»Erspare mir deine Entrüstung, Bragar! Du hast selbst schon oft Sterbliche gehabt, und ich auch. Aber wir hatten soviel Verstand, es nicht öffentlich zu zeigen.« Eliseth schnurrte regelrecht. »Aurian wird das nicht tun, darauf möchte ich wetten. Und unser verehrter Erzmagusch wird niemals einen Rivalen dulden. Er hat selbst Absichten in dieser Richtung.« Sie zuckte mit den Schultern. »Alles, was wir tun müssen, ist abwarten. Die Dinge werden sich von selbst irgendwann in unserem Sinn entwickeln. Und wo wir gerade beim Thema sind, ich meine, wir sollten uns auch ein wenig Verstärkung beschaffen.«
»Wie meinst du das? Worauf willst du hinaus, Eliseth? Meiriel und Finbarr würden niemals …«
»Die doch nicht, Dummkopf!« Eliseth Stimme troff vor Verachtung. »Ich spreche von Davorshan.«
Bragar brach in lautes Gelächter aus. »Meine liebe Eliseth, wie willst du ihn denn von seinem Zwillingsbruder loseisen? Und selbst wenn es dir gelingen sollte, welchen Nutzen sollte er für uns haben? Die Zwillinge haben doch beide zusammen nicht einmal genug Kraft, um eine Kerze auszulöschen.«
»Zusammen nicht. Aber wenn wir es nur mit einem einzigen zu tun hätten? Ich glaube, da liegt das Problem, Bragar. Sie haben genug Kräfte für einen Magusch, aber sie sind so eng miteinander verbunden, daß keiner von beiden an diese Kräfte herankommt. Aber ich möchte mir ihr Potential zunutze machen, und Davorshan ist wahrscheinlich der geeignetere Kandidat von den beiden. Und was das Problem betrifft, ihn von D’arvan zu trennen …« Ein selbstgefälliges, kleines Lächeln spielte um Eliseths Mundwinkel. »Ich glaube, er hat den Punkt erreicht, an dem … gewisse Anreize ihre Wirkung zeigen könnten.«
Bragar streckte die Arme aus, um sie an sich zu ziehen. »Bei den Göttern, wie hinterhältig du doch sein kannst!« sagte er beifällig.
»Stimmt.« Geschickt wich Eliseth seiner Umarmung aus. Du Narr, dachte sie voller Verachtung. Du weißt ja nicht, wie hinterhältig ich sein kann.
Forral brachte Aurian im Gasthof zum Flinken Hirschen unter, einem der besten Häuser in Nexis. Als allererstes untersagte der Schwertkämpfer ihr, auch nur die leiseste Spur von Magie zu verwenden – nicht einmal, um eine Kerze anzuzünden –, aber nun, da sie wieder mit ihrem geliebten Forral Zusammensein konnte, vermißte Aurian auch ihre Magie nicht mehr. Am ersten Abend, bei dem besten Abendessen, das das Gasthaus zu bieten hatte, brachten sie und Forral einander auf den neuesten Stand, was ihre Erlebnisse in den vergangenen Jahren betraf, und der Schwertkämpfer kam auf seinen Widerwillen gegen den Posten bei der Garnison zu sprechen. »Es ist eine ungeheure Ehre«, sagte er, »aber ich bin nicht besonders begeistert darüber. Ich habe akzeptiert, weil ich mir die Chance, daß wir beide wieder Zusammensein können, unmöglich entgehen lassen konnte. O ihr Götter, Mädchen, wie sehr ich dich vermißt habe!«
Aurian streckte ihre Hände über den Tisch und griff nach seiner Hand. »Und ich habe dich vermißt«, sagte sie weich. »Wenn du nur wüßtest, wieviel Tränen ich vergossen habe …« Ihre Augen blitzten auf. »Wie konntest du nur weggehen?«
Forral sah beschämt aus. »Es tut mir leid, mein Liebes, wirklich. Ich habe tatsächlich gedacht, es wäre am besten so. Das, was damals geschehen ist, hat mich so tief getroffen, daß ich nicht mehr klar denken konnte. Dann sagten die Heilerin und deine Mutter …«
»Mutter? Das hätte ich mir doch denken können!« Aurian konnte ihren Zorn nur mit Mühe beherrschen. »Es tut mir leid. Ich will uns den heutigen Abend nicht verderben. Die Hauptsache ist, daß du wieder da bist. Aber warum möchtest du die Kommandantur der Garnison denn nicht übernehmen?«
Forral lächelte. »Wie erwachsen du geworden bist! In all den Jahren habe ich an dich als Kind gedacht, und nun finde ich eine Frau. Es wird wohl einige Zeit dauern, bis ich mich daran gewöhnt habe.« Er schenkte ihr einen sehnsüchtigen Blick, und Aurian spürte, wie sie angesichts der Vertrautheit dieses Blickes, der eine neue und beunruhigende Wärme in ihr entfachte, errötete.
