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Forral zog es vor, zu glauben, daß sein Freund, nachdem ihm die ganze Gefahr seines Vorhabens erst einmal – zu spät! – bewußt geworden war, sein Leben gegeben hatte, um den Schaden soweit wie möglich zu begrenzen. Und trotzdem hatte er dabei diesen gewaltigen Krater hinterlassen, der sich mit einem Durchmesser von mindestens fünf Wegstunden vor ihnen ausdehnte, dessen Rand eine einzige geborstene und verzerrte Masse geschmolzenen Gesteins und dessen gewölbter Boden wie geriffeltes schwarzes Glas war. Im Zentrum dieser leblosen Wüste erspähten die Augen des Schwertkämpfers das Funkeln von Sonnenlicht auf Wasser.

Forral hatte keine Ahnung, wie lange er dort stand, entsetzt von der Zerstörung, die Geraint verursacht hatte. Schließlich wurde ihm bewußt, daß das Kind zu ihm aufblickte.

»Meine Mutter ist noch nicht bis hierher gekommen«, sagte sie mit leiser, ausdrucksloser Stimme. »Ich habe dir ja gesagt, daß sie sehr beschäftigt ist. Hier gibt es furchtbar viel zu tun.«

Der Schwertkämpfer war voller Mitleid für das kleine Mädchen, das vernachlässigt und ohne Freunde in diesem trostlosen Ödland aufwuchs. War vielleicht etwas wahr von den Gerüchten, daß Eilin beim Tod ihres geliebten Seelengefährten den Verstand verloren hatte? Es hieß, daß sie als Meisterin der Erdmagie ihren Gram in der Besessenheit zu ersticken versuchte, mit der sie versuchte, das Land wieder fruchtbar zu machen, das durch Geraints tragischen Fehler verwüstet worden war. Um des Kindes willen riß er sich zusammen und versuchte, eine fröhliche Miene aufzusetzen, aber das Herz war ihm schwer, als sie ihren Weg fortsetzten.

Sie hatten einige Schwierigkeiten, einen für Forrals Pferd gangbaren Weg hinunter in den Krater zu finden, aber Aurians trittsicheres Pony hatte kaum Probleme. Das Mädchen konnte reiten wie ein Zentaur und war es zweifellos gewohnt, sich über das schlüpfrige, zerklüftete Gelände des Kratergrundes zu bewegen. Im Sommer mußte es hier furchtbar sein, dachte Forral, als sie durch den gigantischen Talkessel ritten. Selbst jetzt warf das glasartige Gestein die Hitze und die bleichen Strahlen der Herbstsonne tausendfach zurück. In den tieferen Bodenfalten hatte sich Wasser angesammelt, aber das einzige Zeichen von Leben waren die Vögel, die ab und zu über ihre Köpfe flogen.

Schließlich brach Aurian das lange Schweigen zwischen ihnen. »Wie war mein Vater?«

Die Frage überraschte Forral, und er war sich der flehentlichen Bitte, die hinter ihren Worten lag, vollauf bewußt. »Hat deine Mutter dir nichts von ihm erzählt?«

»Nein«, erwiderte sie, »sie will nicht über ihn sprechen. Sie hat gesagt, das alles sei seine Schuld.« Sie machte eine ausladende Handbewegung, und ihre Stimme begann zu zittern. »Sie sagte, er hätte etwas Böses getan, und es sei unsere Pflicht, das wieder gutzumachen.«

Forral schauderte. Was war nur los mit Eilin? Wie konnte sie dem Kind eine so schreckliche Last aufbürden! »Unsinn«, sagte er fest. »Geraint war ein guter, freundlicher Mann und für mich ein wahrer Freund. Was geschehen ist, war ein Unfall. Er hat es nicht mit Absicht getan, Kätzchen. Er hat einen Fehler gemacht, das ist alles – und laß dir von niemandem etwas anderes einreden.«

Aurians Gesicht hellte sich auf. »Ich wünschte nur, ich könnte mich an ihn erinnern«, sagte sie weich. »Erzählst du mir von ihm, während wir weiterreiten?«

»Gern.«

Etwa zwei Wegstunden vom Zentrum des Kraters entfernt wurde der Boden glatter, und es ging nur noch leicht bergab. Ein kleines Stück weiter war der Fels bereits mit einer dünnen Erdkruste überzogen, und winzige sich windende Pflanzen lugten aus dem Boden hervor. Als der See schließlich wieder in Sicht kam, ritten sie über weichen, mit Gänseblümchen übersäten Rasen. Schließlich säumten Weißdorn, Brombeer und Holunder ihren Weg. Die Sträucher bogen sich unter ihrer reichen Ernte und beherbergten in ihren Zweigen eine riesige Vogelschar. Kleine Haine ebenmäßig gewachsener Bäumchen, von denen einige immer noch Äpfel und Birnen trugen, säumten das grüne Seeufer. Forral konnte nicht anders als bewundern, welche Fortschritte Eilin in nur acht kurzen Jahren erzielt hatte. Schade nur, daß sie sich nicht mit der gleichen Aufmerksamkeit um ihr Kind kümmerte.

