Выбрать главу

8

Versklavt

Wie immer sah Anvar den feigen Fuß nicht, der ihn zu Fäll brachte. Er trug gerade eine schwere Tonne voller Fleischabfälle und Gemüsereste zur Hoftür der Küche, als er den scharfen Schmerz an seiner Ferse spürte. Dann lag er, in einem Wust von Blut und stinkenden Abfällen, am Boden, lang ausgestreckt auf den Steinplatten, die er erst am Morgen gescheuert hatte.

Die wütende Stimme des Küchenmeisters brachte das Gekicher der restlichen Küchenmannschaft zum Verstummen. »Blöder Tölpel von einem Hornochsen!« Janoks schwerer Stiefel traf Anvar wuchtig in den Magen, in die Rippen und ins Gesicht. Janok nahm einen Besen von seinem Haken an der Wand und begann, auf den Jungen einzuschlagen, während er ihn ununterbrochen beschimpfte. Anvar schrie jedesmal auf, wenn der schwere Stiel des Besens auf seinen Rücken oder seine Schultern niederging. Er versuchte, fortzukriechen, um den Schlägen zu entgehen, aber seine Hände rutschten auf dem glitschigen Abfall aus, und er fiel mit dem Gesicht in die blutige Masse. Sein Kinn schlug hart auf dem Steinboden auf. Nur noch verschwommen hörte er jemanden lachen. Das rettete ihn. Rasend vor Zorn drehte sich Janok zu den anderen Knechten um, die ihm zusahen. »Was steht ihr da herum? Macht euch an eure Arbeit, bevor ich euch alle durchprügele. Es sind nur noch zwei Stunden bis zur Sonnenwendfeier!« Er warf Anvar den Besen hin und gab ihm zu guter Letzt noch einen Tritt. »Mach diesen Mist wieder sauber, du!«

Anvar richtete sich mühsam auf – getrieben von der Angst, was ihm bevorstand, falls er es nicht schaffte. Ihm war übel, und er bekam keine Luft; sein Körper krümmte sich in einem einzigen Schmerz zusammen. Vorsichtig betastete er die Hälfte seines Gesichtes, die Janoks Stiefel getroffen hatte. Es schien nichts gebrochen zu sein, aber sein Kiefer schmerzte, und zu den Verletzungen, die Janoks Faust gestern und vorgestern hinterlassen hatte, waren einige weitere hinzugekommen. Schließlich gelang es ihm, auf den Besen gestützt, zitternd aufrecht zu stehen. Niemand bot ihm Hilfe an. Steif und unter Schmerzen begann er, den Unrat aufzufegen. Er würde den Boden noch einmal schrubben müssen.

Die vier Monate, die Anvar bisher in der Küche der Akademie durchlitten hatte, waren wie ein einziger Alptraum gewesen. Die Magusch waren zwar nur noch zu acht, aber sie waren sehr eigen in ihren Eßgewohnheiten; sie aßen getrennt, jeder zu seiner bestimmten Zeit und in seinen eigenen Räumen, und die aufwendige Mahlzeit mußte für jeden anders beschaffen sein – gemeinsame Mahlzeiten in der Großen Halle, die an die Küche grenzte, gab es normalerweise nicht. Das bedeutete viel Arbeit für die Küche, und die unangenehmsten Aufgaben davon wies Janok stets Anvar zu. Der Küchenmeister war ein übellauniger Schinder, der das gesamte Küchenpersonal peinigte, aber auf Anvar hatte er es besonders abgesehen.

Jeden Tag scheuerte Anvar die schmierigen Steinplatten, schälte Wurzelgemüse und wusch einen endlosen Berg von Tellern ab, bis seine Hände rissig und rauh waren. Janok ließ ihn die geschwärzten Kupfertöpfe scheuern und polieren, bis sie glänzten. Anvar putzte das Silber, brachte die Abfälle hinaus und holte und zerkleinerte das Holz für die Ofen- und Küchenherde, bis sein Rücken schmerzte. Zu essen bekam er nichts außer Küchenabfällen. Wenn Anvar irgend etwas fallen ließ oder zerbrach, wurde er geschlagen. Wenn er es geschafft hatte, den Tag bis zum Abend durchzustehen, ohne Ungemach auf sich zu ziehen, dann fand Janok gewiß doch noch irgendeinen Grund, um ihn zu prügeln.

Es wäre vielleicht einfacher für ihn gewesen, wenn es ihm gelungen wäre, mit einem der anderen Küchenknechte Freundschaft zu schließen – aber die waren allesamt elende, mürrische Gestalten, denen es nur recht war, wenn ein anderer die Hauptlast der Launen des Küchenmeisters zu tragen hatte. Janok war es ein Vergnügen gewesen, ihnen zu erzählen, daß Anvar der Mörder seiner eigenen Mutter war – und wie es mit dem Klatsch in der Küche so geht, wurde die Geschichte von jedem, der sie weitererzählte, um einige Einzelheiten bereichert. Also sprach niemand mit ihm, außer um ihn zu schelten oder ihm Befehle zu erteilen, und alle bemühten sich nach Kräften, ihn mit grausamen Streichen in Schwierigkeiten zu bringen. Wenn er nicht hinschaute, schütteten sie kochendes Wasser in die Töpfe, die er spülte, so daß er sich die Hände verbrühte. Wenn er das Silber putzte, verschwanden regelmäßig einige der angelaufenen Stücke, um wieder zu erscheinen, sobald Janok den Raum betrat. Wenn er heiße Speisen oder Tabletts voller Teller trug, stellte man ihm ein Bein oder gab ihm hinterrücks einen Stoß, so daß seine Last zu Boden flog. Sie machten ihn auch für ihre eigenen Fehler verantwortlich. Wenn irgend etwas in der Küche falsch lief, dann war stets Anvar der Schuldige.

