»Finbarr, eines Tages wird dich dein sogenannter Humor noch in Schwierigkeiten bringen«, fuhr Eliseth auf. »Du bist ungefähr so nützlich wie diese dummen, alten Schriftrollen da!«
Finbarr zuckte mit den Schultern. »Zumindest sind meine Schriftrollen eine angenehme Gesellschaft«, sagte er, »wenn auch nicht ganz anspruchslos. Ich nehme an, der Grund für deinen vollkommen unerwarteten Besuch in diesem Heiligtum der Gelehrsamkeit und Weisheit ist diese wunderschöne junge Lady, der du mich vorstellen möchtest.« Er schenkte Aurian ein freundliches Lächeln.
»Du weißt genau, wer sie ist, Finbarr.« Eliseth machte ein finsteres Gesicht. »Das ist das Balg des Verräters Geraint.«
Aurian unterdrückte einen leisen Laut des Protests und ballte ihre Fäuste. Mit einer Bewegung schob Finbarr seinen Stuhl zurück und kniete vor ihr nieder, um seine große schlaksige Gestalt auf ihre Höhe zu bringen. Dann hob er mit einem sanften Finger ihr Kinn und sah ihr tief in die Augen. »Kind, du wirst in diesen ehrwürdigen Mauern eine Menge von diesem Unsinn zu hören bekommen«, sagte er sanft. »Mach dir nichts draus. Geraints einziger Fehler war sein Stolz, und das ist ein Fehler, den auch all die haben, die seinen Namen anschwärzen.« Er warf Eliseth einen harten Blick zu. »Ich will nicht sagen, daß das, was er getan hat, richtig war, aber dasselbe Unglück hätte jeden von uns treffen können. Hör nicht auf das, was die Leute sagen, Kind, sondern sieh zu, daß du aus seinen Irrtümern lernst – und aus unseren, denn das, was Geraint getan hat, war kaum einzigartig. Die Geschichte ist voll von ähnlichen Beispielen – die Verheerung zum Beispiel, als die alten Magusch untereinander Krieg führten. Sie kamen der Zerstörung der Welt gefährlich nahe. Mit den vier großen Artefakten der Macht …«
»Um Himmels willen, Finbarr, erspar uns deinen Vortrag.«
Eliseths Schroffheit schockierte Aurian, aber Finbarr schien nicht weiter überrascht zu sein. Er sprach einfach weiter, als sei der übellaunige Ausbruch der Maguschfrau nicht weiter von Bedeutung. »Ich hoffe, meine junge Freundin, daß du niemals von Eliseth lernen wirst, das Wissen zu verachten, das so wichtig für uns alle ist. Wenn wir unsere Geschichte studieren, lehrt sie uns, die alten Fehler nicht zu wiederholen. Ich weiß, daß Eliseth im Augenblick für deine Ausbildung verantwortlich ist, aber wenn es dir erlaubt ist, kannst du jederzeit wiederkommen und mit mir reden. Ich kann dir auch andere Dinge als Magie beibringen, und ich bin immer hier, um deine Fragen zu beantworten. Ich freue mich jederzeit über zivilisierte Gesellschaft. Und jetzt – ich glaube nicht, daß Eliseth mir deinen Namen gesagt hat?«
»Ich heiße Aurian.« Sie brachte ein Lächeln für ihn zustande.
»Und ich heiße Finbarr. Ich bin Meiriels Seelengefährte, und ich hoffe, wir werden uns im Laufe der Zeit viel öfter sehen. Währenddessen gebe ich dir einen Rat: Widme dich eifrig deinen Studien, sieh zu, daß du nicht in Schwierigkeiten kommst – und laß dich von dieser Herrin des Ungemachs hier nicht zu sehr schikanieren.«
»Es wird Zeit, daß wir gehen«, unterbrach ihn Eliseth eisig.
Finbarr grinste. »Siehst du, was ich meine? Wir sollten besser tun, was sie sagt, sonst stecken wir gleich bis zum Hals in Hagelkörnern!«
»Zum Donnerwetter, Finbarr!« fauchte Eliseth. »Wage es ja nicht, auf meine Kosten Witze zu reißen!«
»Tut mir leid, Eliseth.« Für Aurian sah der Archivar jedoch überhaupt nicht reumütig aus. »Leb wohl, Aurian – für den Augenblick.«
Bei den anderen Magusch fiel ihre Vorstellung weit weniger befriedigend aus. Die Zwillinge behandelten sie lediglich mit gleichgültiger Verachtung, und Aurian fühlte sich in ihrer Gesellschaft ausgesprochen unwohl. Die beiden hatten etwas seltsam Fremdes an sich, das sie nicht recht einordnen konnte. Es waren bartlose, junge Männer, und beide waren blond, aber Davorshan war darüber hinaus für einen Maguschgeborenen überraschend untersetzt und von eher derber Gestalt. Sein kurzgeschorenes, blondes Haar zeigte einen unverkennbaren Stich ins Rötliche, und seine farblosen Augen waren von bleichen Lidern umrandet. Aurian fand es schier unmöglich, ihm in die Augen zu sehen, denn die unbenennbare Färbung dieser Augen schien ihren Blick automatisch in eine andere Richtung zu lenken. Schlimmer war jedoch, daß er sich dieser Tatsache sehr wohl bewußt zu sein schien, und sie hatte den Verdacht, daß er diesen Umstand absichtlich nutzte, um die Leute zu verunsichern.