Der See war groß und rund, entstanden durch Wasser, das sich im Krater gesammelt hatte. In der Mitte des Gewässers erhob sich eine offensichtlich künstliche, von Sterblichen oder Magusch angelegte Insel, die durch eine schmale Holzbrücke mit dem Ufer verbunden war. Auf der Insel ragte wie ein Speer aus Licht ein riesiger Turm über den See. Forral hielt den Atem an. Das Erdgeschoß aus schwarzem Stein lag inmitten üppiger Gärten, aber darüber ragte ein graziler, glitzernder Kristallbau empor, der sich hoch über das funkelnde Wasser erhob. Die Spitze dieses ätherischen Gebäudes bildete ein schlanker, gläserner Speer, auf dem ein einziger Lichtpunkt glühte wie ein gefallener Stern. »Bei den Göttern, ist das schön!« stieß er hervor.

Aurian warf ihm einen mürrischen Blick zu. »Da wohnen wir.« Sie zuckte mit den Schultern, stieg von ihrem Pony und ließ es mit einem freundschaftlichen Klaps laufen. Forral tat es ihr gleich, nachdem er sich versichert hatte, daß sein Pferd in der Nähe auf der Weide bleiben würde. Dann legte er seinen Sattel unter einen Baum und folgte dem Mädchen über die Brücke.

Ein weißsandiger Pfad führte durch Eilins Gärten, vorbei an ordentlichen Reihen von Spätgemüse, Kräuterbeeten, die ein sauberes, ausgeklügeltes Mosaik verschiedener Grüntöne zeigten, und Rabatten mit glutroten Herbstblumen und zahlreichen Bienenkörben, deren Bewohner eifrig zwischen den kupfergoldenen Blüten hin – und hersummten und die letzte, kostbare Wärme vor dem Wintereinbruch nutzten. Während Forral dem Kind in den Turm hinein folgte, dachte er darüber nach, daß es der Magusch gelungen war, in ihrer Einsamkeit bestens für sich und ihre Tochter zu sorgen, obwohl er sich fragte, woher Eilin Korn, Stoff und all die anderen Dinge bezog, die sie dem Boden des Tals nicht abringen konnte.

Die Außentür des Turms führte direkt in die Küche, die offensichtlich der meistbenutzte Raum des Turmes war. Die Küchenwände waren aus dem dunklen Stein des Turmsockels herausgehauen und gaben dem Raum etwas Höhlenartiges. Das sanfte Glühen des metallenen Kanonenofens, der in einer Ecke stand, verströmte eine gewisse Behaglichkeit; bunte Wollteppiche hellten den Fußboden auf, und in der Mitte des Raumes standen Bänke, die jetzt unter einen sauber gescheuerten Holztisch geschoben waren. Am Ofen luden zwei gepolsterte Stühle zum Sitzen ein, und überall an den Wänden waren Regale und Schränke aufgereiht, damit man in dem engen Raum möglichst viel unterbringen konnte. Zwei Türen führten offenbar zu Nachbarräumen, und Aurian zeigte nun auf die rechte davon. »Das ist mein Zimmer«, informierte sie den Schwertkämpfer. »Sie schläft oben, um in der Nähe ihrer Pflanzen zu sein.«

Eine filigrane, gewundene Metalltreppe führte hinaus zu den oberen Stockwerken. Am Fuße dieser Treppe blieb Aurian zögernd stehen und bedeutete Forral, voranzugehen. Forrals Schritte klangen auf den vibrierenden Metallstufen wie Glockentöne. Während er langsam hinaufging, wunderte Forral sich über die Beklommenheit, die sich auf dem Gesicht des Kindes zu zeigen begann.

Als Forral, oben angekommen, einen Blick in die gläsernen Räume des Turms geworfen hatte, begriff er auch, welcher praktische Zweck der ausgefallenen Architektur des Gebäudes zugrunde lag. Die verschiedenen Kammern standen voller Bänke, auf denen flache Schalen mit Erde aufgereiht waren. In dieser Erde wuchsen junge Setzlinge, die sich in der Wärme der von den Kristallwänden eingefangenen Nachmittagssonne ganz offensichtlich wohl fühlten. Ein feiner Nebel, der aus dem Nichts zu kommen schien, erfüllte die Luft mit Feuchtigkeit, und Forrals Haut begann zu prickeln, als er die dichte Konzentration von Magie in diesem Raum spürte. Er vermeinte die Pflanzen vor seinen Augen wachsen zu sehen. Als er die Magusch schließlich in einem der oberen Räume fand, war sie zu beschäftigt, um ihn zu bemerken. »Geh weg, Aurian«, murmelte sie, ohne aufzusehen. »Ich habe dir doch gesagt, daß du mich nicht stören sollst, wenn ich arbeite.«