Zanna jubilierte innerlich. Sie starrte Yanis mit glänzenden Augen an, aber er sah an ihr vorbei auf das … »Paß auf!« Er stieß sie roh zur Seite, ergriff das Steuerrad und riß es hart herum. Das Schiff schlingerte und neigte sich, seine Planken ächzten ob dieser schmählichen Behandlung, und erst als Zanna ins Speigatt torkelte, sah sie an Backbord die dunkle gezackte Form in den sternklaren Himmel ragen und hörte sie das Anbranden der Wellen gegen den Fels.
Während sich das Schiff wieder aufrichtete, wandte sich ihr Yanis mit einem Grinsen zu, streckte die Hand aus und half ihr auf. »Man muß die Augen offenhalten, wenn man bei Nacht so dicht unter der Küste segelt«, sagte er ermunternd. Zanna, der das Herz noch immer bis zum Hals schlug, starrte ihn mit offenem Mund an. »Aber abgesehen davon«, fügte er herablassend hinzu, »war es fürs erste Mal sehr gut. Wir haben bald einen Seemann aus dir gemacht.«
»Ich bin mir da nicht so sicher«, sagte Zanna schwach. »Bei den Göttern, Yanis – ich habe diesen Felsen überhaupt nicht gesehen. Es war so dunkel. Wieso konntest du ihn sehen?«
Yanis blinzelte ihr zu und lachte mit weiß aufblitzenden Zähnen. »Also – dann bin ich doch wohl nicht so blöde, wie du dachtest, nicht wahr? Selbst wenn ich mich von den Südländern habe übers Ohr hauen lassen!«
»Ich habe nie gesagt, daß du blöd bist«, protestierte Zanna.
»Nein, aber dein Vater hat es gesagt. Und nicht nur das.« Obwohl er leise sprach, konnte sie einen Unterton von Bitterkeit aus seiner Stimme heraushören. »Was ist denn passiert?« fragte sie ihn sanft.
Yanis seufzte. »Diesen Handel mit den Südländern gibt es schon furchtbar lange – das liegt bei uns in der Familie, könnte man sagen. Seit Vannor gemeinsame Sache mit meinem Vater gemacht und uns neue Märkte erschlossen hat, geht es uns wirklich gut. Wir handeln mit den Korsaren, die eigentlich ihre Küsten verteidigen sollten, die aber in Wirklichkeit der übelste Haufen von Schurken und Schuften sind, die man sich nur vorstellen kann. Sie tun alles, um sich ihre Taschen zu füllen.«
»Womit handelst du?« Zanna war fasziniert.
Yanis zuckte mit den Schultern. »Mit verschiedenen Dingen. Sie bewohnen ein heißes Wüstenland, wo nicht viel wächst. Wir verkaufen ihnen hauptsächlich Holz und Wolle und Getreide – ganz gewöhnliche Sachen hier, aber für die Südländer ein Vermögen wert. Im Tausch dagegen bekommen wir Gewürze, Seide und Edelsteine – das heißt, das sollten wir wenigstens«, fügte er bedrückt hinzu. »Als wir diesmal zurückkamen und die Kisten öffneten, lag nur obendrauf ein wenig gute Ware, und der Rest war wertloser Sand!«
»Aber hast du nicht daran gedacht, es zu überprüfen?« fragte Zanna erstaunt.
»Überprüfen?« Yanis starrte sie finster an. »Das ist kein Spiel, weißt du. Es ist tödlicher Ernst und lebensgefährlich. Wir haben keine Zeit, etwas zu überprüfen! Wir schleichen uns hinein, tauschen die Waren aus, so schnell wir können, und segeln dann, was das Zeug hält, wieder nach Hause!«
»Hm …« Zanna runzelte in Gedanken die Stirn. »Dann beruht das Ganze also auf Vertrauen.« Eine Welle von Erregung hatte sie erfaßt. Dies war eine echte Herausforderung. »Überlaß es mir«, sagte sie Yanis. »Ich werde mir etwas einfallen lassen, wie wir diese elenden Südländer drankriegen könne, das verspreche ich!« Der Mund des jungen Schmugglers zuckte einen Augenblick lang, aber er konnte sein Lachen nicht unterdrücken. »Natürlich wirst du das«, sagte er freundlich, als redete er zu einem sehr kleinen Kind. Zum Teufel mit ihm! Zanna kochte. Er glaubt nicht, daß ich das kann.
Aber da Yanis bisher lediglich beschlossen hatte, sie nicht zu Vannor zurückzubringen, konnte sie jetzt kaum einen Streit riskieren. Sie wandte sich ab. »Ich muß zurück zu Antor«, sagte sie mild. Es war eine Ausrede, um unter Deck gehen zu können und einmal scharf nachzudenken. Ich werde es ihm schon zeigen, dachte sie. Wart’s nur ab. Er weiß es vielleicht nicht, aber er braucht meinen Verstand. Ich kann hier bei den Schmugglern einen Platz für mich finden, das weiß ich. Ich werde dafür sorgen, daß sie mich respektieren, und wenn es das letzte ist, was ich tue.
