Aurian tätschelte seinen Arm. »Schon gut, Finbarr. Ich habe doch nur Spaß gemacht.« Aber der Blick in ihren Augen war immer noch ausgesprochen nachdenklich.
»Hör zu«, sagte Finbarr, der hoffte, auf diese Weise das Thema wechseln zu können. »Meiriel und ich würden uns freuen, wenn du heute abend mit uns ißt. Sie sagt, daß sie dich in letzter Zeit überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekommt.«
Aurian machte ein langes Gesicht. »Oh, heute abend kann ich nicht. Ich muß mich unbedingt mit diesen Büchern über Wettermagie beschäftigen, die du für mich herausgesucht hast. Miathan war mir zwar eine Hilfe, aber Eliseth ist die Spezialistin, und da sie mir so ungern etwas beibringt, muß ich mir die Theorie zusammensuchen, wo ich nur kann. Wenn ich doch nur in die Kuppel könnte, um dort zu üben. Aber sie hat immer irgendeine Entschuldigung. Es ist so frustrierend!« Sie schlug mit der Faust auf den Tisch.
Finbarr blinzelte. »Ich wußte ja gar nicht, daß du mit Wettermagie angefangen hast«, sagte er.
»Nun, ich brauchte etwas, womit ich meine Zeit ausfüllen konnte, nachdem ich aufgehört hatte, mit Bragar Feuermagie zu studieren.«
Der Archivar runzelte die Stirn. »Ja, davon habe ich gehört. Mein liebes Kind, meinst du nicht, daß es ein wenig unklug war, mit Bragar zu streiten?«
»Was soviel heißen soll, daß du es für unklug hältst, ja?« Aurian warf ihm einen finsteren Blick zu. »Bragar ist ein Esel! Er hält sich für einen solchen Experten, aber er weiß so gut wie gar nichts über Feuermagie. Ich habe alles gelernt, was er mir überhaupt beibringen konnte, und wenn es ihm nicht gefallen hat, daß ich ihm genau das gesagt habe, dann ist das eben sein Problem!«
»So, wie mir die Geschichte erzählt wurde, warst du extrem taktlos«, tadelte Finbarr sie, »und ich gebe dir den guten Rat, dich zu entschuldigen. Denke an meine Worte, es ist nicht gut, Bragar zum Feind zu haben.«
Aurian zuckte die Achseln. »Ich habe keine Zeit, mich um Bragars Mißmut zu kümmern. Er wird schon darüber hinwegkommen. Finbarr, bitte, bringst du mir diesen Zauber bei?«
»Meinst du nicht, du hast schon genug auf deinem Stundenplan stehen? Du nutzt doch schon jeden Augenblick, den die Götter schicken, zur Arbeit. Wenn du nicht zu beschäftigt bist, um zu essen, dann vergißt du es einfach – und ich sehe die ganze Nacht Licht in deinen Räumen brennen. Findest du nicht, du solltest dir ab und zu Zeit für eine kleine Pause nehmen? Oder sogar einmal schlafen, um Himmels willen?«
»Mir geht’s doch blendend!« Aurians Gesicht wurde plötzlich ernst. »Finbarr, ich möchte, daß Miathan stolz auf mich ist. Er ist so gut zu mir gewesen – er war für mich wie der Vater, den ich nie gekannt habe. Meine einzige Möglichkeit, das wiedergutzumachen, ist, die beste Magusch zu werden, die je gelebt hat – und genau das werde ich tun.« sie biß die Zähne zusammen und nahm den sturen Gesichtsausdruck an, den Finbarr genausogut kannte wie alle anderen in der Akademie, angefangen von den Dienstboten bis hin zum Erzmagusch. Der Archivar seufzte. Meiriels Sorgen waren berechtigt. Aurian war mittlerweile regelrecht besessen von ihrer Arbeit. Sie vergaß zu essen und zu schlafen und übte viel zu großen Druck auf die inneren Energien aus, die die Quelle ihrer magischen Kräfte waren. Es zeigten sich bereits die ersten Warnzeichen. Ihr Gesicht war bleich und wirkte ausgezehrt, und ihre Haut schien in innerem Licht zu schimmern. Ihre grünen Augen waren verschwommen, ihr Blick bohrend.
Im letzten Sommer, als Finbarr Aurian zu einem Besuch bei ihrer Mutter begleitet hatte, hatte er versucht, Eilins Unterstützung zu gewinnen, um sie zu überreden, etwas kürzer zu treten, aber die Erdmagusch, an ihre eigene zermürbende Arbeit gewöhnt, hatte seine Sorgen einfach abgetan. Eilin hatte sich selbst auch immer das Äußerste abverlangt – ihre selbstauferlegte Aufgabe war viel zu gewaltig für eine einzige Magusch. Ihre hagere Erscheinung hatte Finbarr erschreckt, und er wußte, daß sie Aurian mehr vermißte, als sie zugeben wollte; aber als er sie bat, zur Akademie zurückzukehren, hatte sie sich nachdrücklich geweigert. Wie die Mutter, so die Tochter, dachte Finbarr. Man sieht jedenfalls, wo Aurian ihre Besessenheit herhat – und ihre unmögliche Sturheit!
