»Aber – aber das kannst du nicht!« stotterte Miathan.
Forral grinste. »Oh, das kann ich sehr wohl. Vannor hat die Ernennung unterstützt, und wir haben sie in die offiziellen Aufzeichnungen aufgenommen.«
Der Erzmagusch war entgeistert. Er machte einen Schritt auf Forral zu, um ihn ein für allemal in ein Nichts zu verwandeln. Aber Aurian stellte sich schnell vor den Schwertkämpfer und hob ihre Hand in einer weit ausholenden Geste. Miathan sah die Luft in schimmernden Schlieren zerfließen, als ihr magischer Schild sich schloß. Ihr Gesicht zeigte den Ausdruck reinen Hasses, wie er ihn nie zuvor gesehen hatte. »Versuch es nur, Miathan«, grollte sie. »Ich bin nicht umsonst deine Schülerin. Laß uns sehen, wieviel du mir beigebracht hast!«
Sie meinte, was sie sagte. Miathan war drauf und dran, sie völlig zu verlieren, und mit ihr wären auch seine sorgsam gehegten Pläne verloren. Seine alte Gerissenheit gewann die Oberhand. Er verstand sich wie kein anderer auf Verstellung, und er war skrupellos. Er erkannte jetzt, daß es ein böser Irrtum gewesen war, sich von seiner Lust übermannen zu lassen, als Aurian aus dem Tal zurückkam. Irgendwie hatte er sich während ihrer Abwesenheit selbst eingeredet, daß er auch ihr Herz gewinnen würde, wenn er erst ihren Körper besäße. Einfältiger Tölpel! Dies war kein einfaches, sterbliches Mädchen, das sich durch seine Stellung und seine magischen Kräfte einschüchtern ließ. Und jetzt hatte er sie dank seiner unbeherrschten Eile direkt in die Arme – und in das Bett – des Schwertkämpfers getrieben. In der Tat eine angemessene Strafe für seine eigene Dummheit.
Miathan wußte, daß er Aurians Vertrauen zurückgewinnen mußte – und um das zu erreichen, mußte er seinen Stolz opfern. Zitternd vor Anstrengung, bezwang er seinen Ärger und schaffte es, seine Züge so etwas wie Bedauern zeigen zu lassen. »Aurian, bitte vergib mir. Es tut mir wirklich leid – für alles. Ich habe mich dir gegenüber sehr schlecht benommen, und das möchte ich wiedergutmachen. Forral, ich bitte um Vergebung. Ich hätte es schon lange wissen müssen, da ich wußte, wie Aurian für dich fühlt.« Er seufzte. »Ich kann nicht sagen, daß ich es gutheiße – aber ich liebe Aurian, und ich schätze eure Unterstützung. Wenn ihr es wollt, dann muß ich es akzeptieren. Seid also glücklich zusammen, solange ihr könnt.«
Aurian zögerte; das Mißtrauen stand ihr klar ins Gesicht geschrieben.
»Meine Liebe, ich bitte dich.« Miathan rang sich einige Tränen ab. »Bestrafe mich nicht für meine Unbesonnenheit. Ich verlöre lieber alles auf der Welt als deine Wertschätzung. Ich schwöre bei meiner Magie, daß ich eure Entscheidung akzeptiere und respektiere.«
»Ich danke dir, Erzmagusch.« Obwohl sie ihre Erwiderung ruhig vorgetragen hatte, konnte der Erzmagusch erkennen, daß sich Aurian etwas entspannte, und hörte Erleichterung in ihrer Stimme mitschwingen, als sie schließlich ihren Schild senkte. Aber während sie früher auf ihn zugelaufen wäre und ihn umarmt hätte, blieb sie jetzt stehen, wo sie war, mit einer Hand auf Forrals Arm. Miathan biß die Zähne zusammen, um das Besitzverlangen zu unterdrücken, das in ihm aufwallte. Bei den Göttern, wenn er sie sich schließlich nehmen würde, würde sie diese Demütigung tausendfach bezahlen müssen …
Als Aurian und Forral weit genug weg waren, ließ der Erzmagusch seinem Zorn in einem Ausbruch magischer Kräfte freien Lauf, der den Turm in seinen Grundfesten erschütterte. Er stapfte über den rauchenden Teppich, stieß mit dem Fuß die zersplitterte Einrichtung beiseite und drückte gegen einen Abschnitt der geschwärzten Wand. Mit einem Klick öffnete sich ein Teil der Vertäfelung, hinter der sich ein Hohlraum befand. Miathan griff hinein und nahm einen goldenen Kelch heraus. Er setzte sich auf den einzigen unbeschädigten Stuhl ans Fenster, blickte stier hinaus und streichelte das massive, fein ziselierte Metall. Das Gefäß war breit und flach, mit einem schlanken goldenen Stiel und einem breiten schweren Fuß. Es summte vor magischer Kraft – einer Kraft so alt und so stark, daß sie sogar die Luft zum Leben erweckte. Miathan lächelte. Noch war nicht alles verloren – er hatte diesen wertvollen Pokal in der von Finbarr entdeckten Höhle gefunden, und er hatte ihn heimlich an sich gebracht, bevor die anderen ihn sahen. Er wußte, was es war, und das änderte alles.