Das, was der Erzmagusch ihm angetan hatte, bereitete dem Jungen ständige Qualen. Wie war er hierhergekommen? Jedesmal, wenn er sich daran zu erinnern versuchte, was in Miathans Quartier geschehen war, wurden seine Gedanken durch den Schmerz ausgelöscht, der ihm den Schädel zu zerschneiden schien. Nach einer Weile erwies es sich als das einfachste für ihn, zu glauben, daß er die Strafe für Rias Tod erleide. Anvar verzehrte sich vor Trauer um seine Mutter, und er glaubte wirklich, daß es seine Schuld war. Wenn er nur pünktlich gewesen wäre, lebte sie noch. War es nicht das gleiche, als ob er sie umgebracht hatte? Seine Verzweiflung war so groß, daß nur der Gedanke an Sara ihn davon abhielt, sich das Leben zu nehmen. Was war aus ihr geworden? Er hatte sie im Stich gelassen, als sie ihn brauchte. Anvar machte es krank vor Sorge, was ihr wohl zugestoßen sein könnte – ihr und ihrem ungeborenen Kind. Aber er war hilflos – gefangen in der Akademie, das auffällige Sklavenmal der Magusch mit unauslöschlicher Farbe auf den Rücken seiner linken Hand tätowiert. Am Anfang, bevor sein Wille gebrochen war, hatte er überlegt, ob er in einer der Karren, die jeden Tag frische Produkte von den Märkten zur Akademie brachten, einen Fluchtversuch wagen sollte, aber es war hoffnungslos. Janok hielt ihn ständig unter Beobachtung, und selbst wenn er es geschafft hätte, herauszukommen – die Strafen für entlaufene Sklaven waren streng.

Nun stand die Wintersonnenwende bevor, aber der Festtag brachte Anvar keine Freude. Als sie endlich mit den Vorbereitungen für die Sonnenwendfeier der Magusch fertig waren, stand es dem Küchengesinde frei, ebenfalls das Fest zu feiern. Fässer mit Ale wurden angezapft, und bald war ein lärmendes Gelage im Gange. Es wurde gegessen, getrunken – sehr viel getrunken, und es gab jede Menge derber Spaße. Betrunkene Paare tanzten auf den Tischen herum, auf denen morgen wieder Speisen zubereitet werden sollten, und Janok legte sich gerade die jüngste der Wäscherinnen bäuchlings über die Mehlsäcke, die in einer Ecke aufgestapelt waren. Sein gerötetes, schweißüberströmtes Gesicht verzerrte sich zu einem boshaften Grinsen, als er ihre Röcke hochhob: Nach ihren erstickten Schreien zu urteilen, genoß sie die Erfahrung nicht gerade, aber Janok war der unumschränkte König seines kleinen Reiches und ließ ihr keine Wahl.

Anvar, der von seinem feuchten und schmutzigen Schlafplatz hinter dem Abfluß aus zusah, wurde schlecht vor Ekel. Sie hatten ihn von der Feier ausgeschlossen, und diesmal war er froh darüber. Jetzt, da alle feierten, vermißte er sein Zuhause und seine Familie am stärksten. Anvar kauerte sich in seinem engen Versteck zusammen und überließ sich dem Schmerz seiner Prellungen und seinem Kummer. Wäre er an jenem Morgen nicht zu spät gewesen, dann lebte Ria jetzt noch! Er und Sara wären verheiratet und freuten sich auf die Geburt ihres Kindes im Frühjahr. Anvar fragte sich, wo sie heute abend wohl war und wie sie die Sonnenwendfeier verbrachte. Von Verzweiflung überwältigt, begann er zu weinen.

Er war am Ende. Sein Körper war geschwächt und schmerzte von der ständigen Schinderei und Janoks rohen Schlägen, und die Arbeit in der Küche war heute eine einzige Raserei gewesen. Trotz des Lärms fiel er schließlich in Halbschlaf. Als er wieder erwachte, herrschte Stille. Das Feuer war niedergebrannt und das Gesinde dort, wo es gesessen und gelegen hatte, eingeschlafen. Knechte und Mägde schnarchten und schliefen ihren Rausch aus. Anvar richtete sich auf; sein Schmerz und seine Müdigkeit waren vergessen. Das war seine Chance, zu entkommen! Wenigstens würde er Sara sehen können und wüßte, wie es ihr ginge. Vielleicht konnten sie zusammen fliehen!