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Da er es nicht wagte, durch einen Umweg Zeit zu verlieren, trieb der Kaufmann sein widerstrebendes Pferd über den kürzesten Weg zum Markt – die Steinstufen hinauf. Bis es Parric endlich gelang, die Truppen zu mobilisieren, konnte die Situation schon vollkommen außer Kontrolle geraten sein. Auf dem Marktplatz angekommen stellte Vannor fest, daß es schon soweit war. Mitten auf dem Platz brannte ein gewaltiges Feuer, das sich von niedergerissenen Verkaufsbuden nährte. Der Platz war mit einer wogenden Masse von Menschen angefüllt. Einige trugen Knüppel bei sich, während andere zu Vannors Bestürzung mit Fackeln, Äxten und Messern bewaffnet waren. »Nieder mit den Kaufleuten!« schrien sie. »Nieder mit den Magusch!«

Vannor fluchte. In seinem innersten Herzen stimmte er der zweiten Forderung durchaus bei, aber als Oberhaupt der Händlergilde konnte er die erste kaum verzeihen. Die Kaufleute hatten sich hinter einer Barrikade umgelegter Wagen verschanzt und wurden dort das Ziel von Wurfgeschossen und wüsten Beschimpfungen. Es war nicht schwer festzustellen, was den Aufruhr ausgelöst hatte. Hinter der Barrikade der Händler stand ein Karren, der mit Waren aller Art voll beladen war: Kisten von Sommerfrüchten, verschrumpeltes, aber zumindest noch unverdorbenes Wurzel- und Blattgemüse, verschiedene Käsesorten und zwei Kisten mit noch lebendem Geflügel. Der Karren trug das Zeichen der Magusch und war unverkennbar für die Akademie bestimmt. Selbst mit dem wütenden Mob an der Kehle hatten die Händler zuviel Angst vor Miathans Zorn, um ihr Abkommen mit dem Erzmagusch zu brechen, und daher versuchten sie immer noch, den Wagen mit seiner kostbaren Fracht zu verteidigen. Vannor, der mit seinem scheuenden Pferd zu kämpfen hatte, blieb am Rand des Platzes stehen. Was kann ich allein dagegen ausrichten, dachte er? Wo sind die Soldaten? Das Schwierige an seiner Lage war, daß er, der sich selbst aus der erbärmlichsten Armut seiner Kindheit nach oben gekämpft hatte, auch in seiner augenblicklichen hohen Position volles Verständnis für die verzweifelten, hungrigen Menschen auf dem Marktplatz hatte. Und doch war er jetzt das Oberhaupt der Händlergilde, und seine Leute waren in Gefahr. Er trug die Verantwortung für sie. Er mußte zu den Kaufleuten durchkommen und sie dazu zwingen, den Karren aufzugeben. Ohne es zu wagen, an die Folgen zu denken, begann er, sein unwilliges Reittier durch die dichtgedrängte Menschenmenge zu treiben.

Es war eine harte Arbeit. Das Pferd war verständlicherweise widerwillig; der Mob hatte ihm Entsetzen eingeflößt. Da wären wir schon zwei, dachte Vannor grimmig, während er Hände abwehrte, die sich an seinen Sattel klammerten, und den Wurfgeschossen so gut er konnte auswich. Bleiche und vom Hunger entstellte Gesichter wandten sich ihm zu. Irgendwo in der Menge ertönte ein Schrei. Mit dumpfer Übelkeit in der Magengrube wurde Vannor erst zu spät bewußt, welchen Fehler er gemacht hatte. Für diese Menschen bedeutete sein Pferd Nahrung. Ein Stein traf ihn im Gesicht, und er schmeckte Blut auf der Zunge. Sie drängten sich hinter ihm zusammen und blockierten so seinen Rückzug. Aber noch hatten sie zuviel Angst, um sich den rasenden Hufen seines Pferdes zu nähern. Obwohl er alles daransetzte, vorwärtszukommen, bewegte er sich kaum von der Stelle. Er versuchte, laut zu rufen, um die Aufmerksamkeit der Händler zu gewinnen, aber bei dem Lärm, der auf dem Marktplatz herrschte, konnten sie ihn nicht hören.

Plötzlich gab Vannors Pferd ein schrilles Wiehern von sich, bäumte sich auf und schlug wie wild aus. Die Menge schrak in Panik vor ihm zurück. Während er noch mit den Zügeln kämpfte, zog ein neuerlicher Schrei den Blick des Händlers nach unten. Ein junges Mädchen war unter den wirbelnden Hufen seines Pferdes zu Boden gestürzt. Mit einem Ruck, der ihm beinahe die Arme aus den Gelenken gerissen hätte, riß Vannor das Tier zur Seite, beugte sich herab, griff nach dem Arm des Mädchens und zog es aus dem Gefahrenbereich heraus.

