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Aurian sprach mit der Ruhe tiefer Erschrockenheit. »Willst du damit sagen, daß das Schwert – die mächtigste der großen Waffen – Jahrhunderte vor meiner Geburt eigens für mich geschmiedet wurde?«

»Das bleibt abzuwarten.« Der Drache klang skeptisch. »Ich gebe zu, daß ich, als ich mir den Einen vorgestellt habe, eine etwas – heroischere Gestalt erwartet habe.«

»Du wärst also glücklicher, wenn ich ein gewaltiger Muskelprotz von einem Krieger wäre, ja? Nun, das ist dein Problem.«

Die Augen des Drachen sandten gefährliche Lichtblitze aus. »Gib acht darauf, was du sagst. Ich werde keine Schmähungen von einem armseligen, zweibeinigen Zauberer hinnehmen.«

Aurian schluckte und dachte an die letzten Schwierigkeiten, in die ihr Temperament sie gebracht hatte. Der Drache hatte recht, sich über Hitzköpfe zu beklagen. »Na schön«, sagte sie. »Angenommen, ich bin der Eine, was geschieht dann jetzt?«

»Angenommen, du bist es, dann wirst du nun die dritte Probe vollenden, die darin besteht, den verlorenen Stab der Erde neu zu erschaffen.«

Aurian war sprachlos. Den Stab neu erschaffen? Das war unmöglich! Heimtückische Zweifel beschlichen sie, und eine Woge der Enttäuschung überschwemmte sie. Er hat recht – ich kann nicht der Eine sein, dachte sie unglücklich. Und beinahe hätte sie es ihm auch gesagt – beinahe. Statt dessen umklammerte sie ihren Stab und reckte sich zu ihrer vollen Größe auf, denn sie wußte, wenn sie jetzt aufgäbe, würde sie niemals mehr in den Spiegel sehen können. Der Drache sah sie aufmerksam an, und seine neugierigen Augen waren ungerührt. »Nun? Hast du die Absicht, für immer und ewig mit offenem Munde dazustehen?«

Verflucht sollst du sein, dachte Aurian. »Ist es mir gestattet, Fragen zu stellen?«

Er lachte. »Sehr gut! Ich darf drei Fragen beantworten – aber nicht die offensichtliche. Wähle deine Fragen mit Bedacht, Zauberin!«

Die Magusch erinnerte sich an das, was sie über die Geschichte des Stabes wußte. »Man hat mir gesagt, der Stab sei während der Verheerung verlorengegangen«, begann sie mutig. »Wurde er damals auch zerstört?«

»Ja.« Das war alles, was der Drache sagte.

Tu mir nur ja keinen Gefallen, dachte Aurian verdrossen. »Aber«, fuhr sie fort, »du hast gesagt, ich solle ihn neu erschaffen, also müssen die Kräfte des Stabes immer noch existieren.«

In einem Geistesblitz erinnerte sie sich daran, wie Anvar seine Kräfte wiedererlangt hatte, und daran, wie der Erzmagusch sie ihm überhaupt erst gestohlen hatte. Sie dachte an die Kristalltür, die ihre Kräfte in sich aufgesogen hatte, und an die Armreifen von Harihns Volk.

»War das eine Frage?« Der Drache unterbrach ihren Gedankengang – mit Absicht, da war Aurian sicher.

»Nein«, sagte sie hastig, denn sie vertraute nun ihrer Intuition. »Das ist meine zweite Frage: Ist der Kristall, der die Kraft des Stabes enthält, hier in diesem Raum?«

Eine Salve von Sternschnuppen füllte den Raum. »Ja!« sang der Drache. »Und du mußt ihn finden.«

Aurian stieß einen fürchterlichen Fluch aus. Jetzt wußte sie, warum der Drache ein so ungemütliches Bett hatte. Es war ein Köder und ein weiterer Test. Irgendwo in diesem Stapel, von den anderen Juwelen nicht zu unterscheiden, lag der Kristall, den sie suchte. Die Magusch war entsetzt. Es wird Jahre dauern, dieses ganze Zeug zu durchsuchen, dachte sie. Denk nach, Aurian! Es mußte einen besseren Weg geben! Und es gab ihn auch, begriff sie plötzlich. Von Natur aus hatte sie sich immer zur Feuermagie ihres Vaters hingezogen gefühlt und dazu geneigt, Eilins Seite ihres Erbes zu vernachlässigen. Jetzt endlich würde es zu seinem Recht kommen.

Entschlossen umklammerte die Magusch das Ende ihres Stabs, umschlang es mit beiden Händen und rief die Kräfte der Erde – das träge, schwere Leben der Berge und der Steine, den fruchtbaren Schoß der Erde, den überschäumenden Quell all dessen, was wuchs, und das helle, kurze Leben der Geschöpfe, die krochen oder liefen und sich mehrten in dem endlosen Zyklus von Leben, Tod und endgültigem Verfall, aus dem neues Leben entsprang. Bei all dem und mehr, beim Wesen der Schöpfung selbst, rief Aurian die Kräfte des Stabs der Erde.

