Sie wird mich niemals lieben – nicht bei all dem, was zwischen uns steht, der Erinnerung an die Vergangenheit und dem Geist von Forral, der unser Leben überschattet. Wenn ich in jener Nacht nicht zu ihm gegangen wäre, würde er vielleicht noch am Leben sein. Gleichgültig, welche Entschuldigungen Aurian für mich findet, wie könnte ich je erwarten, daß sie mich nach dieser Nacht noch lieben kann?
In diesem Augenblick jedoch, als er hinunter auf die schlafende Magusch blickte, erhärtete sich Anvars Entschluß. Ich schulde ihr etwas, dachte er. Eine Blutschuld für Forrals Leben. Selbst wenn es mich mein eigenes Leben kosten sollte, muß diese Schuld beglichen werden – und eines Tages werde ich einen Weg finden, das zu tun.
Anvar streckte die Hand aus, als würde er seinen Schwur besiegeln, indem er sie berührte, und ganz sanft strich er der Magusch ihre widerspenstigen Locken aus dem Gesicht. Zu seinem Unbehagen bewegte sie sich und öffnete die Augen. Er riß seine Hand zurück, als hätte er sich verbrannt, während die rohe Macht des Stabs der Erde lodernd wieder in ihr zum Leben erwachte. Aber sie lernte bereits, diese Macht zu beherrschen. Noch während er hinsah, wurde der Glanz etwas schwächer, als Aurian versuchte, die Energie des Stabes in sich selbst aufzunehmen.
Aurian seufzte. »Ist es schon Morgen?« murmelte sie schläfrig.
Anvar blickte zur Öffnung der Höhle hin und wünschte sich, daß sie nicht immer in solcher Eile wären; wie sehr sehnte er sich danach, eine Weile mit ihr allein sein zu dürfen. Aber ein solcher Luxus schien im Augenblick so unerreichbar wie der Mond.
»Abenddämmerung, würde ich sagen«, erwiderte er. »Wir sollten besser die anderen wecken. Es ist Zeit, zu gehen.«
Der Rest der Reise durch die Wüste nahm noch eine Reihe von Tagen in Anspruch – einige der schlimmsten Tage, die Aurian jemals erlebt hatte. Immer auf der Hut vor den unmittelbar bevorstehenden Stürmen, drängte Yazour sie unerbittlich zur Eile und trieb sie und ihre Pferde bis an den Rand ihrer Kräfte. Die Magusch stellte fest, daß sie Rabe beneidete, die vorausgeflogen war, von einer Oase zur anderen, um sich, so schnell sie nur konnte, am Rande der Wüste in Sicherheit zu bringen. Da Yazour es nicht geschafft hatte, irgendwelche Zelte für sie mitzubringen, waren sie gezwungen, die glutheißen Stunden des Tageslichts im Freien zu verbringen, im Schatten von provisorischen Hütten aus Decken, unter denen sie sich und den Pferden die Augen verbinden mußten, um das blendende Funkeln zu dämpfen. Da sie keine Lasttiere hatten, waren Essen und Wasser streng rationiert, und sie alle litten schwer unter Hunger und Durst.
Das schlimmste von allem war jedoch die grausame Hitze.
Während des früheren Teils ihrer Reise hatte immer ein unruhiger Nachtwind geweht, um sie, während sie ritten, zu kühlen. Aber dieser Wind hatte sich mit dem ungewöhnlichen Wetterwechsel gelegt und die Wüste so zu einem erstickenden Glutofen gemacht. Jede Nacht erhob sich die aufgestaute Hitze des Tages wie in einer Welle vom Wüstenboden, um die Reiter zu verschlingen, und die Luft war schwer und drückend. Die verkrusteten Felle der Pferde waren dunkel und schweißdurchtränkt. Ihr Atem, behindert von Wolken aus Juwelenstaub, kam gequält und wimmernd aus ihren pfeifenden Lungen. Auch die Reiter waren von Schweiß durchnäßt, der ihnen unter ihren unangenehm klebrigen Schleiern brennend in die Augen lief; Schweiß, der ihre Wüstengewänder klamm an ihre Leiber preßte, während die lebensspendende Feuchtigkeit sich in der trockenen Wüstenluft verlor.
