Die anderen Magusch nahmen kaum Notiz von den Dienern. Bei den selten Gelegenheiten, zu denen er mit ihnen zu tun hatte, fand Anvar, daß Meiriel schroff und tüchtig war, Finbarr freundlich, aber zerstreut, und Eliseth kalt und schonungslos. D’arvan sprach kaum. Davorshan und Bragar waren die beiden, vor denen man sich hüten mußte. Davorshan war schlicht ein Flegel, aber Bragar neigte zur Grausamkeit. Regelmäßig mißhandelte er seine Diener, die ihn allesamt fürchteten. Selbst Elewin versuchte, dem Feuermagusch aus dem Weg zu gehen.
Anvar hatte erwartet, daß Lady Aurian ihn, nachdem sie mit der typischen Arroganz der Magusch über sein Schicksal entschieden hatte, als ihren Diener kaum noch zur Kenntnis nehmen, geschweige denn sich um ihn kümmern würde, aber damit lag er falsch. Sie hatte immer ein Lächeln und ein freundliches Wort für ihn übrig und bedankte sich ein ums andere Mal für die Dienste, die er ihr leistete. Ihre Rücksichtnahme trug ihr wenig Respekt bei der übrigen Dienerschaft ein, und das erstaunte ihn so, daß er eines Tages seinen ganzen Mut zusammennahm und Elewin danach fragte. »Das ist sehr einfach«, sagte der Hofmeister. »Ich fürchte, der Hausdienerschaft mangelt es etwas an Phantasie, und Lady Aurian unterscheidet sich von den anderen Magusch durch ihren regelmäßigen Umgang mit den Sterblichen. Sie verletzt damit das, was die Diener als die natürliche Ordnung an der Akademie ansehen, und das macht sie ängstlich.« Seine grauen Augen blinzelten. »Ich persönlich finde es erfrischend, aber lauf nicht herum und erzähle das weiter, mein junger Freund. Und verwechsel niemals ihre Freundlichkeit mit Weichheit. Wenn du dir Freiheiten herausnimmst, dann wirst du schnell merken, daß auch sie das den Magusch eigene Temperament besitzt.«
Anvar nahm sich den Rat zu Herzen. Er ließ immer noch Vorsicht walten bei seiner Lady, die eine von dem verhaßten Maguschvolk war und der man nicht trauen konnte. Er lebte in ständiger Furcht, was geschehen würde, wenn sich erst das Gerede, er habe seine Mutter ermordet, von der Küche aus bis zur Hausdienerschaft verbreitet hätte und schließlich, wie es bei Klatsch nicht anders zu erwarten war, auch seine Herrin erreichte. Es wunderte ihn, daß der Erzmagusch es ihr nicht selbst erzählt hatte, vor allem während der Auseinandersetzung in der Garnison. Eines Morgens dann, nachdem er etwa einen Monat lang zum Hauspersonal gehörte, bemerkte er, daß die anderen Diener die Köpfe zusammensteckten und ihn mieden; da wußte er, daß sein Geheimnis sich herumgesprochen hatte. Selbst der freundliche Elewin hatte nur noch finstere Blicke für ihn übrig. Anvar war froh, daß er mit dem Frühstück für seine Lady – den warmen, weichen, frisch gebackenen Brötchen, die das einzige waren, was sie zu so früher Stunde aß, und einer großen Tasse Taillin – eilig in ihrem Zimmer Zuflucht suchen konnte.
Die Magusch stand zu ihrem Schwerttraining in der Garnison früh auf, und ihr Zimmer war in dieser eiskalten Jahreszeit noch dunkel und frostig. Anvar deckte den Tisch, zündete die Lampen an und war gerade dabei, den Kamin sauberzumachen, als Aurian, die frühmorgens niemals ihre beste Laune hatte, mürrisch und verschlafen hereinkam. Anvar machte sich am Ofen zu schaffen, versuchte unverfänglich zu wirken und betete, daß die Gerüchte noch nicht zu ihr vorgedrungen waren. Er hörte ihre Schritte hinter sich auf dem Boden, das Kratzen ihres Stuhles auf dem Teppich und das gurgelnde Geräusch des Taillin, das sie sich in die Tasse goß. Dann räusperte sie sich. »Anvar – ich will mit dir reden.«
Die wieder in ihm aufsteigende Furcht vor den Magusch ließ Anvar das Herz bis zum Hals schlagen. Mit einem ohrenbetäubenden Klirren fiel ihm der Eimer zu Boden, mit dem er gerade hantiert hatte und dem nun zu seinem Entsetzen eine Wolke von Asche entstieg, die sich im ganzen Zimmer zu verteilen drohte. Die Magusch sprang mit einer wilden Verwünschung von ihrem verdorbenen Frühstück auf; ihr Haar und ihr Gesicht waren grau gepudert. Anvar warf sich ihr zitternd zu Füßen. »Herrin, bitte«, bat er, »es war ein Versehen.«
»Natürlich war es das.« Aurian kniete sich neben ihn. »Kriech nicht so herum, Anvar – es tut mir leid, daß ich dich erschreckt habe. Ich war noch im Halbschlaf, und der Krach hat mir einen Mordsschrecken eingejagt.«
Sie entschuldigte sich – bei ihm! Anvar sah erstaunt zu der Magusch auf, und ihre Lippen begannen sich zu kräuseln. »Götter«, kicherte sie, »du siehst aus wie eine Kreuzung zwischen einem Geist und einer Vogelscheuche!« Sie fuhr sich mit der Hand durch ihr üppiges rotes Haar und war augenblicklich von einer dicken grauen Wolke eingeschlossen.