Und die Kräfte antworteten. Aurians Stab riß sich beinahe aus ihrer Umklammerung heraus, um auf das Herz des Drachenlagers zu zeigen. Das schlangenförmig geschnitzte Holz begann zu summen und zu vibrieren und in einem dunklen, smaragdgrünen Licht zu schimmern. Der Drache stieß ein erschrockenes Kreischen aus – das unmusikalischste Geräusch, das sie überhaupt von ihm gehört hatte – und huschte mit einer Geschwindigkeit beiseite, die seine gewaltige Größe Lügen strafte, als sein Bett zu brodeln und zu zittern begann und sich in seinem funkelnden Schwall über den Raum ergoß. Aus dem Herzen des Stapels schoß wie zur Antwort ein grüner Strahl empor. Aurian sank auf die Knie und schützte ihren Kopf, als eine gewaltige Explosion von Edelsteinen und Gold mit ungeheurer Gewalt gegen die Wände dröhnte.

In der darauffolgenden Stille entdeckte die Magusch zu ihrer Erleichterung, daß sie ihren zuckenden und zerrenden Stab fest in der Hand behalten hatte. Zitternd stand sie auf, am ganzen Körper zerschunden von den Kostbarkeiten, die sich unversehens in harte Geschosse verwandelt hatten. Ein üppiges grünes Licht hatte den Raum überflutet, und der Drache streckte seinen Kopf wieder unter einem schützenden Flügel hervor. Sie hörte das Schnarren der Luft in seiner Kehle, als er einen gewaltigen Atemzug machte. »Auf mein Wort«, sagte er mit ehrfurchterfüllter Stimme, »du machst keine halben Sachen, Zauberin!«

Der Stab zeigte unfehlbar in die Mitte des Zimmers. Dort, inmitten des freien Raumes, den er sich so gewalttätig verschafft hatte, lag in einsamer Pracht ein glühender, grüner Edelstein, der etwa so groß war wie Aurians Zeigefinger und Daumen, wenn sie sie zu einem Ring schloß. Die Magusch näherte sich ihm vorsichtig und kniff angesichts des tiefen, smaragdgrünen Strahlens, das von dem Stein ausging, die Augen zusammen. Als sie auf Armeslänge von ihm entfernt war, blieb sie stehen, aufgehalten von der Energie, die wie eine pulsierende Mauer aus grünem Feuer von dem Stein ausging. Erst wenn sie den Stab neu erschaffen hatte, konnte diese Macht soweit gezähmt und gezügelt werden, daß ein Magusch sie beherrschen und überleben konnte. Aber wie sollte sie das machen? Aurian ließ ihre Hände über ihren eigenen Stab gleiten und spürte Anvars kunstvolle, lebensechte Schnitzereien unter ihren Fingern. Die Zwillingsschlangen, die sich um den Stab herumwanden, waren so lebensnah, daß sie beinahe spüren konnte, wie sie sich bewegten. Spüren, wie sie sich bewegten … Das brachte sie auf eine Idee.

Vorher gab es jedoch noch etwas zu erledigen. Aurian wandte sich wieder an den Drachen. »Ich möchte meine dritte Frage stellen.«

Das Geschöpf schien überrascht. »Dann stelle deine Frage – aber ich warne dich: Ich darf dir nicht sagen, wie du deine Aufgabe vollbringen sollst.«

»Das ist schon gut. Was ich wissen will, ist, ob ich den Stab behalten darf, wenn ich ihn neu erschaffen habe.«

Der Drache warf den Kopf zurück und brüllte – aber vor Lachen und nicht, wie sie erwartet hatte, vor Wut. »Du tollkühne Zauberin! Ja, du darfst den Stab behalten, denn wenn du ihn neu geschaffen hast, hast du ihn dir verdient. Aber sei gewarnt – erinnere dich immer daran, welche Mächte dir zu Gebote stehen und welche Zerstörung du bewirken könntest. Mache nie den Fehler, den die Benutzer des Kessels gemacht haben.«

Aurian näherte sich dem Stein, so weit sie es wagen durfte, und konzentrierte ihre Kräfte – nicht auf den Edelstein selbst, sondern auf ihren Stab. Sie ließ ihre Hände über die vertraute Oberfläche gleiten, und ihre Finger kribbelten und badeten in Licht, als sie mit Hilfe der Magie der lebenden Erde versuchte, dem Holz Leben einzuhauchen. Die Schlangen unter ihren Fingern regten sich, und ihre geschnitzten Augen erwachten zu funkelndem Bewußtsein. Gespaltene Zungen zuckten aus ihren Mäulern, und sie erhoben ihre schuppigen Häupter von dem Stab. Aurian richtete ihren Willen auf sie, unterweisend und befehlend. Sie hielt ihren Stab fest an seinem eisenbeschlagenen Ende und streckte ihn weit von sich, um den Kristall zu berühren. Die Schlangen schnellten vor, ergriffen den Stein und hielten ihn fest zwischen ihren gefährlich bezahnten Kiefern.