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Aurian wandte sich ihm mit einem breiten Grinsen zu. »Welches ist deiner Meinung nach der wärmste Platz hier in der Nähe?«

Ein träges Lächeln breitete sich auf Forrals Gesicht aus, als er ihren Plan durchschaute. »Du schreckliches Kind!« Er brüllte vor Lachen und riß sie in seine Arme.

Sie hatten ihr Frühstück bereits halb beendet, als Eilin die Schlangen in ihren Pflanzenräumen entdeckte. Ein lauter Zornesschrei hallte über den See. Aurian wandte sich an Forral. »Sieht so aus, als würde ich wieder Ärger kriegen«, grinste sie. »Aber das ist die Sache wert. Zumindest muß Mutter die armen Geschöpfe jetzt wieder dorthin zurückschicken, wo sie sie her hat.«

Aber die Zeit arbeitete Eilin in die Hände. Als Aurian einige Tage später in ihrem kleinen Zimmer neben der Küche erwachte, zitterte sie am ganzen Körper. Sie konnte nicht aus dem Fenster sehen, denn dicke Eisblumen bedeckten die Glasscheibe. »Forral!« stieß sie hervor. Sie riß die Decken von ihrem Bett und stürzte aus dem Zimmer, ohne sich auch nur die Zeit zu nehmen, in ihr einziges Paar Schuhe zu schlüpfen. Draußen war die Welt von funkelndem. Sie stürzte sich in seine Arme und schluchzte. »Dann nimm mich mit!«

Forral seufzte: »Das kann ich nicht, Kleines. Du gehörst zu deiner Mutter, und es gibt Gesetze gegen das Stehlen von Kindern. Du willst doch nicht, daß ich im Gefängnis lande, oder?«

»Dann laufe ich eben weg! Ohne dich werde ich nicht hierbleiben!«

Der Schwertkämpfer drückte sie fest an sich. »Das darfst du nicht«, sagte er hastig. »Dir könnte alles mögliche zustoßen. Wir werden noch ein paar Tage abwarten, hm? Vielleicht ändern sich die Dinge ja.«

Während der nächsten Tage waren die Fröste zu Aurians Erleichterung weniger streng. Sie ließ all ihre Decken bei Forral, dem sie weismachte, sie hätte zu Hause genug davon. Das war zwar eindeutig eine Lüge, aber sie erleichterte ihr Gewissen, indem sie sich sagte, daß sie nur zu seinem Besten log. Jede Nacht in ihrem Bett zu zittern war ein geringes Opfer, wenn Forral nur blieb. Sie konnte nichts tun, außer ihrer Mutter immer wieder zuzusetzen, aber das trug ihr lediglich Eilins Zorn ein. Als der Winter immer kälter wurde, begann Aurian zu verzweifeln.

Eines Nachts kam dann der Schnee. Als Aurian abends aus dem Fenster sah, tobte bereits ein Schneesturm über der Landschaft. Sie bekam keinen Bissen von ihrem Eintopf mehr herunter, denn sie wußte, daß Forral da draußen war, fror und kein heißes Essen hatte, um sich aufzuwärmen. Noch einmal, beinahe hysterisch vor Angst um Forral, flehte sie Eilin an, doch endlich nachzugeben. Schließlich war ihre Mutter so erzürnt, daß sie sie in ihrem Zimmer einschloß. Aurian hämmerte an die Tür, bis ihre Fäuste bluteten, und schrie, bis sie heiser war. Als sie so erschöpft war, daß sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, warf sie sich aufs Bett und weinte sich in den Schlaf.

Es war noch immer Nacht, als sie erwachte. Ihre Kehle brannte, und ihre Augen waren geschwollen, aber das Blut an ihren Händen war getrocknet. Wie lange hatte sie geschlafen? Aurian stützte sich auf das Fenstersims und spähte hinaus. Der Sturm war noch schlimmer geworden, und sie konnte nichts als umherwirbelnden Schnee sehen. Sie unterdrückte ein Schluchzen. Forral würde dort draußen sterben, und sie würde allein sein mit ihrer grausamen Mutter, die ihn getötet hatte. Das war mehr, als sie ertragen konnte. Sie wünschte, sie wäre auch tot. Zumindest wäre sie dann mit Forral zusammen. Der Gedanke erschreckte sie zuerst, aber je mehr sie darüber nachdachte, um so sinnvoller erschien er ihr schließlich. Ihre Mutter würde sie nicht vermissen. Schließlich traf Aurian eine Entscheidung. Sie würde hinausgehen und Forral suchen, und dann könnten sie gemeinsam sterben.

Der Fensterriegel war zugefroren. Aurian bearbeitete ihn mit ihrem Schuh, wobei sie Forrals Lieblingsflüche vor sich hinmurmelte, aber das Fenster wollte nicht nachgeben. Dann kam ihr der Gedanke, daß sie das Zimmer nicht mehr benötigte, wenn sie starb. Also nahm sie einen Hocker und schleuderte ihn mit einem höchst befriedigenden Krachen durch das Fenster. Wind und Schnee brausten heulend ins Zimmer hinein, und ein umherfliegendes Stück Glas verletzte sie an der Stirn. Aurian wischte sich das Blut aus den Augen und betete, daß der Sturm den Lärm übertönt und ihre Mutter ihre Flucht noch nicht bemerkt hatte. Dann legte sie ein Kissen über die gezackten Scherben des Glases im unteren Teil des Fensterrahmens und kletterte hinaus.