»Herrin, es tut mir wirklich furchtbar leid«, sagte Anvar unglücklich, während sie hustete und würgte.
»Nichts von Belang. Das haben wir gleich.« Sie schnipste mit den Finger, und augenblicklich war jedes Stäubchen Asche wieder zurück im Eimer. Sie warf ein paar Holzscheite in den Kamin und entzündete sie mit einer beiläufigen Geste. »Wir Magusch sind so daran gewöhnt, immer jemanden um uns zu haben, der alles für uns tut, daß wir vergessen, was wir alles selbst können.« Dann wurde sie ernst. »Komm und setz dich zu mir, Anvar. Ich muß dich etwas fragen.«
Die Lady führte ihn zum Tisch und goß ihm in ihre eigene Tasse Taillin ein. Seine Hände zitterten, als er die Tasse nahm. Aurian setzte sich ihm gegenüber und blickte ihn mit ihren grünen Augen unverwandt an. »Elewin erzählt mir, du hättest deine Mutter ermordet«, sagte sie geradeheraus. »Ist das wahr?«
Anvar biß sich auf die Lippen und wußte nicht, was er antworten sollte. Er hatte Angst, Miathans Band zu aktivieren, wenn er die Wahrheit sagte. Außerdem würde sie ihm niemals glauben.
»Nun?« Die Magusch brach das Schweigen, das nun schon eine Weile andauerte. »Warum willst du nicht antworten? Hast du Angst?« Sie griff über den Tisch und nahm seine Hand. »Schau mal«, sagte sie sanft, »ich kann das nicht glauben, und Elewin ebensowenig. Als er von Janok – der es offenbar von Miathan hat – hörte, daß du ein Mörder bist, war er so besorgt, daß er sofort damit zu mir kam. Ich kann mir nicht vorstellen, daß das die Wahrheit ist, Anvar. Wenn du des Mordes angeklagt worden wärest, dann hätte dein Fall Forral vorgelegt werden müssen, aber das ist nie geschehen. Ich will jetzt deine Version der Angelegenheit hören. Wenn du unrechtmäßig versklavt worden bist, dann werde ich mein Bestes tun, um dir zu deinem Recht zu verhelfen.«
Anvar starrte sie an, unfähig zu glauben, daß sie auf seiner Seite stand. »Das hat keinen Zweck«, sagte er schließlich. »Mein Vater hatte das Recht, mich als Sklaven zu verkaufen. Ich war noch zu jung – einen Monat zu jung –, um vor dem Gesetz als Mann zu gelten.«
»Und der Rest?« fragte Aurian sanft.
Anvar versuchte, seine Tränen zurückzuhalten. »Wie hätte ich sie umbringen können?« weinte er. »Ich habe sie geliebt!«
Mit unendlicher Geduld entlockt Aurian ihm die Geschichte vom Tod seiner Mutter, obwohl er ihr nicht sagen konnte, wie er das Feuer gelöscht hatte. »Es war ein Unfall«, schloß er, »aber er hat sich meinetwegen ereignet. Mein Vater gab mir die Schuld und hat mein Leben besiegelt, um es mir heimzuzahlen.«
Aurian erschauderte. »Dein Vater ist ein Bastard«, sagte sie.
»Nein.« Anvar schüttelte den Kopf, sein Gesicht brannte vor Scham. »Ich bin der Bastard. Darum hat es es ja getan.« Weiter durfte er sich nicht vorwagen, konnte ihr unmöglich die ganze Wahrheit erzählen.
»Anvar!« Aurians Griff um seine Hand wurde fester und ihr Gesichtsausdruck bekam etwas Wildes. »Hör zu! Selbst wenn ich wegen der Sklaverei nichts tun kann, will ich nicht, daß man dich fälschlicherweise des Mordes bezichtigt. Ich werde noch heute morgen mit Forral sprechen. Zumindest können wir deinen Namen reinwaschen.«
Von jenem Tag an begann sich Anvars Verhältnis zu der Magusch zu ändern. Aurian ließ Forral Nachforschungen anstellen, und nachdem die Ladenbesitzer aus den Arkaden befragt worden waren, entschied der Kommandant, daß Rias Tod ein Unfall gewesen war. Aurian machte das in der Akademie bekannt, und so blieb Anvar wenigstens von den scheelen Blicken und dem anklagenden Geflüster der anderen verschont. Erst als es vorüber war, erkannte er, wie sehr diese Schuldzuschreibung, dieses Verurteilung auf ihm gelastet hatte, und – Magusch hin, Magusch her – Anvar war seiner Lady wirklich dankbar.