzt war. Aber wenn das undenkbar war, blieb nur eine andere Möglichkeit: Etwas mußte sie hinübergebracht haben.

Er blickte hinauf zu der niedrigen Decke, von der Stalaktiten wie tropfende Fangzähne herabhingen, und hoffte, daß er irgendeine Möglichkeit finden würde, auf die andere Seite zu gelangen – ein Seil, in den Stein gehauene Handgriffe, irgend etwas. Aber es war nichts da.

Ein schrilles dünnes Kreischen wie Metall, das auf Metall kratzte, ließ Anvar herumfahren. In dem gegenüberliegenden Torbogen kauerte eine Kreatur, die sein Blut zu Eis erstarren ließ. Ihr aufgedunsener, kugelförmiger Körper war breiter, als ein Mann groß war, und das Geschöpf bewegte sich auf einer Anzahl gegliederter, knochig-steifer Beine – zu viele, als daß Anvar sie in diesem entsetzlichen Augenblick der Konfrontation hätte zählen können. Und es benutzte nicht alle Gliedmaßen nur zum Gehen. Andere sprossen wie gräßliche Wucherungen aus seinem matt glänzenden Körper; einige endeten in grausamen Zangen, andere in tödlich scharfen Klingen, die wie zu Messern geschmiedet waren, und wieder andere in Klumpen, die wie Finger aussahen und sich in unaufhörlicher Bewegung öffneten und schlössen und ins Leere griffen. Das Geschöpf hatte keinen Kopf. Um seinen angeschwollenen Körper herum fanden sich in regelmäßigen Abständen Häufungen heller Lichter wie Augen; ein ähnliches Phänomen entdeckte Anvar an den Enden der sich windenden Gliedmaßen. Mit alptraumhafter Langsamkeit durchzuckten diese Gliedmaßen die Luft und wandten ihre blendenden Strahlen unfehlbar in die Richtung, in der Anvar und seine Freunde standen.

»O ihr Götter, rettet uns!« In blindem, gedankenlosem Entsetzen wich Anvar langsam in den schützenden Torbogen zurück. Shia, die neben ihm stand, stieß ein furchtbares Fauchen aus.

»Verteilt euch!« schnarrte sie, während das gräßliche Geschöpf, schneller als man denken konnte, auf sie zujagte – mitten durch die dünne Luft über dem Abgrund!

Die große Katze sprang zur Seite, und Anvar tauchte in den Schatten des Torbogens ein. Die Kreatur hielt auf dem Steinvorsprung inne, ihre unzähligen Gliedmaßen klickten und ratterten, ihre Augen drehten sich und richteten ihre Strahlen bald hierhin und bald dorthin, um sie schließlich auf Bohan zu heften, der, wie gelähmt vor Angst, direkt am Rand des Felsvorsprunges stand. Wieder einmal hörte Anvar das gequälte metallische Kreischen, als die steifen Beine sich bewegten und Schritt für Schritt auf den Eunuchen zugingen.