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»Ein Schlüssel?« Shia hatte schnell begriffen, was er meinte.

»Wenn es so ist, müssen wir ihn finden, und zwar schnell. Wer weiß, wie lange Aurian da drin überleben kann.« Anvar erstarrte, als ihm ein entsetzlicher Gedanke kam. »Was ist, wenn die Kreatur ihn hatte?«

»Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Hör auf, das Schlimmste zu befürchten, und fang an zu suchen.« Mit diesen Worten war Shia verschwunden, um den Raum zu durchstreifen.

Es war Bohan, der das fehlende Stück schließlich hinter dem Kristall in einer Nische in der Mauer fand. Anvar riß es ihm aus der Hand. Es war größer als seine Faust und an einem Ende spitz; seine breiten Facetten fingen an ihren Kanten das Licht ein. Anvar hielt den Atem an, streckte sich, drückte den Stein in das Loch und drehte ihn so lange hin und her, bis er paßte. Mit einem Klicken fügte er sich an seinen Platz, und Anvar trat hastig zurück, als der Edelstein in einem schwindelerregenden weißen Licht zu flackern begann. Allmählich versiegte das Licht, um den Kristall durchsichtig zurückzulassen; alle Spuren seiner früheren Trübheit waren verschwunden. In seinem Inneren sah man nun verzerrte, gebrochene Spiegelbilder von Aurians Körper; dann bildete sich plötzlich ein Riß in der Vorderseite des Juwels. Es öffnete sich der Länge nach wie eine zusammenklappbare Muschel, so daß es sich in zwei ausgehöhlte Segmente mit dicken Wänden teilte. Anvar stürzte vor und fing die Magusch auf, als sie aus dem Edelstein herausfiel – um plötzlich festzustellen, daß er einen Dämon im Arm hielt.

Das Ungeheuer – dieses gräßliche Spinnengeschöpf –, es hatte Aurian wieder in seinem Griff! Die Magusch wehrte sich, so heftig sie konnte, und schlug mit Fäusten und Füßen um sich, wie Maya es ihr vor so langer Zeit beigebracht hatte. Als sie ihr Ziel traf, hörte sie ein seltsam menschlich klingendes Grunzen, und ihr Körper wurde losgelassen.

»Na wunderbar. Er macht sich solche Mühe, um dich zu retten, und du schlägst ihn.« Die Stimme in ihrem Kopf war beruhigend vertraut.

»Shia!« Aurian rollte sich herum und sah sich benommen um, während sie in das unheimliche rote Licht blinzelte. Sie hatte kaum Zeit genug, um die Gegenwart ihrer drei Freunde zu begreifen, da hatte Anvar sie auch schon wieder in seine Arme genommen und sie halb vom Boden aufgehoben, um sie so fest an sich zu drücken, daß sie keine Luft mehr bekam.

»O ihr Götter, Aurian, ich bin so glücklich, dich lebendig wiederzusehen!«

Da sie ihren Kopf an Anvars Schulter geborgen hatte, war die Magusch nicht in der Lage, sein Gesicht zu sehen, aber seine Stimme klang rauh und erstickt. Aurian versuchte, ihm zu antworten, aber ihre Kehle war zu ausgedörrt, um zu sprechen. Anvar löste seine Umarmung gerade lange genug, um in einem Bündel neben ihm zu stöbern und einen Wasserschlauch herauszuziehen. Er stützte sie, während sie trank, und zwang sie – sehr zu ihrem Ärger –, nur kleine Schlucke zu nehmen. Als er den Wasserschlauch wegzog, versuchte, sie, ihn wieder in ihre Gewalt zu bekommen.

»Einen Augenblick.« Seine Stimme war jetzt fester geworden. »Du hast drei Tage lang nichts getrunken. Wenn du das Wasser so schnell hinunterstürzt, wird dir übel werden.«

»Tage?« Aurian versuchte vergeblich, sich zu erinnern. Es war schwer, in dem dämmrigen roten Licht in Anvars Gesicht zu lesen, aber sie glaubte, die Spuren von Tränen auf seinen Wangen zu entdecken. »War ich krank? Habe ich von diesem schrecklichen Spinnenwesen nur geträumt?« Sie stöhnte. »Ich fühle mich, als hätte ich ein dreitägiges Trinkgelage mit Parric hinter mir.« Ihr Mund fühlte sich noch immer trocken an, ihr Kopf hämmerte, ihr Magen brannte, und sie hatte dieselben beunruhigenden Gedächtnislücken, die für gewöhnlich das Ergebnis von zu reichlichem Biergenuß waren.

