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»Ich tue mein Bestes!« fuhr Eliseth ihn an. »Wenn du mich nicht auch noch mit deinen Problemen quälen würdest, hätte ich mehr Zeit …«

Stirnrunzelnd ging Aurian weiter. Der arme Miathan! Vielleicht würde sie ihm helfen können, wenn sie mit ihren Studium der Wettermagie nur endlich Fortschritte machte. Mit plötzlicher Entschlossenheit nahm sie den schweren Bücherstapel auf ihren anderen Arm und machte sich auf den Weg zu ihren Räumen. Es war schrecklich stickig im Turm, und während sie sich die endlose Spirale von Treppenstufen hinaufquälte, wünschte Aurian sich ausnahmsweise, ein wenig weiter unten zu wohnen. Ein Diener kam ihr auf seinem Weg von Miathans Gemächern herab entgegen, und mit dem Gedanken an Finbarrs Warnung hielt Aurian ihn auf. Sie hatte den ganzen Tag über nichts gegessen, aber als sie ihn gerade bitten wollte, ihr etwas auf ihr Zimmer zu bringen, zögerte sie. Es war zu heiß zum Essen. Ich kann mir später etwas holen, dachte sie. »Bring mir etwas Kühles zu trinken«, wies sie den Mann an und ging in ihr Zimmer, wo sie die Bücher mit einem dankbaren Seufzer auf den Tisch fallen ließ.

Das Arbeitszimmer war wie ein Ofen. Die grünen und goldenen Vorhänge hingen schlaff vor dem offenen Fenster, und Staubteilchen schwebten im grellen Sonnenlicht, das auf den moosgrünen Teppich fiel. Aurian griff nach dem Wasserkrug auf ihrem Tisch, zog jedoch eine Grimasse, als sie den abgestandenen, lauwarmen Inhalt gekostet hatte, und beschloß, auf die Rückkehr des Dieners zu warten. Wenn Miathan mir doch nur endlich meinen eigenen Diener geben würde, dachte sie, dann würde ich auch nicht mehr so vernachlässigt! Sie zog sich einen Stuhl heran, setzte sich an den Tisch und beschloß, daß sie ebensogut gleich mit der Arbeit anfangen konnte.

Wer auch immer dieses altertümliche Schriftstück verfaßt hatte: Seine Handschrift war fürchterlich. Aurian rieb sich die Augen, die von dem Versuch, das unleserliche Gekritzel zu entziffern, schmerzten. Die Zeilen schienen sich wellenförmig über die Seite zu bewegen, während das messingfarbene Sonnenlicht durch das Fenster strömte, das Pergament mit einem flirrenden Funkeln berührte und ihren Hinterkopf versengte. Aurian fragte sich gereizt, wann der Diener ihr endlich etwas zu trinken bringen würde, richtete dann jedoch ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre Arbeit. Den Göttern sei Dank, daß Finbarr ihr den Zauber beigebracht hatte, wie man diese archaischen Schnörkel in den Griff bekam! Mit vor Konzentration gerunzelter Stirn richtete sie ihren Blick fest auf die Seite und spürte tief in sich hinein, um ihre Kräfte zu aktivieren.

Zuerst fiel es Aurian gar nicht auf, daß etwas nicht stimmte. Dann bemerkte sie, daß die Worte statt klarer immer kleiner zu werden schienen. Voller Entsetzen stellte sie schließlich fest, daß der äußere Rand ihres Sehfelds sich bewölkt hatte, so daß die Schrift weit entfernt zu sein schien, am Ende eines langen dunklen Tunnels. Als sie versuchte, ihren Blick davon zu lösen, wollte ihr Körper ihr nicht gehorchen. Alles schien sich mit rasender Geschwindigkeit von ihr wegzubewegen, und sie stürzte – stürzte in die Dunkelheit …

»Es tut mir leid, Erzmagusch. Mehr kann ich nicht tun. Ich habe sie gewarnt, daß das passieren würde, wenn sie sich zuviel abverlangt.« Die Heilerin klang aufgeregt, und Miathan konnte seinen Ärger nur mit Mühe unterdrücken. Das ist meine Schuld, dachte er. Ich habe zugelassen, daß Aurian sich überanstrengt.

