»Kind, du machst dir zuviel Gedanken.« Dulsina drückte sie an sich. »Vannor würde nicht dir die Schuld geben, sondern auf mich böse sein. Und Sara wird viel zu beschäftigt sein, um sich einzumischen.« Sie grinste. »Wenn du fort bist, wird Vannor schnell merken, wer hier wirklich den Haushalt in Schwung gehalten hat – und ich werde nicht dort einspringen, wo du fehlst! Soll Sara sich doch selbst mit all den mühseligen Kleinigkeiten herumplagen, die du und ich ihr abgenommen haben. Wenn sie die große Dame spielen will, dann wird es Zeit für sie, zu lernen, daß das mehr bedeutet, als herumzusitzen und ihre Juwelen zu zählen!«
»Aber was ist, wenn Papa mir nachkommt?« bohrte Zanna weiter.
»Unmöglich«, sagte Dulsina schroff. »Das Versteck der Schmuggler ist ein strenggehütetes Geheimnis – so streng, daß Leynard es noch nicht einmal seinem Partner verraten hat. Vannor wird nicht wissen, wo du bist, und ich werde es ihm nicht sagen – außer, es tritt ein wirklicher Notfall ein. Vertrau mir nur, meine Liebe, und alles wird gut werden.«
Zanna zögerte. Dann überlegte sie, wie ihre Zukunft wohl aussehen würde, wenn sie an einen dümmlichen Kaufmannssohn verheiratet würde, der sie nicht liebte. Sie gab sich keinen Illusionen über ihr Äußeres hin – sie war klein und stämmig wie ihr Vater, mit einem einfachen, nüchtern wirkenden Gesicht: Von den weidenschlanken, zarten Geschöpfen, mit denen die wohlhabenden Kaufleute gern ihre kostbaren Häuser schmückten, war sie Welten entfernt. Sie war klug und von rascher Auffassungsgabe, und ihre größte Enttäuschung war, daß ihr Vater sie nicht bei seinen Handelsgeschäften mit ihm zusammenarbeiten ließ. »Hat man denn jemals von einer Frau als Kaufmann gehört?« pflegte er sie sanft zu rügen. »Das gibt es einfach nicht.«
Es gibt ja auch weibliche Magusch, dachte Zanna vorwurfsvoll – und Frauen als Krieger. Warum keine Kauffrau, das wüßte ich gern. Zwangsläufig mußte sie wieder an den Nachmittag und ihr Treffen mit Aurian und Maya denken. Na gut, sagte sie sich. Du wolltest so sein wie sie – vielleicht ist das deine Chance! Sie hob ihren Kopf und drehte sich zu Dulsina um. »Du hast recht«, sagte sie. »Ich bin bereit. Es kann losgehen!«
In Eile und durch die Hintertür verließ Yanis die Villa des Kaufmanns; seine Ohren klangen noch von Vannors Beschimpfungen. Große Götter, wenn der alte Partner seines Vaters in Zorn geriet, dann konnte das schon einen gestandenen Mann in Angst und Schrecken versetzen! »Es war nicht meine Schuld«, murmelte er hilflos. Nach dem unangenehmen Abend, den er gerade mit Vannor verbracht hatte, klang die Entschuldigung tatsächlich etwas dünn, das mußte er selbst zugeben.
»Wo habe ich wohl einen Fehler gemacht?« seufzte er, während er auf seinem Weg zurück zum Fluß durch den terrassenförmig angelegten Garten des Kaufmanns schlich. Seine Bootsstiefel knirschten sanft auf der schneebedeckten Erde. Es hatte alles so einfach ausgesehen, als er seinen Vater noch bei seinen Fahrten in den Süden begleitet hatte. Leynard hatte ihm beigebracht, wie man den Weg zu der entlegenen versteckten Bucht fand, die ihr geheimer Treffpunkt mit den Südländern war. Yanis kannte die Blinkfolge mit der Laterne, die das geheime Signal war, um ihm die sichere Durchfahrt durch die südlichen Gewässer zu gewähren. Unglücklicherweise war die einzige lebenswichtige Information, die sein Vater ihm nicht gegeben hatte, die, wie man es vermied, von diesen schleimigen südlichen Bastarden betrogen zu …
»Pst, Yanis!«
Der Schmuggler wirbelte jäh herum, die Hand bereits am Schwert. Er staunte nicht schlecht, als er seine Tante Dulsina erkannte, die ihn von dem Gebüsch am Grund des Gartens in der Nähe des zierlichen, kleinen Bootshauses, wo Vannor seine Yacht liegen hatte, zu sich heranwinkte. In dem matten, vom Schnee reflektierten Licht sah es so aus, als trüge sie ein dick in Schals eingewickeltes, fast rundes Bündel. Mit der freien Hand griff sie nach Yanis’ Arm und zog ihn in den Schutz des Buschwerkes.