Nichtsdestoweniger entschloß er sich zu einem letzten Versuch, die halsstarrige junge Magusch zur Vernunft zu bringen. »Aurian, hör mir zu. Du mußt besser auf dich achtgeben. Meiriel glaubt, daß du Gefahr läufst, deine eigene Flamme zu verzehren. Schreckliche Dinge können einer Magusch zustoßen, die sich so überanstrengt, wie du es tust. Miathan ist stolz auf deine Fortschritte, aber er möchte nicht, daß du deine Kräfte verlierst – und deinen Verstand –, weil du übereifrig bist. Glaub mir, so etwas kann passieren. Ich habe dokumentierte Fälle hier, wenn du sie sehen möchtest.«
Aurians Gesicht wurde ernst. »Macht sich Meiriel wirklich Sorgen?«
»Ganz bestimmt. Wenn du nur mit ihr sprechen würdest …«
»Natürlich tue ich das!« rief Aurian impulsiv. »Hör zu – ich komme doch zu euch zum Abendessen. Ich bin sicher, daß ich sie beruhigen kann. In der Zwischenzeit nehme ich mir das hier mit und fange schon einmal an.«
Mit diesen Worten raffte sie einen Armvoll schwerer, alter Bände zusammen, die auf dem Tisch gestanden hatten, und stürzte hinaus, wobei sie wie gewöhnlich vergaß, ihm auf Wiedersehen zu sagen. Finbarr seufzte. Nun, er hatte es wenigstens versucht. Vielleicht konnte Meiriel sie zur Vernunft bringen.
Die Hitze traf Aurian wie ein Schlag, als sie von der Bücherei auf den staubigen, sonnendurchstrahlten Hof trat. Das Wetter war so hoch oben im Norden selten so gut, aber mittlerweile dauerte die Hitzewelle seit über einem Monat an und zeigte keinerlei Absichten, endlich nachzulassen. Zuerst hatten sich die Bauern außerhalb der Stadt darüber gefreut, aber jetzt war das Heu eingeholt, und auf den Feldern verdorrte das Korn. Der Fluß war zu einem stinkenden, schlammigen Rinnsal versiegt, und zum ersten Mal seit Menschengedenken mußte das Wasser in Nexis rationiert werden. Die Sterblichen erwarteten langsam, daß die Magusch die Probleme lösten, und während die Trockenheit andauerte, vermehrten sich die Gerüchte über einzelne Unruhen.
Aurian verschwendete kaum einen Gedanken an die ganze Sache. Sie ging ganz in ihrer Arbeit auf und war auf unbekümmerte Weise zuversichtlich, daß Miathan für jedes Problem eine Lösung hatte. Sie hatte keine Vorstellung von den Entbehrungen, die die Sterblichen litten, da die Akademie das Wasser aus ihren eigenen, tief in der Erde verborgenen Quellen bezog und es den Magusch nicht an Wasser mangelte. Da sie den Gebäudekomplex hoch oben auf dem Felsen nur selten verließ, war es ihr nicht bewußt, daß die anderen Magusch mittlerweile kaum noch den Mut fanden, allein in die Stadt zu gehen. Während Aurian über den Hof hastete, beschloß sie, den Rest des Nachmittags in Miathans Garten zu verbringen, um dort zu arbeiten – ein Privileg, das einzig und allein ihr zukam, so nahe stand sie dem Erzmagusch mittlerweile. Aber als sie die kleine Tür erreichte, hörte sie Eliseths Stimme von der anderen Seite der Mauer.
»Miathan, ich habe getan, was ich konnte. Ich kann es nicht so ohne weiteres regnen lassen – die nächsten Wolken sind Hunderte von Meilen entfernt! Ich habe die Dinge in Bewegung gesetzt, aber es wird Tage dauern, bis die Wolken hier sind, und ich verzehre meine Kraft dabei. Diese Trottel in der Stadt sollten dankbar sein! Ehrlich, wenn du nicht darauf bestanden hättest, würde ich keinen Finger krumm machen. Wen kümmert denn ihre blöde Dürre! Den Magusch geht es gut.«
»Eliseth, ich habe dir doch erklärt, warum es sein muß.« Miathans Stimme klang müde und gleichzeitig wütend. »Du weißt, wie kritisch die Situation dort unten ist. Das Wasser wird bereits rationiert, und Meiriel sagt, daß ein ernsthaftes Seuchenrisiko besteht, wenn der Fluß noch weiter sinkt. Es hat bereits einige vereinzelte Ausbrüche gegeben, und die Leute geben den Magusch die Schuld. Wenn es zu einer Epidemie kommt, wird die Stadt hochgehen wie Zunder, und ich bin nicht darauf gefaßt, mich mit einem wütenden Mob herumzuschlagen. Rioch war gestern abend bei mir, und diesmal ist er wirklich entschlossen, in den Ruhestand zu treten. Er sagt, er sei zu alt, um mit der Unruhe fertig zu werden. Und Vannor! Ich habe den Verdacht, daß er insgeheim zu den Hauptanstiftern gehört. Er war früher schon schlimm genug, aber seit seine Frau vergangenes Jahr gestorben ist, widerspricht er mir im Rat bei jeder Gelegenheit. Weil Meiriel es nicht geschafft hat, sie zu retten, gibt er dem Maguschvolk die Schuld an ihrem Tod.« Miathan seufzte. »Es wäre eine große Hilfe, wenn wir einen Nachfolger für Rioch finden könnten, aber gerade jetzt gibt es in der Garnison niemanden, der unserem Volk freundlich gesinnt ist. Eliseth, wenn du nicht bald ein wenig Regen zustande bringst, werden die Konsequenzen unausdenkbar sein!«