»Bist du sicher?« fragte er. »Es dauert jetzt schon drei Tage, Meiriel!«

Meiriel ließ sich müde auf Aurians Bett sinken. »Körperlich fehlt ihr nichts. Soweit ich sehe, hat sie auch ihre Kräfte nicht verloren, aber etwas in ihr hat sich zurückgezogen, um sie davon abzuhalten, diese Kräfte weiter zu mißbrauchen. Ich glaube, sie spürt, was um sie herum vorgeht, aber sie ist in sich selbst gefangen, und wir können nicht zu ihr durchdringen.«

»Wie lange wird das noch dauern?«

Meiriel zuckte mit den Schultern. »Wer weiß? Um ehrlich zu sein, Erzmagusch, wenn du sie nicht erreichen kannst, sieht es schlimm aus.«

»Und was ist mit ihrer Mutter?«

Meiriel schüttelte den Kopf. »Ich bezweifle, daß sie viel ausrichten könnte. Abgesehen von dir ist dieser Sterbliche der einzige, der Aurian nahesteht.«

»Forral! Natürlich!« Miathan schlug sich mit der Faust in die Hand. Seinem schnellen Verstand dämmerte bereits eine großartige Idee. »Forral könnte die Lösung für all unsere Probleme sein. Sag Finbarr Bescheid, daß er ihn sofort mit seiner Glaskugel suchen soll. Ich kümmere mich um einen Boten. Je früher wir nach ihm schicken können, um so besser.«

Das Licht der glühenden Kristallkugel auf dem Tisch vor dem Archivar warf scharfe Schatten auf die Wand. Der Erzmagusch stand schäumend vor Ungeduld hinter Finbarr. »Würdest du bitte aus dem Weg gehen, Miathan?« Finbarrs Stimmte hatte einen uncharakteristisch scharfen Klang. »Deine emotionale Aura reicht aus, um meilenweit den Empfang zu blockieren!«

»Mach einfach weiter!«

Finbarr erhob sich von seinem Stuhl, drehte sich um und starrte dem Erzmagusch wütend ins Gesicht. Dann wies er mit einem langen, knochigen Finger auf die Tür. »Hinaus!« Miathan blinzelte erstaunt. Er hatte ganz vergessen, welche Freundschaft den Archivar mit Aurian verband. Also schluckte er eine wütende Erwiderung herunter, ging zur Tür und begann, draußen im Flur auf und ab zu laufen. Nach einigen Minuten erschien Finbarrs Kopf in der Tür. »Ganz hinaus!« sagte er. »Wenn ich deinen Schwertkämpfer gefunden habe, werde ich nach dir schicken.«

Forral seufzte müde und schob einen Stapel Dokumente von sich weg. Es war kein freier Platz mehr auf dem überfüllten Schreibtisch, und ein Haufen Papiere, der etwas weiter hinten gelegen hatte, wurde über den Rand geschoben und fiel auf den Boden. Forral fluchte. Was war nur über ihn gekommen, in diesem todlangweiligen Loch am hintersten Ende von Nirgendwo das Kommando zu übernehmen? An der Südküste war es heutzutage ziemlich still, und die Truppen in den Bergfestungen hatten nichts zu tun, außer ab und zu einen gelegentlichen Aufstand der Bergstämme zu unterdrücken, jenes rauhen, von wilder Unabhängigkeit erfüllten Volkes, das auf diesen trostlosen, südlichen Gebirgen nach Mineralien und Metallen grub. Und da diese unzivilisierten Stämme, denen jede Organisation fehlte, einander ständig befehdeten, hatte Forral kaum etwas anderes zu tun, als sich um eine Flut kleinlicher Verwaltungsarbeiten zu kümmern, die ihn langsam zur Verzweiflung trieb.

Der Schwertkämpfer bereute es jetzt bitter, daß er jemals an diesen Ort gekommen war. Es war ihm zuerst als ein sicherer Hafen erschienen, denn ohne Aurian hatte sein Leben nur noch wenig Sinn gehabt. Nachdem er das Tal verlassen hatte, war er etwa ein Jahr lang ziellos umhergewandert und hatte hier und da eine Arbeit angenommen, wenn sich die Gelegenheit dazu bot. Meistens hatte er Karawanen bewacht oder Lagerhäuser für irgendwelche Kaufleute. Es war eine langweilige Arbeit gewesen und manchmal entwürdigend, aber das hatte ihm kaum etwas ausgemacht. Er hatte lediglich einen trockenen Platz zum Schlafen und etwas zu essen gewollt – und manchmal ein paar zusätzliche Münzen, die er für Wein und Frauen ausgeben konnte. Letzteres hatte die Sache schließlich besiegelt. Der Einsamkeit und des Schmutzes überdrüssig, wachte er eines Morgens mit dröhnenden Kopf auf, ein fremdes Gesicht neben sich auf dem Kissen. Da hatte er beschlossen, den Posten im Fort anzunehmen, um seinem Leben wieder ein Ziel zu geben. Damals hatte er das für eine gute Idee gehalten, dachte er reumütig.