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Die Magusch ließ sich nicht lange bitten. Es war eine zu große Erleichterung, für eine Weile alle Sorgen vergessen zu können. Sie durchquerte das Zimmer bis zu dem Platz, an dem ihre Freunde schliefen, und legte sich neben Anvar. Wie immer schien er ihre Gegenwart zu spüren und drehte sich um, um einen Arm um sie zu legen und im Schlaf ihren Namen zu murmeln. Aurian schmiegte sich eng an ihn und spürte, wie ihre Last langsam leichter wurde. Wenigstens habe ich Shia und Bohan, dachte sie, und vor allem Anvar. Nie habe ich einen besseren Entschluß gefaßt als damals, als ich ihn vor Miathan gerettet habe. Was für ein guter Freund er mir geworden ist. Mit diesem tröstlichen Gedanken schlief sie ein.

Am nächsten Tag – falls es denn Tag war – stießen sie auf die Falle. Nach einem kärglichen Frühstück, das ihnen dennoch kaum etwas an Vorrat übrig ließ, nahmen sie ihren müden Trott wieder auf und stiegen über die gesichtslose, steinerne Spirale mit ihren leeren Räumen weiter nach oben, bis ihre Füße vor Anstrengung kaum weiter konnten. Aurian war der Verzweiflung nahe. Hatte sie sich in ihrer letzten Hoffnung, hier das verlorene Wissen der Drachen zu finden, getäuscht? Und spielte es überhaupt noch eine Rolle? Wir sind dazu verdammt, hier zu sterben, dachte sie. Dieser Berg wird unser Grab sein, und damit ist die Sache erledigt. Plötzlich blieb Shia, die wie gewöhnlich voranging, stehen. »Magie!« knurrte sie.

»Ja, du hast recht«, sagte Anvar. »Aurian, siehst du es auch?« Ein paar Schritte vor ihnen lag ein silbernes Schwirren in der Luft, wie das trügerische Flirren der Luft über Steinplatten an einem heißen Tag. Es hing wie ein Vorhang über dem Durchgang und blockierte ihnen den Weg.

Gefahr hin oder her, Aurian war froh, daß sie endlich auf etwas stießen, das die Monotonie ihres Marsches unterbrach. Sie machte vorsichtig einen Schritt nach vorn, in der einen Hand den Stab, die andere mit der Handfläche nach vorn ausgestreckt. Als sie die schwirrende, seidenartige Verzerrung erreichte, geschahen zwei Dinge gleichzeitig. Das Schimmern verschwand, und alles Licht im Tunnel ging aus. In ihrer Überraschung machte Aurian noch einen Schritt nach vorn und entzündete einen Ball Maguschlicht über ihrem Kopf. Als das Licht aufflackerte, ertönte ein tiefes, donnerndes Knirschen von oben und zog ihren Blick empor. Der Atem blieb ihr in der Kehle stecken, als ein gewaltiger, quadratischer Block sich aus der Decke löste und auf sie zustürzte.

Für Aurian geschah alles mit alptraumhafter Verzögerung. Der Block schien hinunterzuschweben, während sie nach vorn stürzte. Sie rutschte aus, fiel zu Boden, rutschte noch ein Stück weiter und blieb schließlich so liegen, daß sie ihre Gefährten sehen konnte. Was sie sah, war entsetzlich.

»Aurian!« Anvar stürzte vor und hechtete in den sich schließenden Spalt zwischen Stein und Boden. Der massive Block donnerte unaufhaltsam herunter … und rammte Anvar mit einem grellen Knirschen in den Boden, das die Wände erzittern ließ.

»Anvar!« Aurians Schrei zerriß ihre Kehle. Ihr Maguschlicht ging aus und stürzte sie in die Dunkelheit. Gräßliche, unerträgliche Visionen rasten durch ihren Kopf: Anvar, pulverisiert unter Tonnen von Stein. Sie brach an der Wand zusammen, würgte und erstickte fast an ihren Schluchzern.

Und machte einen fast meterhohen Sprung in die Luft, als eine Hand sie an der Schulter berührte.

»Ich bin es.« Anvars erstickte Stimme ging beinahe unter in ihrem entsetzten Aufkreischen.

»Du! Du kannst nicht … Ich habe doch gesehen …« Aurian war es fast unmöglich, die Worte hervorzubringen, so klapperten ihr die Zähne. Anvar, so schien es, hatte dieselben Schwierigkeiten, während sie sich zitternd aneinanderklammerten.

»Sinnestäuschungen«, keuchte er.

»Sinnestäuschungen?« Als Aurian ihr Maguschlicht wieder entzündet hatte, brannte es genauso feurig wie der Ärger, der in ihr aufstieg. Sie machte einen Schritt zurück und starrte in Anvars aschfahles Gesicht. »Du Narr! Du verdammter Idiot! Ich dachte, du wärst tot, verflucht noch mal! Wie konntest du nur etwas so Dummes tun!« Tränen des Schrecks und des Zorns liefen ihr übers Gesicht, und sie wischte sie zornig fort.

