Выбрать главу

Die Große Halle, dachte D’arvan, sieht in ihrem festlichen Schmuck großartig aus. Er liebte diesen weitläufigen, beeindruckenden Saal. Irgendwie hatte er sich hier immer am meisten zu Hause gefühlt. Die Doppelreihe tragender Säulen, sorgfältig aus dunklem Stein in Form von Bäumen geschnitten, deren Zweige sich ineinander verschlangen, um die Decke zu tragen, war dekoriert mit beerenbehangenem Immergrün, und in Kristallkugeln an den Wänden loderte goldenes Maguschlicht. Die tanzenden Flammen scharlachroter Kerzen spiegelten sich auf dem polierten Holz der Tische, und in dem massiven Kamin prasselte ein gewaltiges Holzfeuer.

Es war schon spät, und die meisten Magusch hatten sich bereits zurückgezogen. Elewin, der Haushofmeister der Akademie, war oben auf der Galerie und brachte den ermüdeten Musikern Glühwein, um sie für ihren Heimweg durch den Schnee zu stärken, während andere Bedienstete die Reste des Festbanketts abräumten. Obwohl aus Tradition zur Sonnenwendfeier nur wilde Früchte und Beeren gegessen wurden, hatte Janok sich dieses Jahr selbst übertroffen. Die Palette der Speisen war überwältigend gewesen: Hirschkeule und geröstetes Wildschwein, gefüllt mit Kräutern und wilden Äpfeln; geröstete Fasane und Schwäne, die in ihrem eigenen Gefieder serviert wurden; Pasteten aus Tauben und Kaninchen. Saftige Forellen aus den Bächen des Gebirges waren mit geraspelten Mandeln gebraten worden; dann gab es wilde Wurzelgemüse und Wintersalate, getrocknete Pilze in einer mit wildem Knoblauch gewürzten Soße, dazu einen ganzen Berg Trüffeln. Während der Vegetationsperiode hatte Janok seine besten Leute in die Wälder rings um die Stadt geschickt, um die Zutaten für diese Festmahlzeit zu sammeln, und er hatte die Früchte und Beeren in Sirup und Dessertweinen eingelegt, um daraus Kuchen, Torten und andere süße Leckereien zu bereiten. D’arvan ließ sich in seinem Sitz zurückfallen und löste seinen Gürtel. Was war das für ein Festschmaus gewesen!

Aurians Gähnen riß ihn aus seinen Gedanken. »Nun, das war es dann für mich«, sagte sie. »Ich bin erschöpft. Forral hat mich beim Schwerttraining heute morgen furchtbar durchgebleut, und morgen in aller Frühe steht mir wieder das gleiche bevor, Sonnenwendtag hin oder her. Gute Nacht, D’arvan.«

»Gute Nacht, Aurian und …« D’arvan verfluchte seine erbärmliche Schüchternheit, die ihm die Zunge lähmte. »Und ich danke dir dafür, daß du mir heute abend Gesellschaft geleistet hast«, sagte er schließlich leise.

Aurian lächelte. »Ich danke dir, D’arvan. Ich wüßte nicht, was ich ohne dich hätte tun sollen. Bei unseren Göttern, sind diese Maguschfeste langweilig!« Die Wärme, mit der sie das sagte, tat ihm gut. Sie hatte fast den ganzen Abend an seiner Seite verbracht, ihm von ihrem Unterricht in der Heilkunde bei Meiriel und von ihren neuen Freunden bei den Sterblichen aus der Garnison erzählt – aber er hatte die ganze Zeit vermutet, daß sie ihm nur aus Mitleid Gesellschaft leistete, da Davorshan seine Gegenwart in so verletzender Weise ignorierte. Sein Zwillingsbruder hatte die ganze Nacht hindurch mit Eliseth getanzt, mit Eliseth gegessen, mit ihr gelacht und geflirtet. Er hatte Augen für niemanden außer für sie. Jetzt saß das Paar in der Nähe des Feuers über seine Weinkelche gebeugt und ins Gespräch vertieft.

Als wüßte sie, was ihn quälte, warf Aurian Eliseth und deren hingerissenem Gefährten einen finsteren Blick zu. »D’arvan«, sagte sie, »es geht mich ja eigentlich nichts an, aber vielleicht bringst du zu viel Zeit mit deinem Bruder zu. Wenn du möchtest, bis du herzlich eingeladen, mich ab und zu auf meinen Besuchen bei der Garnison zu begleiten. Es sind gute Leute dort, sie würden dir gefallen, und ich denke, du könntest etwas andere Gesellschaft gebrauchen.«

D’arvan starrte sie an, verblüfft und um eine Antwort verlegen. Sich mitten unter eine Meute Fremder begeben? Allein? Die Vorstellung erschreckte ihn. Er hatte niemals etwas ohne seinen Bruder getan! Aber dennoch genoß er die Freundlichkeit ihres Angebotes. Sie schien bemerkt zu haben, daß Davorshan während der letzten Monate mehr und mehr Zeit mit Eliseth und ihren Freunden verbrachte.