»Hör zu«, erklärte sie ihm ohne große Vorrede. »Vannor möchte, daß du seine Kinder mit zu Remana nimmst. Dort sollen sie eine Weile bleiben.«
Yanis sah sie erstaunt an. »Tatsächlich? Er hat es mit keinem Wort erwähnt. Und warum versteckt ihr euch alle in den Büschen, Tante Dulsina?«
Seine Tante seufzte. »Weil du eigentlich nicht hier sein solltest, daß weißt du doch. Vannor meinte, daß es zuviel Aufmerksamkeit erregen würde, wenn du das Haus mit den Kindern zusammen verließest; deshalb habe ich sie dir hier heruntergebracht. Also los jetzt – paß gut auf die beiden auf, und vergiß nicht, deine Mutter lieb von mir zu grüßen. Und, Yanis, gib gut acht. Laßt euch nicht erwischen.«
Bevor Yanis noch ein Wort hervorbringen konnte, hatte sie ihm Vannors Sohn in die Arme gelegt und hastete davon, nachdem sie sich mit einer raschen Umarmung von der eingehüllten und vermummten Gestalt, die die Tochter des Kaufmanns sein mußte, verabschiedet hatte.
Der sprachlose Yanis vertraute seine quengelige Last dem Mädchen an und bückte sich, um die Leine zu lösen, mit der sein kleines Boot unter dem schützenden Grün von Trauerweiden am Ufer festgemacht war. Irgendwie gelang es ihm, sie mit ihren verschiedenen Bündeln von der eisesglatten Uferbefestigung in das Boot zu bekommen. Das Mädchen schniefte in ein winziges, spitzenbesetztes Taschentuch; den Schmuggler drohte schon der Mut zu verlassen. »Bist du in Ordnung?« fragte er nervös.
»Ja.« Die Stimme war nicht viel mehr als ein Flüstern. Dann setzte sie sich zu seiner Erleichterung gerade auf, nahm das Kind auf den Schoß und steckte das Taschentuch weg. »Ja«, wiederholte sie fest. »Mir geht es gut. Ich gehe nicht gern von Papa weg, aber ich wollte immer Abenteuer. Ich bin es leid, zu Hause zu sitzen und zu nähen und mich mit all dem anderen langweiligen Weiberkram abzugeben.«
Yanis grinste. Sie schien ja doch ganz in Ordnung zu sein. »Du sprichst wie meine Mama«, erklärte er ihr. »Sie suchte auch das Abenteuer, und das Ende vom Lied war, daß sie einen Schmuggler geheiratet hat.«
Aus dem Schatten der Kapuze des Mädchens drang ein Kichern. »Dann bin ich ja wenigstens schon mal in die richtige Richtung unterwegs!«
Sie war ein drolliges kleines Ding, da gab es nichts. Vor Lachen schnaubend, nahm Yanis die Ruder und manövrierte das Boot durch die frostklare Nacht sanft flußabwärts hin zu seinem schnellen, kleinen Segler, der in einer stillen Bucht hinter der Landspitze des Hafens von Norberth vor Anker lag.
Yanis war froh, daß es zur Zeit der Wintersonnenwende morgens so lange dunkel blieb. Er befahl, die geisterhaft grauen Segel zu hissen, steuert sein schnittiges kleines Schiff aus dem gewundenen Fjord heraus, der es vor neugierigen Blicken geschützt hatte, und nahm dann mit großer Erleichterung Kurs aufs offene Meer. Seine Passagiere schliefen unter Deck – in Sicherheit, übermüdet von ihrer nächtlichen Fahrt. Die beiden Kinder wären auch nur im Weg gewesen, während er in der Dunkelheit hart unter Land die trügerische Küste entlangsegelte und die sicheren Seefahrtswege vermied, auf denen sich die Fischerboote aus den Dörfern und die schwerfälligen Schiffe der offiziellen Seekaufleute ein Stelldichein gaben.
Außerdem war es wohl das beste, wenn seine Mannschaft, die nach der katastrophalen Fahrt in den Süden einer Meuterei nahe war, die beiden Kinder nicht zu Gesicht bekam. Die Leute hatten Yanis klargemacht, daß sie über die Verantwortung für diese unerwünschten Passagiere nicht besonders froh waren. Vannor mochte zwar die Nachtfahrer durch seine Handelsbeziehungen reich gemacht haben, aber dennoch fürchteten sie ihn. Er stand im Ruf, jemand zu sein, dem man besser nicht in die Quere kam.
»Und wenn wir in einen Sturm kommen?« hatte Gevan, der Maat, gefragt. »Was passiert, wenn uns die Lütten über Bord gehen und ertrinken? Wie wird Vannor reagieren, wenn wir mit seiner Brut an Bord von einer von Forrals Patrouillen erwischt werden? Dieser Riesenbastard von der Garnison wird nämlich langsam viel zu schlau.«