In den dunklen Jahren, die auf die Verheerung gefolgt waren, war der größte Teil der Geschichte und Überlieferung des alten Maguschvolkes verlorengegangen. Allein unklare abenteuerliche Legenden waren aus der schillernden älteren Zeit übriggeblieben, und sie waren im Laufe der Zeit so entstellt worden, daß es unmöglich war, den wahren Kern darin von den Anekdoten der Barden und von Altweibergeschichten zu scheiden. Von einer Legende wußte Miathan inzwischen allerdings, daß sie auf Wahrheit beruhte. Sie handelte von den vier großen magischen Waffen der Elemente: der Harfe der Winde, dem Stab der Erde, dem Schwert des Feuers – und dem Kessel der Wiedergeburt. Obwohl er jetzt in der Form dieses goldenen Kelches vor ihm stand, war sich Miathan sicher, daß er einen Teil davon, vielleicht umgeformt, um ihn unkenntlich zu machen, in der Hand hielt. Er war sich ebenfalls sicher, daß der Kelch die magischen Kräfte des Kessels bewahrt hatte und daß er, wenn er nur genug Zeit hatte, lernen konnte, sie einzusetzen.
Miathans Augen brannten. Sollten sie warten, die, die es wagten, sich ihm zu widersetzen! Aurian, Forral, Vannor – und Anvar, dieses verfluchte Scheusal, das ihm in die Quere gekommen war, als er seinem Ziel schon so nahe war. Sollten sie doch ihren lächerlichen Sieg eine Weile genießen. Sollte doch Finbarr wie ein Maulwurf in seinen Archiven wühlen und, ohne es zu wissen, seinen Erzmagusch mit genau den Informationen versorgen, die er benötigte, um die Welt seinem Willen Untertan zu machen. Sollte sich Aurian doch wie ein Tier mit diesem dreimal verdammten brünftigen Schwertkämpfer begatten, in fröhlicher Unkenntnis des Schicksals, das sie erwartete …
Furcht durchschnitt Miathans Herz wie ein Schwert von Eis. Wie sich die Geschichte wiederholte! Er dachte an Ria – so süß, so willfährig – und erinnerte sich an seinen Abscheu, als sie ihm erzählt hatte, daß er der Vater eines halbblütigen Monsters war. Was war, wenn das noch einmal geschah – diesmal Aurian? Der Gedanke, sie könnte Forrals Brut in sich tragen, machte ihn ganz krank. Aber halt – was wäre, wenn das Kind, wenn es denn überhaupt eins gab, wirklich ein Monster würde? Das würde seinen Zwecken dienen, denn solch eine Kreatur konnte kaum magische Kräfte besitzen und wäre überdies eine Strafe für Aurians und Forrals Abtrünnigkeit.
Miathan zog seine magischen Kräfte um sich zusammen, und dabei spürte er, wie der Kelch in seinen Händen zu vibrieren begann. Er wählte seine Worte sorgfältig und beschwor einen tödlichen Bannfluch auf jedes Kind, das die beiden gezeugt hatten oder zeugen sollten: daß es die Form nicht des Menschen, der es gezeugt hatte, sondern des ersten Tieres annehme, das Aurian nach der Geburt unter die Augen kam. Während er die Verwünschungen aussprach, flackerte der Gral kurz in kaltem Licht auf, und in der Ferne, jenseits der Stadt, war ein Geräusch wie ein Donnerschlag zu vernehmen. Das Herz des Erzmagusch schwoll in Triumph. Das Ding war also brauchbar! Es würde viel Mühe kosten, zu lernen, es wirkungsvoll einzusetzen, aber schließlich würde ihm diese Waffe die Herrschaft über die Welt einbringen – und über Aurian. Und danach würde sie ihm viele lange Zeitalter über dafür bezahlen müssen, was sie getan hatte.