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»Herr! Kommandant Forral!« Es war der Gastwirt persönlich, und nach dem Blick seiner Augen zu urteilen, war der Mann in heller Panik. Aurian blinzelte überrascht, als sie sein gerötetes Gesicht und seine zerzauste Erscheinung wahrnahm. Konnte dies derselbe gewandte, selbstbeherrschte Mann sein, der sie gestern abend willkommen geheißen hatte? Er zog an Forrals Arm, wobei er die unterwürfige Höflichkeit, mit der man im Flinken Hirschen seine Gäste zu behandeln pflegte, vollkommen außer acht ließ. »Herr, du mußt sofort kommen!« keuchte er. »Es gibt einen Aufstand – auf dem Marktplatz!«

»Was?« Forral stieß seinen Stuhl zurück und sprang auf die Füße. »Bleib hier«, sagte er zu Aurian und war im selben Augenblick verschwunden.

Eine Sekunde lang hielt die kindliche Gewohnheit des Gehorsams Aurians Temperament stand. Dann zogen sich ihre Brauen zusammen, und ihr Kiefer begann sich zu verspannen. Hierbleiben? Wahrhaftig, als wäre sie noch ein kleines Kind! Hier sitzen und Taillin trinken, während er sich in Gefahr begab? »Das wäre ja noch schöner!« murmelte Aurian. Dann erhob sie sich schnell und eilte Forral nach.

6

Sturmbringer

Die Messe der Garnison in Nexis war während der Stunde der Mittagsmahlzeit für gewöhnlich voller Leben. Der Lärm war meistens schier ohrenbetäubend, wenn das fröhliche Geklapper des Bestecks auf den Tellern, das Getöse der lauten Unterhaltungen und die derben Scherze zwischen den kahlen Wänden aus weißgetünchtem Stein widerhallten. Heute war nichts zu hören bis auf ein paar vereinzelte, gedämpfte Stimmen und das Summen der fetten, schwarzen Fliegen, die sich auf den zurückgelassenen Speiseresten auf den Tischen sammelten. Die Dürre, der unmittelbar vorstehende Wechsel des Kommandos und die düstere Drohung eines Bürgeraufstands hatte die Moral in der Garnison auf den Tiefpunkt sinken lassen.

Maya warf einen Blick auf die Reihen leerer Tische und Bänke und runzelte die Stirn. Es überraschte sie nicht, daß niemand zum Essen gekommen war. Die Rationen waren wegen der Dürre knapp, und das Essen wurde bei dieser Hitze schnell ranzig. Gemüse und Früchte gab es fast überhaupt nicht mehr, und das meiste davon ging, ehe man sich’s versah, an die Leute, die sich die Wucherpreise leisten konnten; Gasthäuser wie das Zum Flinken Hirschen, wo sich die Reichen bewirten ließen, sicherten sich ihren Anteil, oder – das Gesicht der kleinen, dunkelhaarigen Kriegerin verfinsterte sich noch mehr – das verwünschte Maguschvolk! Maya ballte unter dem Tisch die Fäuste. Was war das für eine Gerechtigkeit? Überall sonst in Nexis, auch in der Garnison, lebten die Leute hauptsächlich von den sehnigen, von Fliegenlarven verseuchten Kadavern des Viehs, das auf dem versengten Land wegstarb wie die Fliegen.

»Was für ein hundsmiserables Leben!« murmelte Maya, ohne genau zu wissen, ob sie mehr mit sich selbst oder mit Hargorn sprach. Der alternde Krieger, der genau wußte, was sich hinter ihrer düsteren Laune verbarg, drückte ihr mit einer verständnisvollen Geste die Hand.

»Nimm es dir nicht so zu Herzen, Schätzchen. Daß der Erzmagusch dich nicht im Rat der Drei haben will, hat nichts mit deinen Fähigkeiten zu tun oder damit, daß du eine Frau bist. In den Augen der Soldaten ist es eigentlich eher ein Kompliment. Zumindest beweist es, daß der alte Bastard dich nicht auch in der Tasche hat. Und Stellvertreter eines so großen Schwertkämpfers wie Forral zu sein, ist doch auch nicht schlecht, hm?«

Maya zog eine Grimasse. »Doch, das ist es, zumindest für jemanden, der die Absicht hatte, selbst Kommandant zu werden! Außerdem mag Forral ja ein großer Schwertkämpfer sein, aber wir wissen doch alle, daß er den Posten nur bekommen hat, weil er mit den Magusch auf du und du steht!« Sie schlug mit der Faust auf den Tisch. »Miathan hätte ebensogut selbst den Oberbefehl übernehmen können, und damit wäre die Sache dann erledigt gewesen. Wenn Vannor nicht wäre, hätten die armen Sterblichen, die in dieser Stadt leben, überhaupt keinen Repräsentanten!«