Anvar faßte sie an den Schultern, und seine Finger gruben sich hart in ihr Fleisch. »Weil ich nicht vorhabe, dich noch einmal zu verlieren. Ich würde lieber sterben, verstehst du?«

Aurian spürte, wie ihr Zorn langsam verrauchte. Sie verstand es; sie hatte Forral gegenüber genauso empfunden. Sie schüttelte den Kopf, denn sie war nicht bereit, die Konsequenzen seiner Worte zu akzeptieren. »Anvar …«

Er wandte den Blick von ihr ab und biß sich auf die Lippen. »Mach dir nichts draus. Vergiß es!«

»Wenn ihr beide endlich fertig seid …« Shias Gedankenstimme war eine willkommene Ablenkung, aber Aurian konnte dem stahlharten Ton der Katze entnehmen, daß auch sie wütend über den Schrecken war, den sie ihr eingejagt hatten. Sie war nirgends zu sehen; wahrscheinlich immer noch verborgen hinter dem nur eingebildeten Steinblock. »Ich habe wirklich keine Ahnung, wie ihr erwarten könnt, daß irgend jemand seine Gedanken durch einen solchen Aufruhr hindurchmanövrieren kann, wie ihr beide ihn da verursacht habt«, fuhr Shia bereits fort, »aber da ihr euch endlich dazu herabgelassen habt, mit mir zu sprechen – habt ihr irgend etwas Sinnvolles vorzuschlagen?«

Plötzlich brach Aurian zu ihrem eigenen Erstaunen in hilfloses Gekicher aus. Sie steckte Anvar an, und zusammen lachten sie, bis ihnen die Rippen weh taten und sie keuchend um Atem rangen. Die kleine Kugel Maguschlicht, die jetzt ein helles Gold angenommen hatte, flackerte und hüpfte über Aurians Kopf, als kicherte sie ebenfalls.

»Nun?« Das Donnern von Shias Stimme machte sie wieder nüchtern.

»Es tut mir leid, Shia.« Aurian grinste Anvar an und sprach ihre Gedanken nun laut aus, damit Bohan sie ebenfalls hören konnte. »Ich würde vorschlagen, daß ihr einfach hindurchgeht. Der Block ist eine Sinnestäuschung – wie Anvar so schlüssig bewiesen hat.« Sie sah ihn mit einem gespielt finsteren Blick an.

Zuerst kam nur verblüfftes Schweigen von Shia, dann machte sie sich vernehmbar: »Wenn ich doch nur fluchen könnte wie ihr Menschen!« Obwohl die Worte aus ihren Gedanken kamen, klangen sie so, als wären sie durch zusammengebissene Zähne gesprochen worden. »Wir kommen jetzt durch!«

»Nein, wartet!« Aurians Schrei ging in einem knirschenden Poltern von oben unter. Dann hörten sie ein erschrockenes Heulen, und Bohan sprang durch die Steinwand, Shia wie ein Geschoß auf den Fersen. Es gab ein ohrenbetäubendes Krachen, und die beiden Magusch hielten sich aneinander fest, als der Boden des Tunnels sich rüttelnd unter ihnen hob und senkte. Staubwolken stiegen auf, und winzige Steinchen brannten auf ihrer Haut.

Als der Staub sich zu legen begann, sah Aurian erleichtert, daß Bohan und Shia in Sicherheit waren. Keuchend streckte sie eine Hand nach dem Block aus und berührte festen Stein.

»Diesmal ist er wirklich gefallen.« Anvar klang erschüttert.

»Ich glaube, ich verstehe«, murmelte Aurian nachdenklich. »Es ist eine Zeitfalle, Anvar. Was wir gesehen haben – wovon wir glaubten, daß es dich getroffen hätte …« sie suchte nach Worten. »Das war keine Sinnestäuschung. Was wir gesehen haben, war die Zukunft.«

»Aber warum? Wenn der Stein eine Falle ist, hätte er doch beim ersten Mal gleich fallen können?«

»Ich bin mir nicht sicher.« Aurian runzelte die Stirn. »Wahrscheinlich würden die Drachen ihre eigene Magie erkennen, so daß sie vor der Falle gewarnt wären und schnell hindurchgingen. Aber irgendwelche fremden Magusch wie wir, die sich hierher verirrt haben – nun, wenn ich nicht diesen zusätzlichen Schritt nach vorn gemacht hätte, hätte ich das Ding rechtzeitig fallen sehen und wäre zurückgetreten.«

»Und wir hätten schließlich herausgefunden, daß es sich nur um eine Sinnestäuschung handelte«, beendete Anvar den Satz für sie, »wären hindurchgegangen und …«

»Es hätte uns doch noch erwischt. Was für ein fürchterlich heimtückisches Volk!« Sie ärgerte sich und war mehr als nur ein bißchen erschrocken. »Welche Kräfte sie gehabt haben müssen, wenn sie zu solchen Kunststückchen mit der Zeit fähig waren.«