»Ich denke, du kannst das hier vielleicht gebrauchen.« Anvar fischte ihr Wüstengewand aus seinem Bündel. Aurian stöhnte und wurde sich plötzlich ihrer Nacktheit bewußt. In diesem Augenblick überfluteten sie auch die Erinnerungen wieder. Sie erinnerte sich daran, wie sie in dem Becken gebadet hatte und was anschließend mit ihr geschehen war. Anvar half ihr in ihr Gewand und gab ihr noch etwas Wasser und ein kleines, flaches Stück von Nerenis Brot. Auch während sie aß, ließ er sie keinen Augenblick lang los. Langsam knabberte sie an ihrem Brot und hatte Angst, daß ihr jeden Augenblick schlecht werden würde, aber als das Brot erst einmal unten war, blieb es unten, und sie begann langsam, sich besser zu fühlen und nach mehr zu verlangen.

Während sie aß, erzählte die Magusch ihren Freunden, was ihr geschehen war. Nachdem das Portal sie gefangen hatte, hatte sie dieselbe zufällige Entdeckung gemacht wie Anvar: daß man mit Maguschlicht die Kammer mit dem juwelenartigen Leuchten dazu bringen konnte, sich rasend schnell nach oben zu bewegen. Als sie oben angekommen war, hatte sie lange Zeit damit zugebracht, einen Zauber zu finden, um irgendwie zu den anderen zurückzukehren. Als ihre Bemühungen erfolglos blieben, hatte sie beschlossen, die Kristallkammer zu verlassen und einen anderen Weg nach unten zu suchen. »Ich bin ungefähr auf demselben Weg herausgekommen, wie ich hineingekommen bin«, fuhr sie fort. »Es hat mich direkt durch seine Mauern gesogen – und dann habe ich dieses Spinnenwesen getroffen. Ihr habt ja keine Ahnung, was das für ein Ungeheuer ist.«

»Und ob wir das haben«, versicherte Shia ihr grimmig. »Wir sind ihm auch begegnet.«

Aurian schauderte. »Ich konnte es nicht bekämpfen. Habt ihr gewußt, daß es unempfänglich für Magie ist?«

Anvar schüttelte den Kopf. »Ich habe überhaupt nicht daran gedacht, es auszuprobieren.«

»Was auch gut so war. Es schien die Fähigkeit zu haben, den Zauber direkt auf seine Quelle zurückzuwerfen – ich hätte mich um ein Haar selbst gebraten, bevor ich das herausfand. Aber wie dem auch sei, es hat mich jedenfalls erwischt.« Sie schluckte und versuchte ihre Stimme unter Kontrolle zu bekommen. Anvar zog sie fester an sich, und sie schenkte ihm ein dankbares Lächeln. »Ich habe gekämpft … An das, was danach geschehen ist, kann ich mich nicht erinnern. Es schien nur einen Bruchteil einer Sekunde zu dauern, bevor Shia mir sagte, daß ich dich geschlagen hätte.« Sie hob ihre Hand und fuhr über eine leuchtende Schramme auf Anvars Wangenknochen. »Ich habe dir weh getan. Anvar, das tut mir leid.«

»Das warst nicht du, das war Harihn.«

»Oh, Anvar, ihr habt euch doch nicht schon wieder gestritten?« Aurian war entsetzt. »Ich weiß, daß ihr einander nicht mögt, aber …«

»Warte, bis du die ganze Geschichte gehört hast.« Unterstützt von Shia und von einem gelegentlichen, bekräftigenden Nicken Bohans, erzählte Anvar ihr, was geschehen war. Aurian unterbrach ihn einmal mit erstauntem Entzücken, als er berichtete, wie er herausfand, daß er und Shia miteinander sprechen konnten, und ein andermal mit einem schrecklichen Fluch, als sie hörte, wie Harihn ihre Freunde dem sicheren Tod überlassen hatte. Als ihr Zorn sich soweit beruhigt hatte, daß sie auch den Rest der Geschichte hören konnte, schauderte sie, als Anvar ihr von dem Kampf mit dem Monster berichtete und erzählte, wie Shia beinahe in den Tiefen der Schlucht umgekommen wäre. Aber als Anvar begann, ihr die Überquerung der unsichtbaren Brücke zu schildern, war es einfach zuviel.

»Erzähl es mir nicht. Diesen Teil eurer Geschichte möchte ich lieber nicht hören, wenn du nichts dagegen hast«, entschuldigte sie sich. Als Anvar mit seiner Geschichte fertig war, sah Aurian ihre Freunde an, zutiefst bewegt von ihrem Mut und ihrer Treue. »Meine lieben Freunde, ihr seid so tapfer gewesen … Ich weiß gar nicht, wie ich euch danken soll …« Ihr fehlten die Worte, und sie mußte sich eine Träne aus dem Gesicht wischen.