Weinend, zerschunden und zu Tode geängstigt, kletterte die junge Frau zu ihm in den Sattel – sie gehörte ganz offensichtlich nicht zu diesem wild gewordenen Mob. »Es ist alles wieder gut«, versicherte Vannor ihr, als sie sich fest an ihn klammerte und hysterisch schluchzte. »Du bist jetzt in Sicherheit!« Das war einwandfrei eine Lüge. Sein Pferd geriet unter den Stößen der Menge ins Taumeln, und das Mädchen stieß einen neuerlichen Angstschrei aus. O ihr Götter, dachte der Kaufmann, wie bringe ich uns hier nur wieder heil heraus?

Forral erfaßte die Situation mit einem einzigen Blick. Er erreichte den Marktplatz vom Flinken Hirschen aus, also genau von der entgegengesetzten Seite wie Vannor. Eine schmale Gasse führte ihn dicht hinter die Barrikade der Kaufleute. Bei Chathaks Bart! Was für ein Einstand seiner Garnisonskommandantur! Und wo blieben die Soldaten? Sie sollten mittlerweile längst hier sein. Der Schwertkämpfer wußte, daß man nichts tun konnte, um diesen Mob zu beruhigen. Die Händler würden den Rückzug antreten müssen, und zwar bald. Einige Männer – die Gesichter vor hysterischer Wut verzerrt – entzündeten an dem großen Feuer mitten auf dem Platz Fackeln. Er ging um eine Sperre aus Abfall und herausgerissenen Pflastersteinen herum, die der Mob aufgerichtet hatte, und verschwand in dem engen Raum hinter den Wagen. Die zu Tode erschrockenen Kaufleute taten ihr Bestes, um sich die wütende Menge vom Leib zu halten, indem sie ihre Schwerter durch die Zwischenräume zwischen den Karren hindurchstießen. Forral faßte den Händler, der ihm am nächsten stand, an der Schulter und wirbelte ihn herum. »Mach, daß du hier rauskommst, Mann, bevor die Leute da an diese kleine Gasse denken und euch den Rückzug abschneiden. Die Waren aus dem Wagen dort werden sie aufhalten.«

Das ohnehin schon bleiche Gesicht des Kaufmanns verzog’ sich zu einer Maske schieren Entsetzens. »Wir können ihnen den Karren unmöglich überlassen! Der Erzmagusch wird …«

»Verflucht sei der Erzmagusch!« brüllte Forral. »Man wird euch töten!«

Es war zu spät. Mit einem Krachen und einem lauten Prasseln ging die Wagenbarrikade in Flammen auf. Während die Händler schreiend zurückwichen, machte sich der Mob zum Angriff bereit.

Aurian war Forral bis an den Marktplatz gefolgt. Dann hielt sie inne, um darüber nachzudenken, was sie als nächstes tun sollte. Sie wußte, daß er sie zurückschicken würde, wenn sie versuchte, bis zu ihm vorzudringen – ganz abgesehen davon, daß er ihr sicher das eine oder andere zu sagen haben würde, wenn dieses ganze Theater erst einmal vorüber war. Aber er war in Gefahr – also sollte sie bei ihm sein! Bei dem Gedanken, daß sie ihn wieder verlieren könnte, wurde ihr schlecht vor Angst. Und doch wußte Aurian aus früheren Erfahrungen nur allzugut, daß Forral furchtbar wütend wurde, wenn sie ihr eigenes Leben aufs Spiel setzte. Sein Problem! Sie lief durch die Gasse, aber gerade, als sie deren Einmündung auf dem Marktplatz erreichte, bemerkte sie die offenstehende Tür eines der direkt am Marktplatz gelegenen Häuser. Aurian blieb stehen. Sie kam nur selten nach Nexis, aber wenn sie sich recht erinnerte, hatten diese Häuser Balkone zum Marktplatz hin. Ohne zu zögern schlüpfte sie hinein. Glücklicherweise stand das Haus leer. Vielleicht machten seine Bewohner bei dem Aufruhr mit, dachte Aurian.

Die ehemals prachtvollen Häuser, die den Marktplatz säumten, waren inzwischen schäbig und dem Zerfall nahe, denn der ganze Bezirk war als Wohngegend aus der Mode gekommen. Aurian jagte durch großräumige Zimmer, bis sie schließlich eines fand, von dem eine hohe Fenstertür auf einen Balkon führte. Sie öffnete die Läden, trat hinaus und prallte angesichts des Tumults direkt vor und unter ihr sogleich wieder zurück. Auf der gegenüberliegenden Seite des Marktplatzes kämpfte ein Mann auf seinem Pferd gegen die Menge an, die versuchte, ihn aus dem Sattel zu reißen. Ein blondes Mädchen hockte vor ihm im Sattel und klammerte sich wie eine Närrin hysterisch an ihn, so daß sie seinen Schwertarm behinderte, während er versuchte, die Angreifer abzuwehren.