Der Schnee hatte sich unter dem Fenster hoch aufgetürmt, und Aurian versank beinahe bis zum Kopf darin. Sie keuchte; die Kälte drang ihr bis in die Knochen. Als sie sich endlich aus der Schneewehe herausgequält hatte, schlug ihr ein eisiger Wind entgegen, der ihr das dichte Gestöber von Schnee ins Gesicht peitschte. Aber hier lag der Schnee nicht mehr so hoch, und sie konnte sich mühsam auf Füßen, die bereits taub waren, vorwärtskämpfen. Sie ging auf die Brücke zu, wobei sie ein um das andere Mal ausrutschte, stürzte und sich mühsam wieder aufrappeln mußte; ihre Fußabdrücke verschwanden sofort hinter ihr im Schneesturm.

Aurian blieb unsicher stehen. Wo war das Wäldchen? Sie hätte es doch schon vor einer ganzen Ewigkeit erreichen müssen! Sie war sicher, daß sie in die richtige Richtung gegangen war – bloß erkennen konnte sie in dem Schneegestöber nicht das geringste. Ich bin müde von dem Weg über die Brücke, dachte sie. Das ist der Grund, warum es so lange dauert. Die Erinnerung an die Brücke ließ sie schaudern. Sie hatte sich Zoll für Zoll über den schmalen, schlüpfrigen Brückenbogen getastet und sich vor Angst, der Wind könnte sie in den See reißen, mit tauben Fingern an dem gefrorenen Geländer festgehalten. Jetzt konnte sie ihren vor Kälte steifen Körper kaum noch bewegen, und sie spürte weder ihre Hände noch ihre Füße. Plötzlich hatte Aurian schreckliche Angst. Sie war sich doch nicht mehr so sicher, daß sie sterben wollte, aber andererseits sehnte sie sich so sehr nach Forral. Eine Träne gefror auf ihrem Gesicht. »Sei nicht so dumm«, schalt sie sich selbst. »Je eher du dich in Bewegung setzt, um so schneller wirst du ihn finden.« Dann riß sie sich zusammen und setzte ihren Weg in die Dunkelheit fort.

Es war so kalt, daß Forral aufgehört hatte zu zittern. Ein schlechtes Zeichen. Der Sturm hatte sein Zelt zu Boden gerissen, aber es war ihm gerade noch rechtzeitig gelungen, die Plane festzuhalten. Zusammengekauert im Schutz eines Baumes, die Leinwand fest um sich gewickelt, spielte er mit dem Gedanken, in den Turm einzubrechen; aber er wußte, daß das sinnlos war. Eilin würde ihn nur wieder hinauswerfen. Wenn sie ihn bis jetzt noch nicht hineingelassen hatte, mußte er der Tatsache ins Auge sehen, daß es hoffnungslos war. »Forral, du bist ein Narr«, murmelte er. »Was für eine sinnlose Art zu sterben!« Er spürte, wie der Schlaf von ihm Besitz ergriff, und wußte, daß das sein Ende wäre. Er wünschte nur, er hätte sich von dem Kind verabschieden können. Der Gedanke an Aurian nagte an ihm und bewahrte ihn sogar davor, dem Schlaf zum Opfer zu fallen, der so heftig sein Recht forderte. »Muß Aurian ›Wiedersehn‹ sagen«, murmelte er. Dann schlang er einen Arm um einen niedrigen Ast, um sich mit steifen Gliedern daran hochzuziehen. Aber was war das? Ein schwaches, geisterhaftes Glühen flackerte durch den Schneesturm. Jemand kam auf ihn zu, jemand, der eine Laterne trug.

Als die Gestalt näher kam, erkannte der Schwertkämpfer die schlanke Silhouette von Eilin. Ihr durchnäßtes Haar peitschte ihr in schlangenartigen Strähnen durchs Gesicht, der Sturmwind hatte ihr den Umhang von den Schultern gerissen, und ihre braune Robe flatterte um ihren knochigen Körper. Eine dichte Schneeschicht hatte sie in gleißendes Weiß gehüllt. Der Schimmer, den er irrtümlich für eine Laterne gehalten hatte, war das bläulichweiße Glühen einer bleichen, kalten Kugel von Maguschlicht, die über der Spitze ihres Stabs schwebte.

»Forral, sie ist weg. Aurian ist weg!« Eilin zerrte, außer sich vor Angst, an seinem Arm. Der Schwertkämpfer starrte sie an. Irgendwie konnte sein Gehirn sich nicht auf ihre Worte konzentrieren. Eilin fluchte und suchte etwas unter ihrem Umhang. Dann hielt sie plötzlich eine kleine Flasche in der Hand, die sie entkorkte und zwischen seine Lippen zwang. Der Alkohol brannte sich eine solche Feuerspur durch Forrals Kehle, daß ihm einen Moment lang die Luft wegblieb. Er hatte keine Ahnung, was das für ein Zeug war, aber es wirkte. Binnen wenigen Sekunden spürte er, wie seine Glieder schmerzhaft zu prickeln begannen. Auch sein Verstand wurde schnell wieder klar.