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Ihr neuer Diener ruhte bequem in sauberen Laken in einem Raum, den ein eher wortkarger Forral zur Verfügung gestellt hatte. Jetzt, da er gesäubert war, konnte sie sehen, wie Anvars Verletzungen schnell auf der bleichen glatten Haut verschwanden. Bald würde nichts mehr davon zu sehen sein, und die Magusch war dankbar für ihre Kräfte, die solche Wunder wirken konnten. Anvars Augen öffneten sich, und ihr lebhaftes, intensives Blau nahm Aurian fast den Atem.

»Wie fühlst du dich?« fragte sie.

»Es tut nicht weh«, sagte er erstaunt. »Es tut wirklich nicht weh! Bei den Göttern, ich hatte vergessen …«

Aurian unterdrückte einen in ihr aufwallenden Schwall von Gefühlen. Was hatte der arme Kerl durchgemacht! »Es wird auch nicht mehr weh tun«, versicherte sie ihm. »Dafür habe ich gesorgt.«

»Magusch heilen keine Sterblichen!« Seine Stimme erhob sich ungläubig. »Lady Meiriel wollte meinen Großvater nicht heilen, und er starb!«

Da sie Meiriel kannte, war Aurian unbehaglicherweise klar, daß er vielleicht die Wahrheit sagte. »Also, Lady Aurian heilt Sterbliche«, sagte sie schnell, »und du hast es auf jeden Fall nötig gehabt!«

»Lady – was wird mit mir geschehen?«

Aurian lächelte ihn beruhigend an und versuchte, ihm die Furcht zu nehmen, die sich wieder auf seinem Gesicht zeigte. »Erinnerst du dich nicht? Du wirst von jetzt an mein Diener sein, und ich werde dafür sorgen, daß du niemals wieder so zugerichtet wirst. Du bist jetzt in Sicherheit.«

»Oh.« Er klang alles andere als überzeugt.

Nun, was sollte man von einem Sklaven erwarten? Aurian überlegte. Dankbarkeit? Sie lächelte über ihre eigene Dummheit. Wenn ich er wäre, entschied sie, würde ich mir wahrscheinlich auch nicht glauben.

Diesmal schaffte er es, die Brühe zu trinken, die sie ihm gab, und bald danach schlief er ein. Aurian mußte ebenfalls etwas zu sich nehmen, um die Energie zu ersetzen, die sie für das Heilen verausgabt hatte, und da sie auch die schwierige Aufgabe übernommen hatte, ihren Patienten sauber zu machen, brauchte sie nun dringend selbst ein Bad. Aber sie wartete noch eine Weile, beobachtete ihn, während er schlief, und versuchte, das an ihr nagende Gefühl loszuwerden, daß sie ihn schon einmal gesehen hatte. Hatte der Erzmagusch ihn Anvar genannt? Er war groß und breitschultrig, aber entsetzlich dünn. Gut, dagegen ließ sich etwas tun. Er sah jünger aus, als es zunächst den Anschein gehabt hatte; wahrscheinlich war er nicht viel älter als sie selbst. Sein Gesicht wirkte sogar im Schlaf melancholisch; mit feinen Linien zwischen den Brauen und um die Winkel seines Mundes. Sein Kinn wirkte fest, die Nase war etwas groß, und sein feines, bronzefarbenes Haar fiel ihm in Locken bis in den Nacken. Und diese Augen! Aurian hatte bei einem Sterblichen noch nie solche Augen gesehen.

Forral trat ein und bemerkte, daß Aurian ihren Patienten mit einem merkwürdig zarten Gesichtsausdruck betrachtete. Ein heftiger Anfall von Eifersucht überkam ihn. Was hatte es mit diesem verdammten Kerl auf sich, daß sie ihn so leidenschaftlich gegen den Erzmagusch und gegen ihn selbst verteidigt hatte?

Aurian blickte rasch auf, und ihre Miene umwölkte sich plötzlich. »Ich habe dich nicht hereinkommen hören.«

»Das habe ich gemerkt.« Er konnte den barschen Ton seiner Stimme nicht unterdrücken.