»Die Garnison«, wiederholte sie, um ihre plötzliche, unerklärliche Schüchternheit zu überspielen. Zu ihrer großen Erleichterung schüttelte Forral sich, als erwache er gerade aus einem Traum, und nahm ihr Stichwort auf.
»Es ist nicht die Verantwortung, die mir Sorgen macht.« Er zog eine Grimasse. »Es ist dieser verdammte Papierkram! Ich hasse Verwaltungsarbeit.«
Aurian lachte. »Ist das alles? Dann tu sie doch einfach nicht!«
»Aurian, ich glaube nicht, daß dir klar ist …«
»Und ob es das ist. Aber als Garnisonskommandant wirst du doch so viel Einfluß haben, daß du den Papierkram auch von jemand anderem erledigen lassen kannst. Dann hast du viel mehr Zeit für Dinge, die du tun willst – und für mich!«
Forrals Gesicht war ein Abbild von Erstaunen und Erleichterung. »Aurian, du bist ein Genie!«
Sie redeten die ganze Nacht, genossen das Beieinandersein, und zum ersten Mal in ihrem Leben war Aurian betrunken. Forral machte sie mit Pfirsichlikör bekannt, und sie fand auf Anhieb den größten Gefallen daran. Aber das, was der nächste Morgen ihr dann brachte, war ein Schock für sie. Sie erwachte mit dröhnendem Kopf und Magengrimmen, und ein schneller, qualvoller Blick durch die Vorhänge zeigte ihr, daß die Sonne bereits im Zenit stand.
Als Aurian hinunterging und in den privaten Speisesaal kam, der eigens für die Gäste des Gasthauses reserviert war, stellte sie fest, daß Forral noch schlimmer dran war als sie – aber nur ein wenig schlimmer. Ein Blick auf sein bleiches Gesicht und seine trüben Augen verriet ihr, daß sie zumindest gemeinsam litten. Bei seinem Anblick stellte Aurian zu ihrer Überraschung fest, daß sie zögerte. Sie hatte in der vergangenen Nacht so merkwürdige Träume gehabt! Träume, in denen Forral sie geküßt hatte, sie gehalten hatte … Du Närrin, sagte sie entschlossen zu sich selbst. Er hat dich doch praktisch großgezogen! Es mußte am Wein gelegen haben. Aber er blickte auf und lächelte, und als sie Platz nahm, spürte sie, daß sie am ganzen Körper zitterte. Es war der Wein, wiederholte sie unerbittlich. Nur der Wein …
»Großer Chathak, Liebes, du bist ja weiß wie ein Laken!« Forral schien besorgt zu sein. »Armes Mädchen – es ist das erste Mal, daß du zuviel getrunken hast, nicht wahr? Und es ist meine Schuld.« Als er ihre Hand ergriff, schoß eine Flamme prickelnden Feuers durch Aurians Körper. O ihr Götter, dachte sie, was geschieht mit mir? Forral schob ihr eine dampfende Tasse hin, und sie beugte sich tief darüber, um ihre Verwirrung zu verbergen. Es war Taillin, ein Tee, der aus Blättern eines Strauches gewonnen wurde, der im Südosten wuchs, das Hauptstimulans der Stadtbewohner. Aurian nahm einen Schluck davon und zog bei dem sauerscharfen Geschmack des Gebräus eine Grimasse. Wie sehr sie doch die Tees ihrer Mutter vermißte, die aus einer Vielzahl von Beeren, Blumen und Kräutern gewonnen wurden und von denen jeder seinen eigenen Nutzen hatte. Nichtsdestoweniger war sie in diesem Augenblick sogar für das Taillin dankbar.
Gerade in dieser Sekunde erschien einer der Männer, die in der Gaststube bedienten, um sich mit kleinlauter Ehrerbietung zu entschuldigen. Sie hatten Forrals Identität bereits entdeckt, und was den Umstand betraf, daß sie eine Magusch zu Gast hatten …
»Es tut mir wirklich leid, mein Herr und meine Dame«, sagte er, »das ist das Beste, was wir zum Frühstück finden konnte, da es jetzt schon so spät ist und die Zeiten so schlecht sind …« Er stellte zwei Teller vor sie hin mit etwas, das Aurian wie klumpige Eier vorkam, und zog sich dann hastig zurück. Ungläubig starrte sie auf das schleimige gelbe Zeug auf ihrem Teller und schluckte die Galle herunter, die in ihrer Kehle aufgestiegen war. Die Zeiten sind so schlecht? Wie meinte er das? Gewiß konnte es trotz der Dürre nicht so schlimm stehen in der Stadt? Das gestrige Abendessen war ganz in Ordnung gewesen. Obwohl sie, wie sie sich trocken eingestehen mußte, so in Forrals Gegenwart versunken gewesen war, daß sie nicht einmal bemerkt hätte, wenn …