13
Ein Sonnenwendgeschenk
Aurian lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und nahm noch einen Schluck Ale aus ihrem Krug. »Ich bin immer noch überrascht, daß Miathan soviel Verständnis dafür hatte, daß wir beide uns lieben, vor allem nachdem …« Sie hielt abrupt inne und biß sich auf die Lippe. Sie hatte sich immer noch nicht getraut, Forral von Miathans Überfall auf sie zu erzählen. »Wenn seine Zustimmung nur vorgeschoben wäre, dann müßte man das inzwischen wohl gemerkt haben, aber nach fast vier Monaten …« Sie zuckte die Achseln. »Ich habe allerdings in letzter Zeit nicht mehr viel von ihm gesehen – er beschäftigt sich mit irgend etwas, das ihm besonders am Herzen liegt –, aber wenn ich ihn getroffen habe, dann war er so freundlich wie immer. Und wie er die Augen davor verschließt, daß du in der Akademie bei mir schläfst, und uns vor den anderen Magusch verteidigt …« Sie brach mit einem Seufzer ab.
»Die Unfreundlichkeit von Meiriel belastet dich immer noch, nicht wahr?« fragte Forral.
»Ich kann nichts dagegen tun, Forral. Die anderen sind mir egal – Eliseth und Bragar waren schon immer durch und durch verdorben, von Davorshan gar nicht zu reden, aber Meiriel … Ich hätte nie geglaubt, daß sie so voreingenommen sein könnte! Sie hat sich sogar geweigert, mich weiter zu unterrichten, bis dann Miathan ein Machtwort sprach. Es ist furchtbar, auf diese Weise eine Freundin zu verlieren, aber noch nicht einmal Finbarr ist in der Lage, sie zu überzeugen.«
»Nimm’s nicht tragisch, Liebes.« Forral nahm ihre Hand. »Wenn sie es gern so haben möchte, dann können wir nichts dagegen tun. Wenn sie wirklich so etwas wie eine Freundin für dich gewesen wäre, dann hätte sie sich für dich gefreut.«
»Das hat Anvar auch gesagt.« Aurian brachte ein Lächeln zuwege. »Er hat sich ganz gut gemacht für dieses verängstigte Wesen, das wir am letzten Sonnenwendfest aus der Küche erlöst haben. Du mußt zugeben, daß ich recht hatte mit ihm.«
»Das hattest du tatsächlich, und ich freue mich darüber. Er hat sich wirklich als ein guter Kerl erwiesen, Aurian, ganz gleich, was Miathan über ihn verbreitet.«
»Darüber staune ich immer noch.« Aurian runzelte die Stirn. »Es ist wirklich wunderbar, wie sich Anvar um mich kümmert, aber er lächelt fast nie, und er lebt immer noch in Angst vor dem Erzmagusch, erzählt mir aber nicht, warum. Und, was ich noch schlimmer finde, er redet überhaupt nicht über seine Vergangenheit, über seine Familie – über nichts. Ich würde ihm gern helfen – er wirkt immer so unglücklich –, aber wie soll ich das machen, wenn er mir nicht vertraut?« Sie blickte angestrengt in ihren Bierhumpen. »Bei den Göttern, ich hasse Geheimnisse.«
Es war der Vorabend des Sonnenwendfestes, und die beiden hatten ihre Feier mit einem Besuch im Unsichtbaren Einhorn begonnen. In bequemer Nähe zur Garnison gelegen, war die Schänke der Lieblingstreffpunkt der Soldaten, die gerade dienstfrei hatten. Der langgestreckte, niedrige Schankraum war zwar ziemlich schäbig, aber zugleich recht gemütlich mit seiner Decke aus starken Balken, von denen die Lampen herabbaumelten, und mit seinem großen, aus roten Ziegeln gemauerten Kamin, in dem stets ein schönes Feuer prasselte. Die einstmals weißen Wände waren von einer Patina von Rauch überzogen und der Boden mit einer dicken Lage von Sägespänen bedeckt, die das vergossene Ale und das Blut aufsaugten, das gelegentlich bei einer der groben, von dem duldsamen Besitzer (gewöhnlich) übersehenen Raufereien floß. Es gab dort stets gute Gesellschaft und ausgezeichnetes Bier. Das Unsichtbare Einhorn war eins von Aurians Lieblingszielen, aber heute abend ging ihr zuviel im Kopf herum, um sich entspannen und die Gesellschaft genießen zu können.