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Als der Erzmagusch sein letztes Wort gesprochen hatte, begann die Szene zu schwanken und sich vor Anvars Augen aufzulösen. Er schloß sie für einen Augenblick, um den schwindelerregenden Strudel zu bremsen, und als er sie wieder öffnete, war er zurück in der Oase. Ein widerwärtiges, schwefliges Licht lag über den Dünen, und die Sonne bemühte sich nach Kräften, die unheilvollen Wolkenbänke am Horizont zu durchdringen. Ich muß eingeschlafen sein, dachte Anvar. Götter, was für ein Alptraum! Aber in diesem Augenblick öffnete auch Aurian die Augen, und in ihnen lagen Entsetzen und eine furchtbare, flaue Angst, die ein Ebenbild seiner eigenen Gefühle war.

Aurian konnte nicht erklären, was am Brunnen der Seelen vorgefallen war. Ihre erste Vermutung bestand darin, daß Anvar eingeschlafen war und sein verängstigter Geist, befreit von den Fesseln der Welt des wachen Bewußtseins, es geschafft hatte, in die Domäne des Todes einzudringen und sie zu erreichen. Aber seine Erzählung von seiner Begegnung mit dem Schnitter der Seelen erfüllte sie mit ungeheurer Unruhe. Irgendwie erschien es ihr so vertraut … Als sie Anvar in Taibeth den Klauen des Todes entrissen hatte, hatte der Schnitter da nicht auch etwas von einem Handel gesagt? Wenn sie sich doch nur daran erinnern könnte … Und wie war Miathan dorthin gekommen?

Aurian zog eine Grimasse, als sie das Stück trockenes Fleisch in ihrer Hand erblickte. Ihr Hunger wurde überlagert von Schuldgefühlen, weil sie sich und Anvar dem Erzmagusch preisgegeben hatte, und von eisiger Furcht, die an ihren Eingeweiden zerrte. Miathan hatte recht gehabt. Ihre Kräfte, die sie bis an die Grenzen ausgebeutet hatte, gerade als sie am verletzlichsten war, waren vollkommen verschwunden und hatten sie ohne Verteidigung zurückgelassen. »Fahr zur Hölle, Miathan!« murmelte sie. »Warum mußte er jetzt zurückkommen, zum schlimmstmöglichen Zeitpunkt?« Mit einem Fluch warf sie die widerwärtige Speise fort.

Anvar langte mit der Hand aus ihrem Schutzzelt und holte das Fleisch zurück. Dann staubte er es vorsichtig ab und legte es wieder zurück in ihre Hand. »Sei vernünftig, Aurian. Du mußt essen«, sagte er zu ihr. Die Magusch funkelte ihn wütend an und war kurz davor, eine heftige Erwiderung zu machen, aber die Schärfe seiner Stimme ließ sie einlenken. Sie zwang sich, noch einen Bissen zu nehmen. Unter Anvars Augen lagen dunkle Ringe, und die Anstrengung hatte sein staubiges Gesicht zerfurcht. Die Begegnung mit Miathan hatte die Freude über ihre sichere Rückkehr gedämpft – ein Streit war das letzte, was sie gebrauchen konnten. Und um fair zu sein, hatte Anvar ihr mit keinem einzigen Wort die Schuld gegeben. Es wäre besser gewesen, wenn er das getan hätte, dachte sie, statt es mir selbst zu überlassen. Und doch – sie sah Shia an, die jetzt schlief und langsam ihre Kraft wiedergewann. Die Katze erinnerte sich an nichts, was geschehen war, obwohl sie und Aurian im Brunnen der Seelen beide von ihren Gebrechen geheilt worden waren. Was sonst hätte ich tun können? dachte die Magusch. Hätte ich anders gehandelt, wäre Shia jetzt tot. Sie betete, daß der Preis, den Shias Leben sie gekostet hatte, sich nicht als zu hoch erweisen würde.

»Du hast getan, was du tun mußtest.« Anvars ruhige Stimme durchbrach ihre Gedanken, als hätte er darin gelesen.

Aurian nahm seine Hand. »Danke, daß du das gesagt hast. Aber wir sind jetzt in so großen Schwierigkeiten mit dem bevorstehenden Sturm, und Miathan ist wieder auf freiem Fuß, und meine Kräfte sind verschwunden …« Sie konnte das Zittern in ihrer Stimme nicht mehr beherrschen. »Anvar, ich habe Angst. Ohne meine Magie bin ich so verletzlich. Jetzt, da Miathan sich von meinem Angriff erholt hat, könnte alles mögliche passieren.« Aurian schauderte. »Und was ist mit dem Stab? Ich glaube nicht, daß er weiß, daß wir ihn haben, aber wenn er es herausfinden sollte … Anvar, erinnerst du dich an den Schiffbruch, als er von meinem Körper Besitz ergriffen und versucht hat, dich zu töten?«

Anvar nickte und schien über ihren abrupten Themenwechsel verwirrt zu sein.

