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Miathan lächelte. »Bist du nicht müde? Es ist schon sehr spät.«

»Müde? Nein, kein bißchen. Es ist alles so …« Aurians Stimme ging in einem gewaltigen Gähnen unter.

Der Erzmagusch streckte ihr seine Hand entgegen. »Komm mit«, sagte er. »Du kannst heute nacht in meinem Bett schlafen, und morgen früh werde ich dafür sorgen, daß du ein neues Quartier bekommst. In der Etage direkt unter dieser gibt es einige leerstehende Räume – sie haben übrigens deinem Vater gehört –, und ich denke, sie wären für dich sehr geeignet. Wir werden in Zukunft sehr eng zusammenarbeiten, also möchte ich, daß du auch in meiner Nähe bist. Na, wie klingt das?«

»Oh, vielen Dank, Erzmagusch!« In einem Übermaß an Dankbarkeit schlang Aurian ihre Arme um Miathans Hals und drückte ihn an sich. Einen angstvollen Augenblick lang fragte sie sich, ob sie zu weit gegangen war, aber dann sah sie, daß ein Strahlen über sein ernstes, altes Gesicht glitt. Und genau in diesem Augenblick begann Aurian, ihn zu lieben. Als sie in seinem großen Himmelbett einschlief, war sie glücklicher und zufriedener als in all den letzten Monaten, und statt Forral war es Miathan, der ihre letzten, schläfrigen Gedanken ausfüllte.

Ein Klopfen an der Tür riß den Erzmagusch aus seiner Betrachtung des schlafenden jungen Mädchens. Seufzend verließ er das Schlafzimmer und schloß die Tür leise hinter sich zu. Wie erwartet, handelte es sich bei seinem Besucher um Eliseth. »Hatte das nicht bis morgen Zeit?« sagte er ungehalten.

Eliseth trat ans Feuer und wärmte sich die Hände. »Ich konnte nicht schlafen. Ich wollte wissen, wie es gelaufen ist.«

»Nun, du hast deine Rolle jedenfalls sehr erfolgreich gespielt. Das arme Kind war so eingeschüchtert, daß es kaum noch Gewalt über seine Kräfte hatte. Aber was für Kräfte, Eliseth! Es ist schier unglaublich bei einem so jungen Menschen.«

»Und was genau hast du mit ihr vor?« Eliseths Stimme wurde plötzlich scharf. »Du willst sie selbst ausbilden – heißt das, daß du sie zu deiner Nachfolgerin machen willst?«

Miathan kicherte. »Darum geht es also bei diesem nächtlichen Besuch. Das hätte ich mir ja denken können. Nun, du kannst beruhigt sein, meine Liebe. Ich habe nicht die Absicht, ausgerechnet jetzt einen Nachfolger zu bestimmen – um genau zu sein, werde ich das vielleicht überhaupt nicht tun.«

»Was? Aber – aber die Amtsdauer ist auf höchstens zweihundert Jahre festgesetzt. So ist es immer gewesen.«

»Traditionell, ja. Aber Traditionen kann man auch beiseite schieben. Mir gefällt es, Erzmagusch zu sein – und außerdem, wer sollte mir schon nachfolgen? Du und Bragar, ihr habt einen gewissen Ehrgeiz in dieser Hinsicht …«

»Bragar?« Eliseth schnappte nach Luft.

Miathan lachte. »Wie naiv du doch bist! Hast du etwa geglaubt, du hättest ihn mit den Verlockungen deines Körpers gezähmt? Das ist dir ja schon bei mir mißlungen – was hat dich auf den Gedanken gebracht, du könntest bei ihm mehr Erfolg haben? Es war überaus unterhaltsam zuzusehen, wie ihr beide taktiert und manövriert habt, aber in diesem kleinen Spiel bin ich euch immer eine Nasenlänge voraus. Du tust besser daran, auf meiner Seite zu bleiben, meine Liebe. Ich habe die Absicht, eines Tages die Welt zu beherrschen, und meine treuen Anhänger werden Macht und Wohlstand genießen.« Miathans Gesicht wurde grimmig. »Versuch nicht, mir in die Quere zu kommen, Eliseth. Ich allein bin zehnmal mächtiger als du, aber jetzt hast du es auch noch mit Aurian zu tun. Du hast dir ja selbst eine hübsche, kleine Falle gestellt mit unserem schönen Plan. Aurian haßt dich, und jetzt gehört sie mir.«