Aurian zuckte zusammen. »Forral, es tut mir leid, daß ich dir gegenüber die Beherrschung verloren habe. Ich bin wirklich dankbar für deine Hilfe …«

»Du hast das Herz eines Kriegers, dich so vehement dafür einzusetzen, woran du glaubst – und es selbst mit dem Erzmagusch aufzunehmen! Ich werde dir immer helfen, das weißt du, aber … Aurian, bist du sicher, daß das hier eine gute Idee war?«

»Forral, nicht noch einmal! Verstehst du nicht, daß ich kein Kind mehr bin?« Was sie meinte, war nur allzu klar. Sie klang so traurig, so wehmütig, daß er das Verlangen unterdrücken mußte, ihr zu sagen, daß er sie liebte – daß er sie genauso begehrte wie sie ihn. Forral nahm sich zusammen. Es war unmöglich. Es gab Gründe für das Verbot von Verhältnissen zwischen Magusch und Sterblichen – Gründe, die sie nicht bedacht hatte. Er mußte sie beschützen. Er wappnete sich gegen die Sehnsucht, die aus ihren Blicken sprach, und zwang sich, freundlich zu sein.

»Es tut mir leid, Liebes«, sagte er. »Ich habe mich schon um dich gekümmert, als du noch so ein kleiner Fratz warst, weißt du. Wir alten Leute vergessen meist, wie schnell unsere Schützlinge erwachsen werden.«

Sie schaute weg, und Forral wußte, daß sie vor ihm zu verbergen suchte, wie sehr sie das verletzte. Es gab ihm einen Stich ins Herz. Schnell verließ er das Zimmer und schloß die Tür hinter sich. An die glatte Vertäfelung gelehnt, fluchte er leise mehrere Minuten vor sich hin. Wie lange sollte das noch so gehen? Er hätte niemals zurückkommen dürfen! Und nachdem er sah, wie sich die Dinge entwickelten, hätte er sofort wieder gehen müssen. Er müßte jetzt gehen, aber … er konnte nicht.

Er konnte sie nicht noch einmal verlassen. Mit einem Seufzer kehrte Forral Aurians Tür den Rücken und stapfte hinaus, um sich einen wirklich guten Schluck zu gönnen. Das war in diesen Tagen das einzige, was half.

10

Ein Schatten des Bösen

Nachdem Anvar als Lady Aurians Diener an die Akademie zurückgekehrt war, hatte sein Leben dort mit dem, was er zuvor durchgemacht hatte, nur noch wenig gemein. Er brauchte nicht länger die Quälereien der Küchenbediensteten zu ertragen, denn die persönlichen Dieser der Magusch lebten vom übrigen Gesinde getrennt und unter ganz anderen Bedingungen. Elewin, der Haushofmeister, ein großer, hagerer, silberhaariger alter Mann mit sanften Gesichtszügen, herrschte mit eiserner Hand über die Dienerschaft des Hauses, aber er war peinlich gerecht und duldete keinen Klatsch unter seinen Untergebenen. Solange Anvar hart arbeitete und keine Schwierigkeiten machte, stand Elewin dafür ein, daß man ihn in Frieden ließ.

Er bekam eine Koje im Schlafsaal der Dienerschaft, gleich neben dem Maguschturm, und regelmäßige, kräftige Mahlzeiten im direkt anschließenden Speisesaal. (Der Gedanke, daß Janok und sein gräßliches Küchenvolk jetzt für ihn kochten, gab Anvar eine gewisse Befriedigung.) Die Leibdiener erhielten täglich frische, saubere Arbeitskleider, und weil sie in direkten Kontakt mit den Magusch kamen, war bei ihnen gutes, anständiges Benehmen wichtig.

Anvar wurde zwischen Empfindungen der Dankbarkeit und des Grolls für die Magusch, die ihn gerettet hatte, hin- und hergerissen. Sie hatte ihn vor dem Zorn des Erzmagusch bewahrt, und ihr verdankte er es, daß sein Leben um vieles besser geworden war; aber indem sie von ihm verlangt hatte, Miathans Eid zu schwören, hatte sie ihn hier auch in einer Falle gefangen.

Andererseits gab es für ihn kein anderes Leben mehr, seit Sara ihn so grausam zurückgewiesen hatte. Aber durfte er Sara das übelnehmen? Daß er mit ihr ein Kind gezeugt hatte, war die Ursache dafür, daß sie diesem Rohling von Kaufmann als Ehefrau verkauft worden war. Selbst wenn sie es in Vannors Gegenwart gewagt hätte, ihm zu helfen, welchen Grund hätte sie dafür haben sollen? Nein, sie hatte eher allen Grund, ihn zu hassen. Anvar war gebrochen und verloren. Er hatte nichts mehr – nicht einmal mehr Hoffnung. Nichts als seine Arbeit. Also arbeitete er, so hart er konnte, und hatte nur den einen Wunsch, daß seine Herrin ihm noch mehr zu tun gäbe, damit ihm weniger Zeit für seine Gedanken blieb. Elewin war zufrieden mit ihm, und Anvar genoß nach Janoks Mißhandlungen das freundliche Lob des Hofmeisters.