Aurian holte tief Luft, denn sie fürchtete das, was sie zu sagen hatte. »Und wenn es wieder passiert, jetzt, da Miathan sich erholt hat? Anvar – wenn er die Kontrolle über den Stab bekommen …«

»Nein!« Er stand jetzt direkt vor ihr. »Sprich es nicht aus, Aurian.«

»Ich muß. Wenn ich – wenn Miathan die Kontrolle über mich gewinnen sollte, mußt du mich töten, Anvar. Du hast dann keine andere Wahl – so, wie ich keine Alternative hätte, wenn es mit dir passieren würde.«

»Ich werde dich nicht töten. Nein, das werde ich nicht.«

Anvars Stimme erstarb zu einem entsetzten Flüstern. »Ich kann nicht.«

Aurians Herz flog ihm zu, aber sie begegnete seinem Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. »Es tut mir leid, Liebster, aber du mußt. Wenn Miathan den Stab bekommt, wird es das Ende von allem sein. Und besser, wir sterben, als daß wir es zulassen, daß er uns benutzt. Du hast gehört, was er am Brunnen der Seelen gesagt hat.«

Anvar hatte ihre letzten Wort kaum wahrgenommen. Er wußte, daß der Kosename ihr entschlüpft war, ohne daß sie es bemerkt hatte, aber … Er mußte alle Willenskraft aufbieten, damit der Jubel sich nicht auf seinem Gesicht zeigte, denn er wollte nicht, daß sie sich von ihm zurückzog, was sie in einem solchen Falle gewiß getan hätte. Was immer sie für ihm empfinden mochte, sie trauerte nach wie vor um Forral, und der Gedanke, die große Liebe ihrer Jugend durch einen neuen Mann zu ersetzen, würde sie mit Schuldgefühlen erfüllen. Es ist zu früh – gib ihr Zeit, sagte er zu sich selbst und betete zu allen Göttern, daß der Erzmagusch ihnen diese Zeit lassen würde.

Miathans Gemach war kalt und trostlos. Das flammende Feuer, das er in dem gewaltigen Kamin zurückgelassen hatte, war zu träger, mit bleicher Asche bedeckter Glut niedergebrannt, und die Lampen waren schmutzig und dunkel. Düsteres Licht floß durch die Vorhänge und kündigte die Dämmerung eines neuen, grimmigen Tages über Nexis an. Der Körper des Erzmagusch lag auf dem Bett – genauso, wie er ihn hinterlassen hatte – und sah in dem dämmrigen, freudlosen Licht bleich und eisig aus wie eine Leiche. Sein schwebendes Bewußtsein schauderte und schrak davor zurück, in diese kalte, von Schmerzen geschüttelte Behausung zurückzukehren, aber es mußte sein. Miathan wappnete sich gegen das Kommende und stürzte hinab, um mit der Leichtigkeit des Vielgeübten zurück in seine leibliche Hülle zu schlüpfen.

Der Eintritt in seinen Körper war schlimmer als ein Sturz in einen eisigen Teich. Miathan fluchte heftig und sträubte sich gegen den Schmerz. Seit Aurian ihn angegriffen hatte, hatte er unter schrecklichen Schmerzen in seinen ausgebrannten Augen gelitten, und er wußte, daß diese Schmerzen ihn nie verlassen würden. Mit Eliseths Unterstützung hatte er genug von der Magie des Drachenvolkes entschlüsselt, um mit Hilfe von Kristallen eine Form der Sehkraft zurückzuerlangen, aber die scharfen Ränder der Edelsteine scheuerten und reizten die gequälten Augenhöhlen, so daß seine Schmerzen noch schlimmer wurden. Trotzdem war das immer noch besser, als blind zu sein. Er verfluchte diese wahnsinnige Hündin von Meiriel, die sich geweigert hatte, ihn zu heilen, und diesen verräterischen Wurm von Elewin, der ihr zur Flucht verholfen hatte …

Miathan sagte sich, daß es ihn seiner Rache nicht näher bringen würde, wenn er einfach nur dort lag und sich seinem Zorn hingab. Er zog sein Gewand fester um sich und zwang seine knirschenden Knochen vom Bett auf, obwohl er furchtbar zitterte, zum einen wegen der Kälte und zum anderen wegen der Reaktion auf seine ausgedehnte Reise zwischen den Welten, die seine Energien so sehr erschöpft hatte. Der Erzmagusch stützte sich auf seinen Stab und humpelte zum Feuer, um einen Armvoll Holzscheite hineinzuwerfen. Er beschloß, sie aus eigener Kraft brennen zu lassen, statt den letzten Rest seiner Energie darauf zu verwenden, sie mit Hilfe von Magie zu entzünden. Er entzündete die Lampen von Hand, erfüllt von machtlosem Zorn über die Unbeholfenheit seines geschwächten Körpers.