D’arvan rang unter dem Tisch die Hände und versuchte, seine Verzweiflung zu unterdrücken. Davorshan hatte ihm gesagt, daß die Wettermagusch ihm beibringen wolle, seine noch schlummernden Kräfte zu entwickeln. Wenn das zutraf – und sein Bruder log ihn niemals an –, dann war er, D’arvan, der einzige Magusch an der Akademie, dem keinerlei magische Kräfte zu eigen waren. Er erschauderte. Wie lange würde Miathan ihn noch dulden, wenn er nicht die den Magusch eigenen Fähigkeiten entwickelte? Wo sollte er hingehen, wenn der Erzmagusch ihn ausschloß?

»Geht es dir gut?« Aurian klang besorgt.

D’arvan hätte nichts lieber getan, als sich ihr anzuvertrauen und sie um Hilfe zu bitten. – Ja, bei den Göttern, er brauchte ihre Freundschaft, er brauchte sie sofort! Aber seine armselige Schüchternheit verdammte ihn zum Schweigen, und er wollte nicht, daß sie schlecht über seinen Bruder dachte. Er wußte nicht warum, aber sie hatte Davorshan nie gemocht. »Ich bin wohl müde«, gab er vor. »Ich denke, ich werde schlafen gehen.«

Aurian zog skeptisch eine Augenbraue hoch und zuckte dann leicht mit den Schultern. »Gute Idee – das werde ich ebenfalls. Aber überleg dir doch auf jeden Fall, was ich gesagt habe. Du kannst jederzeit auf das Angebot zurückkommen, und wenn du jemals jemanden brauchst, mit dem du sprechen kannst – nun, ich stehe zur Verfügung.«

Als sie gegangen war, blieb D’arvan allein zurück und wartete auf seinen Bruder. Schließlich, nachdem ihm die Zeit zu lang geworden war, ging er hinüber, um seinem Zwillingsbruder eine gute Nacht zu wünschen. Davorshan saß neben Eliseth, den Arm um ihre Schulter gelegt. Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt und unterhielten sich leise. Die Magusch war in ihrem langen Kleid von glänzendem Eisblau eine geradezu atemberaubende Erscheinung. Sie hatte ihr langes Haar sorgfältig geflochten und mit einem dünnen, durchbrochenen Silberkettchen umschlungen. Als D’arvan sich zögernd näherte, sah Davorshan abweisend zu ihm auf. Wie immer mit den Gedanken seines Zwillingsbruders in Verbindung, spürte D’arvan dessen Verdruß, ein Aufflackern von Schuld – und noch etwas. Etwas Falsches. Bevor er es identifizieren konnte, schlug Davorshans Schild nieder und schloß ihn aus. Zum ersten Mal in ihrem Leben. D’arvan taumelte, als wäre er geschlagen worden. Niemals zuvor hatte er sich so allein gefühlt – als ob ein Teil seiner selbst ihm roh entrissen worden wäre. Die Isolation – der Verlust – die Unsicherheit – Schmerz und Verwirrung überwältigten ihn so sehr, daß er nicht mehr sprechen konnte.

»Wie kannst du es wagen, mir nachzuspionieren!« rief Davorshan, dessen Gesicht krebsrot anlief. »Es macht mich krank, wenn du mich ständig mit diesem pathetischen Gesichtsausdruck verfolgst! Laß mich in Ruhe, hörst du? Laß mich allein!« D’arvan war wie erstarrt über die bittere Feindseligkeit in der Stimme seines Bruders. Er hatte Mühe, ein Schluchzen zu unterdrücken, und floh. Der Klang von Eliseths silbrigem Lachen verfolgte ihn.

Anvar schlich sich auf Zehenspitzen durch die riesige Küche und versuchte vorsichtig, einen Weg um die schnarchenden Schläfer herum zu finden. Geräuschlos öffnete er die Tür; der Wind blies ihm feinen Schnee ins Gesicht. Er zog sich einen leeren Mehlsack als Schutz über Kopf und Schultern und schlüpfte hinaus. Leise schloß er die Tür hinter sich. Die Nacht war bitter kalt. Der finstere Innenhof lag verwaist, und auch im Maguschturm brannte kein Licht mehr. Die beiden Wachen am oberen Tor saßen im Torhaus über einen Ofen gebeugt bei einer wärmenden Flasche; sie spielten Würfel und hüteten sich, nach draußen in den eisigen Wind zu gehen, der an Anvars schmutzstarrenden, zerlumpten Kleidern zerrte, während er im Dunkeln wartete. In Abständen von ungefähr einer Minute sah eine der Wachen vom Spiel auf und blickte zum Tor hinüber. Anvar fluchte. Er mußte entkommen – er mußte! Aber wie? Der eisige Wind ließ seinen Körper schnell auskühlen, und mit jeder Minute, die er hier wartete, wuchs die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden.