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»Darauf wollen wir trinken«, sagte Forral. »Oh, verflucht – wir können nicht!« Also sagten sie sich statt dessen gute Nacht. In dieser Nacht kam Anvar sein Bett weniger hart und kalt vor als sonst, und er versank in angenehme Träume.

Anvar mußt am Morgen des Sonnenwendtages für die Feier am Abend zuvor büßen. Sein Kopf hämmerte, als wolle er zerspringen, und Anvar wünschte sich, er würde es endlich tun – wenn er nur den Schmerz loswürde. Aber Aurians Medizin wirkte Wunder, und schon bald war er in der Lage, das Frühstückstablett fertig zu machen. Nur der Geruch der Speisen machte ihm noch eine Weile zu schaffen. Als er das Tablett die Treppen des Turmes zu Aurians Zimmer hinauftrug, hörte Anvar hinter sich eilige Schritte. Er drehte sich um und sah seine Herrin, die in Mantel und Stiefeln hinter ihm die Treppe heraufeilte. Sie war außer Atem und trug eine große flache Holzkiste. Er fragte sich, wo sie wohl so früh gewesen sein mochte – vor allem wenn sie sich in ebenso bescheidener Verfassung befand wie er selbst. Als sie ihn einholte, sah er, daß sie zwar müde und mitgenommen wirkte, daß aber die Kälte ein Glühen auf ihre Wange gezaubert und ein wenig vom Strahlen der letzten Nacht in ihre Augen zurückgebracht hatte. Auf ihrem windzerzausten Haar zerschmolzen Schneeflocken zu diamanten funkelnden Tropfen, und das herbe, nach Moschus duftende Parfüm, das sie bevorzugte, wurde übertönt durch den frischen, belebenden Geruch der schneehaltigen Luft.

Anvar mußt an den Kuß von vergangener Nacht denken und spürte, daß er rot anlief. Ob sie bedauerte, was unter dem Einfluß des Weines geschehen war? Würde sie sich verlegen oder zornig abwenden? Aber das Lächeln, das sie ihm schenkte, war offen und freundlich – und voller Verständnis. »Du auch?« sagte sie mit einem schiefen Lächeln und legte sich die Hand auf die Stirn. Anvar nickte. »Nimm’s nicht tragisch, es war die Sache wert. Ich habe letzte Nacht jede einzelne Minute genossen.«

Anvar war verblüfft. Hatte sie gewußt, was er dachte? Enthielten ihre Worte irgendeine versteckte Bedeutung? Nachdenklich folgte er der Magusch in deren Räume.

»Bei den Göttern, was für ein Durcheinander!« Aurian verzog angesichts der Batterien von Flaschen und Gläsern das Gesicht und ging zum Fenster, um die Vorhänge zu öffnen. Anvar stellte das Tablett ab und begann aufzuräumen, während sie im Kamin Feuer machte – eine Aufgabe, für die sie niemals lange brauchte. Ihr geschäftiges Treiben mußte wohl Forral geweckt haben, denn Anvar hörte ein Stöhnen aus dem Bett im Nachbarzimmer. Aurian lief zu dem Schwertkämpfer hinüber, ganz Mitleid, und Anvar verfluchte seine eigene Dummheit. Versteckte Bedeutungen, wirklich! Was war er doch für ein Dummkopf! Durch und durch beschämt, wandte er sich zum Gehen.

Aurians Gesicht erschien in der Tür zum Schlafzimmer. »Geh noch nicht«, sagte sie. Anvar wartete zögernd, während sie etwas von Meiriels Medizin zurechtmachte und Forral brachte. Die liebevolle Nähe der beiden warf ein hartes Licht auf die Leere seines eigenen Lebens; er kam sich ausgeschlossen vor und war außerdem, um der Wahrheit die Ehre zu geben, ein wenig eifersüchtig. Und vor allem wollte er nicht das Risiko eingehen, Miathan zu begegnen.

»Wann erwartest du den Erzmagusch, Herrin?« fragte er, als Aurian zurück ins Zimmer kam.

»Miathan? Kommt er? Hat er sich anmelden lassen?« Aurian runzelte die Stirn.

Anvar zeigte auf das Tablett mit drei Gedecken. »Nein, aber ich dachte …«

Die Magusch mußte grinsen. »Um Himmels willen, nein«, sagte sie. »Miathan würde nicht mit mir essen, während Forral hier ist. Ich dachte, du würdest vielleicht gern mit uns frühstücken, weil doch Sonnenwendtag ist. Also komm, setz dich! Forral ist auch gleich soweit.«

Als der Schwertkämpfer erschien, wurde sein ausgemergeltes Gesicht beim Anblick der Speisen sofort ganz grün. »Muß ich das Zeug essen?« fragte er wehleidig.

»Komm schon, versuch es«, drängte Aurian. »Es ist genau das, was du brauchst.«

»Herrisch!« grollte Forral, aber bald spürte auch er die wohltuende Wirkung des Frühstücks und der ihm verabreichten Medizin, und als schließlich der letzte Teller leer gegessen war, fühlten sich alle drei wesentlich besser.

Aurian wandte sich Anvar zu. »Forral und ich haben uns gestern abend gegenseitig Geschenke gemacht«, sagte sie. »Aber an dich hatte ich gar nicht gedacht, und deshalb …« Sie beugte sich über den Tisch und hielt ihm den Kasten hin, der in der Zwischenzeit in einer Ecke gestanden hatte. »Das ist für dich.«

Anvar hielt den Kasten auf seinem Schoß fest und wußte nicht, was er sagen sollte. Es war einfach zuviel. Forral hatte ihm gestern abend den Umhang geschenkt – und jetzt das. Langsam öffnete er den Deckel. Vor ihm lag, eingewickelt in eine dicke Lage Stoff, eine wunderschöne Gitarre, deren schimmerndes Holz reich mit kunstvollen Intarsien verziert war – eine erstklassige Handwerksarbeit. Er starrte Aurian an, unfähig zu glauben, daß sie es ernst meinte. »Ist sie in Ordnung?« fragte sie. »Ich hätte dich sie selbst aussuchen lassen sollen, aber ich wollte dich überraschen. Ich bin sicher, du kannst sie umtauschen, wenn sie dir nicht gefüllt, obwohl der Händler nicht besonders begeistert war, daß ich ihn heute morgen aus dem Bett geholt habe.«

Anvar nahm das Instrument vorsichtig aus dem Kasten und schlug eine Saite an. Die Gitarre mußte nach dem Transport durch die Kälte draußen neu gestimmt werden, aber der Ton war weich und süß. »Ach, Herrin, ich danke dir«, flüsterte er. Seine Kehle war wie zugeschnürt, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Ganz gleich, wie sehr er die meisten der Magusch fürchtete und haßte, jetzt wußte er, daß Aurian eine Ausnahme war, etwas ganz Besonderes. Wenn er schon ein Sklave sein mußte, so konnte er sich keine freundlichere Herrin erhofft haben.

In den schneereichen Wochen, die auf die Sonnenwende folgten, war das Geschenk von Lady Aurian ein Lichtblick in Anvars Leben. Die Magusch schlug vor, daß er die Gitarre in ihren Räumen aufbewahrte und das wertvolle Instrument nicht unbeaufsichtigt im Quartier der Dienerschaft liegen ließ. Da sie sehr oft unterwegs war, konnte er in ihren Räumen nach Herzenslust musizieren. Und ebenfalls auf ihre Anregung hin begann er, Aurian und Forral bei ihren Besuchen im Unsichtbaren Einhorn zu begleiten und dort abends für die Soldaten zu spielen. Sein Talent war so gefragt, daß er sich damit bald viele neue Freunde gemacht hatte.

Eines Abends war Anvar mit seiner Herrin und ihren Kriegerfreunden Maya und Parric im Einhorn. Forral war nicht dabei; er war in der Garnison mit der Vorbereitung der Ratssitzung des nächsten Tages beschäftigt. Seit er und Aurian ein Verhältnis miteinander hatten, kam der Schwertfechter von Mal zu Mal schlechter mit Miathan zurecht, und Anvar wußte, daß Aurian sich darüber immer größere Sorgen machte. Sie war an diesem Abend still und geistesabwesend, ihre Stirn umwölkt und von Sorgenfalten zerfurcht, die sich noch nicht einmal von Parrics verwegensten Ausfällen hatten vertreiben lassen. Die Ankunft von Vannor allerdings brachte neues Leben in das Gesicht der Magusch.

»Nun?« verlangte sie zu wissen, als sich der Kaufmann mit einem Ale zu ihnen setzte. »Hast du Dulsina inzwischen gefunden? Hast du sie gebeten, zurückzukommen?«

Vannor machte zum Spaß ein böses Gesicht. »Hätte ich denn eine andere Wahl, nachdem du und Maya mir so den Kopf gewaschen habt? Ja, ich habe sie gefunden – sie war bei einem Cousin, der in der Nähe der Garnison ein Gästehaus unterhält. Ja, sie hat sich überreden lassen, zurückzukommen – nachdem sie mich ein wenig vor sich hat kriechen lassen.«

»Das geschieht dir ganz recht dafür, daß du sie entlassen hast«, schnaubte Maya. »Wir haben kein Mitleid – oder, Aurian?«

»Kein bißchen!« kicherte die Magusch. »Du mußt zugeben, Vannor, daß es kein besonders geschickter Schachzug war, vor allem, wenn man bedenkt, daß Dulsina die einzige ist, die weiß, wo deine Kinder sind. Du hast doch gesagt, sie hätte sie zu ihrer Schwester geschickt, nicht wahr?«