Davorshans Bruder D’arvan war seiner Erscheinung nach vollkommen anders – so anders, daß es unmöglich schien, die beiden für Brüder zu halten, geschweige denn für Zwillinge. Das helle, flachsblonde Haar fiel ihm bis auf die Schultern, und sein Knochenbau war so fein gemeißelt und zart, daß er ihm etwas Ätherisches verlieh. Sein schönes Gesicht sah beinahe feminin aus, und seine tiefen, leuchtendgrauen Augen hatten lange, geschwungene, dunkle Lider, für die so manches Mädchen seine Seele verkauft hätte. Er stand die ganze Zeit hinter seinem Bruder, sagte nichts und überließ Davorshan allein das Reden. Wäre Aurian reifer und selbstsicherer gewesen, hätte sie ihn vielleicht in Verdacht gehabt, einfach nur schrecklich schüchtern zu sein, aber wie die Dinge lagen, fand sie ihn nur kalt und undurchschaubar.
»Womit beschäftigen sie sich?« erkundigte sich Aurian ein wenig zaghaft bei Eliseth, nachdem sie die Räume der Zwillinge verlassen hatten.
Die Maguschfrau zuckte die Achseln. »Das wissen nur die Götter. Sie haben beide Maguschblut in den Adern – ihr Vater war der berühmte Wassermagusch Bavordran, und ihre Mutter war Adrina, die Erdmagusch. Miathan ist sich ganz sicher, daß sie irgendwelche Kräfte haben müssen, aber worin diese Kräfte auch bestehen mögen, bisher sind sie noch nicht in Erscheinung getreten. Wir glauben, daß es daran liegt, daß sie Zwillinge sind; sie sind jeder so in die Gedanken des anderen verstrickt, daß sie ihre Kräfte nicht freisetzen können. Davorshan zeigt eine gewisse Neigung für die Wassermagie, aber ihn scheinen die physikalischen Methoden mehr zu faszinieren als die magischen. Er hat lauter Pumpen und Röhrenaquädukte und solche Dinge im Sinn. Wir sagen ihm natürlich immer wieder, daß dergleichen etwas für Sterbliche ist – uns stehen ganz andere Methoden zur Verfügung – aber wir können ihm diesen Unsinn nicht austreiben. Und was D’arvan betrifft, der kann nicht einmal Luft holen ohne die Hilfe seines Bruders. Ich habe dem Erzmagusch gesagt, es sei Zeitverschwendung, aber Miathan besteht darauf, daß wir es weiter mit ihm versuchen sollen.«
Von dem letzten Magusch, Bragar, schien Eliseth jedoch ausnahmsweise einmal sehr viel zu halten. Seine Disziplin war die Feuermagie – wie bei Aurians Vater Geraint –, und Aurian freute sich darauf, ihn kennenzulernen. Ihre Begeisterung wurde jedoch im Keim erstickt, als sie ihn zum ersten Mal sah. Bragar war ausgezehrt und vollkommen kahlköpfig. Seine dunklen Augen entbehrten, wie die Eliseths, jeglicher Wärme und jeglichen Ausdrucks und verliehen ihm ein reptilienhaftes Aussehen. Seine Aura war ebenso dunkel wie seine purpurfarbenen Roben, und Aurian konnte trotz ihrer Jugend und Unerfahrenheit die Grausamkeit seiner Natur spüren, die ihn wie der schwärzeste aller Flügel überschattete. Er blickte über seinen hohen Nasenrücken auf sie herab, als wäre sie ein interessantes Exemplar irgendeiner Insektenspezies, und seine Stimme war, wenn er sich überhaupt dazu herabließ, mit ihr zu sprechen, sardonisch und herablassend. Aurian bekam in seiner Gegenwart eine Gänsehaut, und sie schwor sich, daß sie ihm in Zukunft aus dem Weg gehen würde. Sie wußte bereits, daß sie das Talent ihres Vaters, die Feuermagie, geerbt hatte, und der Gedanke, unter Bragar daran zu arbeiten, erfüllte sie mit Furcht.
Die Wochen, die Aurians Ankunft in der Akademie folgten, wurden zu einem langen, unentrinnbaren Alptraum. Sie stand einzig und allein unter Eliseths Obhut, und die Magusch begegnete ihr stets mit der gleichen Härte. Aurian ermangelte es vollkommen an einer ordentlichen Ausbildung in Magie, und daher hatte sie ihre Kräfte bisher immer nur spontan und instinktiv eingesetzt. Nun mußte sie lernen, ihr ungebändigtes Talent zu bezähmen, um die kontrollierte Konzentration der Macht zu erlangen, die das wahre Geheimnis der Magusch war. Und das konnte man Eliseths Meinung nach nur durch die endlose Wiederholung von Übungen und Trainingsaufgaben erreichen, die in Aurians Augen nichts erklärten und nur wenig bewirkten.