»Selbst wenn du keine Frau wärst, hättest du mit diesen Ansichten den Posten bestimmt nicht bekommen«, erklärte Hargorn ihr verbittert. »Genau dieselben Ansichten waren es, die meine Karriere hier ruiniert haben. Denk an meine Worte, Mädel – halt dich aus der Stadtpolitik heraus!« Er schob das Band zurecht, das seine lange, mit grauen Strähnen durchzogene Mähne zusammenhielt, und stand auf. »Ich gehe jetzt besser. Wenn Parric nicht bald zurückkommt, werde ich sicher gebraucht.«

»Er ist immer noch nicht von seinem Besuch bei Vannor zurück?« Maya wünschte, sie hätte diese Aufgabe selbst übernommen. Sie mochte und respektierte das Oberhaupt der Händlergilde, diesen zähen, stämmigen, etwas kurz geratenen Mann mit dem trockenen Sinn für Humor und der kompromißlosen Einstellung gegenüber dem Leben im allgemeinen und den Magusch im besonderen.

Hargorn schüttelte den Kopf. »Warum Rioch überhaupt jemanden zu Vannor geschickt hat, nur um ihm zu melden, wer sein Nachfolger wird, weiß ich wirklich nicht. Als würde es für Vannor irgendeinen Unterschied machen, wen der Erzmagusch sich ausgesucht hat.«

»Da kommt Parric übrigens«, unterbrach ihn Maya.

Es war ein alter Garnisonswitz, daß der drahtige, kleine Kavalleriemeister es niemals fertigbrachte, einen Raum ohne Gepolter zu betreten. Diesmal hatte er einen fürchterlichen Hustenanfall von dem weißen Staub, der unablässig über das ausgetrocknete Paradefeld wehte. Außerdem war er in schrecklicher Eile. Als er zu ihnen an den Tisch trat, wischte er sich den Staub von seinem gebräunten Gesicht und seinem langsam kahlen Kopf und stürzte die flauen, lauwarmen Überreste von Mayas Bierhumpen mit einem einzigen Schluck herunter. »Es gibt Ärger«, sagte er. »Und Rioch ist nirgends zu finden.«

Es war ein weiter Weg von der Mühle nach Nexis. Und der Anstieg von dem Pfad am Fluß hinauf zum Marktplatz, wo die Farmer von außerhalb ihre Waren verkauften, schien sich geradezu endlos hinzuziehen. Sara stopfte ein paar vereinzelte Strähnen ihres schweißnassen Haares wieder unter ihr Kopftuch, während sie mühsam den gepflasterten Weg bergan ging und den unhandlichen Korb zur Abwechslung einmal an ihren anderen Arm hängte. Sie stampfte wütend mit dem Fuß auf, als das lose Korbgeflecht sich im dünnen Stoff ihres Kleides verfing. Warum hatte ihre Mutter sie dazu gezwungen, diesen langen Weg auf sich zu nehmen – für nichts und wieder nichts? Als gäbe es dort noch irgend etwas zu kaufen! Ist es vielleicht meine Schuld, daß wir so wenig zu essen haben? dachte sie gereizt. Habe ich diese verwünschte Dürre herbeigeführt? Um die Liste ihrer Klagen noch länger zu machen, hatte ihr sonst so nachsichtiger Vater sie ernsthaft getadelt, weil sie nicht früh genug aufgestanden war, um den Markt zu erreichen, sobald er öffnete. Sara machte ein finsteres Gesicht. Es war wirklich kein Auskommen mehr mit dem Mann, seit das Wasser des zu einem Rinnsal zusammengeschrumpften Flusses nicht mehr ausreichte, das Mühlrad anzutreiben. Und da Anvar nicht mehr mit dem Wagen kam, um Mehl zu holen, mußte sie den ganzen Weg zu Fuß gehen. Nicht, daß Anvar in letzter Zeit noch ein besonders angenehmer Gesellschafter gewesen wäre. Er kannte nur noch seine Arbeit, als ob ihm das irgend etwas einbringen würde! Das Schlimme war, daß er keinen Ehrgeiz hatte.

Fast am Ziel. Sara seufzte dankbar auf, als sie begann, sich die steile Treppenflucht hinaufzuschleppen, die auf den Marktplatz führte. Erhitzt, mit wunden Füßen und hungrig war sie viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um den anschwellenden Tumult zorniger Stimmen zu bemerken. Als sie ihren Fuß auf den Marktplatz setzte, geriet sie mitten in den Aufruhr hinein.

Vannor galoppierte mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durch die Stadtstraßen, auf dem Weg von seinem Heim über dem Südufer des Flusses ins Marktviertel auf der anderen Seite der Stadt. Er hatte eine Botschaft von den verzweifelten Marktverkäufern erhalten, die angesichts der üblen Stimmung der Massen nach dem Oberhaupt der Händlergilde geschickt hatten. »Diese Idioten!« murmelte Vannor wütend. Warum hatten sie nicht einen Boten zur Garnison geschickt, die viel näher war? Es war reines Glück, daß Parric bei ihm gewesen war, als der aufgeregte und verschwitzte Bote bei ihm eingetroffen war.