5

Eine Stimme in der Dunkelheit

»So macht man das also!« Aurian fuhr mit den Fingern über die Regale voller Schriftrollen, und das magische Kraftfeld, erkennbar in einer Aura glänzend blauen Maguschlichtes, schimmerte bei ihrer Berührung. Aurians Gesicht leuchtete vor Begeisterung, und Finbarr staunte wieder einmal über die Veränderung, die die letzten sechs Jahre bei der jungen Magusch bewirkt hatten. Mit zwanzig Jahren war sie zu einer großen, schlanken jungen Frau erblüht. Ihre Mähne aus glutrotem dunklen Haar war dieselbe geblieben, aber ihr Gesicht war gereift und zeigte nun wie gemeißelte Flächen und Kanten, die ihn so sehr an ihren Vater erinnerten. Mit dieser Nase würde man sie niemals hübsch nennen können, aber ihre Gesichtszüge wiesen eine starke, fesselnde Schönheit auf, die ganz ihre eigene war. Auch ihr Auftreten hatte sich radikal geändert, wenn man an das schüchterne, nervöse Kind dachte, das er damals kennengelernt hatte. Nun war sie glücklich, selbstbewußt und strahlend; ihre Kräfte nahmen von Tag zu Tag zu, und ihr Wissensdurst war schier unstillbar. Miathan hatte gute Arbeit mit ihr geleistet. Beinahe zu gut, dachte Finbarr manchmal.

»Finbarr, hörst du mir überhaupt zu?«

»Was? Ja, natürlich … was hast du gesagt?«

Aurian stieß einen langen, gequälten Seufzer aus, aber sie lächelte. »Ich habe dich gefragt, ob dieser Ruhezauber, den du bei den alten Dokumenten benutzt, die Papiere irgendwie aus der Zeit herausnimmt?«

Finbarr war überrascht. »Nun … ja, ich glaube, so ist es. Ich habe die Sache noch nie so betrachtet, aber es würde einen Sinn ergeben. Ich fand den Zauber in einer Schriftrolle von Barothas, du weißt schon, diesem Historiker aus dem Altertum, der wie besessen versucht hat, die Existenz des verlorenen Drachenvolks zu beweisen. Er spricht von mehreren früheren Belegen – die leider verlorengegangen sind –, in denen darauf hingewiesen wird, daß es möglich sei, die Zeit zu manipulieren, ebenso wie auch andere Dimensionen. Dein armer Vater hat übrigens vor seinem tragischen Experiment, von einer Welt zur anderen zu gelangen, ebenfalls diese Notizen benutzt. Um den Raum zu manipulieren, statt der Zeit, würde man natürlich …«

»Ach du liebe Güte, Finbarr, hast du denn nie darüber nachgedacht, welche Konsequenzen das hat?«

»Konsequenzen?« Der Archivar, solchermaßen aus dem Königreich seiner gelehrsamen Forschungen herausgerissen, war plötzlich beunruhigt.

Aurian runzelte die Stirn. »Nun, ich weiß selbst nicht genau. Aber ich bin sicher, ich könnte mir das eine oder andere dazu denken.« Ihre Stimme hatte plötzlich einen schmeichelnden Klang. »Finbarr, würdest du mir diesen Zauber beibringen?«

Finbarr warf der jungen Magusch einen ernsten Blick zu. Ihr Gesicht war ein Abbild reiner Unschuld, aber er ließ sich nicht zum Narren halten – er kannte Aurian zu gut. »Wenn du damit meinst, ob ich dich die Schriftrolle sehen lasse, dann ist die Antwort ein klares ›Nein‹. Nach dem, was Geraint zugestoßen ist, habe ich sie in sicheren Gewahrsam genommen, und da bleibt sie auch. Es wird dich jedoch trösten zu wissen, daß du nicht die einzige bist, der dieses Wissen verboten ist – ich habe schon vor langer Zeit beschlossen, daß die Drachenmagie für das Maguschvolk viel zu gefährlich ist. Ich bedaure zutiefst, daß ich die Schriftrolle nicht sofort verbrannt habe, nachdem ich sie gefunden hatte – und doch kann ich mich nicht einmal jetzt, nachdem ich weiß, welchen Schaden sie anrichten kann, dazu überwinden, einen Teil unserer Geschichte zu zerstören. Niemand außer uns und wahrscheinlich deiner Mutter weiß von der Existenz dieser Schriftrolle – und, Aurian, ich appelliere an deine Ehre, zu keiner einzigen Seele ein Wort davon zu sagen, nicht einmal zum Erzmagusch.« Er nahm ihre Hände in seine eigenen. »Habe ich dein Versprechen?«

»Natürlich hast du das!« versicherte Aurian ihm. »Unter der Bedingung, daß du mir den Zeitzauber beibringst!«

Der Archivar zögerte. »Du mußt zuerst mit Miathan darüber sprechen«, sagte er schließlich. »Er ist für deine Ausbildung verantwortlich, und dein Stundenplan ist ohnehin schon übervoll.«

»Oh, das ist kein Problem«, erwiderte Aurian. »Ich finde immer noch ein wenig Zeit. Genau betrachtet, kann ich vielleicht genau das tun, wenn du mich den Zauber lehrst.«

Finbarr brauchte einen Augenblick, um zu verstehen, was sie meinte, und als er es verstanden hatte, wurde sein Blut plötzlich eiskalt. »Aurian! Wage es nicht, auch nur darüber nachzudenken, mit der Zeit herumzuspielen! Hast du auch nur die geringste Ahnung, wie gefährlich das werden kann? Nur die Götter wissen, welchen Schaden du damit anrichten kannst!«