Shia mit ihrem dicken Pelz des Bergbewohners hatte besonders schwer zu leiden. Zumindest waren die anderen in der Lage, zu reiten, aber sie war gezwungen, auf ihren eigenen Beinen hinter den Pferden herzulaufen. Da sie für kurze, schnelle Sprints gebaut war, ging der grausame Marsch über den brennenden Sand beinahe über ihre Kräfte. Und sie hatte nicht nur unter furchtbarer Müdigkeit und dem Durst zu leiden; die ständige Reibung auf dem heißen Juwelenstaub hatte ihre Pfoten aufgeschürft, hatte zu schmerzhaften Blasen geführt, und es dauerte nicht lange, bis Shia eine Spur blutiger Fußabdrücke hinter sich herzog.
Nur ihre Liebe zu der Magusch hielt sie aufrecht, und jeden Tag, wenn Aurian sich eigentlich hätte ausruhen sollen, um selbst neue Kraft zu schöpfen, verausgabte sie sich, indem sie die leidende Katze heilte und versuchte, Shia genug von ihrer eigenen, schwindenden Energie zu leihen, um weiterzugehen. Anvar, dessen Besorgnis stetig wuchs, tat sein möglichstes, um zu helfen, aber er war kein Heiler, und seine Bemühungen hatten wenig praktischen Nutzen, abgesehen davon, daß er der Magusch zusätzliche Stärke lieh, so daß sie auch den nächsten Tag noch irgendwie bewältigen konnte.
Während die Zeit verstrich, wuchs Aurians Verzweiflung immer mehr. Die Durchquerung der Wüste war ein Wettrennen gegen die Zeit, und sie wußte, daß sie es verlor. Ihr Körper wurde wegen ihrer fortschreitenden Schwangerschaft immer unbeholfener, und das Reiten fiel ihr von Tag zu Tag schwerer. Sie wußte, daß sie mit dem Stab der Erde ihre eigenen, schwindenden Kräfte überstrapazierte, die nun um so schneller versiegten. Schon bald würden sie ganz verschwunden sein. Wann immer sie daran dachte, wurde sie von einer Woge erstickender Panik überwältigt. Wie konnte sie dann Shia noch helfen? Wie konnte sie sich und ihr Kind beschützen und ihre Freunde vor dem Bösen des Erzmagusch und seiner Komplizin Eliseth bewahren?
Das schlimmste von allem war, daß Shia nach dem Gesetz der Wüste eigentlich zurückgelassen werden mußte. An den schlimmsten Tagen bat die Katze sie sogar darum und blickte mitleiderregend zu den beiden Magusch auf, mit Augen, die schon weit entfernt und glasig waren und die flehentliche Bitte enthielten, sie von ihrem Leiden zu erlösen. Aurian biß dann die Zähnen zusammen und verbot es Anvar mit ihrem stahlharten Blick, den anderen zu erzählen, was Shia gesagt hatte. Aber sie alle dachten bereits daran – Aurian konnte es in Nerenis häufigen Tränen sehen und in der schuldbewußten Art, wie Eliizar und Yazour ihren Blicken auswichen. Selbst Bohan, ihr treuer Turm der Stärke, schien sich langsam unwohl zu fühlen, und zum Schluß, das wußte sie, würde sie es auch noch mit Anvar aufnehmen müssen. Obwohl er sie bisher in dieser Hinsicht nicht bedrängt hatte, wußte sie, daß seine Sorge für sie und das Kind ihn schließlich zu der unausdenkbaren letzten Möglichkeit treiben würde. Alles, was Aurian tun konnte, war, sich gnadenlos zu verausgaben und sich mit der gesamten Stärke ihres unbeugsamen Willens zu zwingen, ihnen allen zu trotzen und Shia irgendwie bis an das Ende ihrer Reise hinüberzuretten.
Sie waren noch immer einige Tage vom Rand der Wüste entfernt, als das Schlimmste geschah und Aurian unter der Hitze und ihrer eigenen Erschöpfung zusammenbrach. Die anderen hatten immer in diesem heißen Klima gelebt und gelernt, die grausamen Temperaturen zu ertragen, und Anvar hatte in seiner furchtbaren Zeit im Sklavenlager ein gewisses Maß an Widerstandsfähigkeit erlangt. Aurian dagegen war in den Südlichen Königreichen stets nur verhätschelt worden; zuerst als eine der Erwählten der Arena und dann in der kühlen Behaglichkeit von Harihns Palast. Und dennoch hätte sie es vielleicht überstanden, wenn sie selbst sich nicht über die Grenzen ihrer Kraft getrieben hätte. Jeden Tag wurde ihr Zustand schlechter, bis sie schließlich dem erlag, was Yazour die Hitzekrankheit nannte.