Forral mußte grinsen. »Du verstehst es, dich wunderbar auszudrücken, Vannor.«
»Ja, so sagt man.« Der Kaufmann mit dem beredten Gesicht erwiderte sein Lächeln, und Forral tat es wieder einmal leid, daß sein Verhältnis mit Aurian ihn immer davon abgehalten hatte, dem Erzmagusch die Stirn zu bieten. Vannor hatte eigentlich etwas Besseres verdient. Es würde ihm ein wirkliches Vergnügen sein, ihm diesmal zur Seite zu stehen.
Miathan stürmte in den Saal, ein großer Auftritt wie jedesmal, flankiert von dieser unterwürfigen kleinen Kröte Narvish. Beim Anblick des Stadtschreibers – eines sehnigen alten Fossils mit vielen Zahnlücken, das wie ein Fluch über dem Leben des Schwertfechters hing – kniff Forral seinen Mund zusammen. Es gingen Gerüchte, daß Narvish sich von Miathan bestechen ließ, und Forral wußte bestimmt, daß die Aufzeichnungen der letzten Sitzungen zugunsten des Erzmagusch geschönt worden waren. Nichts Großes natürlich. Nichts, das sich beweisen ließ. Aber vielleicht ein etwas verschobener Akzent, hier und da ein ausgelassenes oder hinzugesetztes Wort, und schon war der Bericht über eine offene Diskussion durch Konfusion und Zweifel entstellt. Na gut, heute würde es dazu keine Gelegenheit geben, dachte Forral grimmig. Heute war die Debatte öffentlich, und über die Sache wurde durch einfache Stimmenmehrheit entschieden, und da Aurian sich entschlossen hatte, die Magusch zu verlassen, braucht der Schwertfechter nicht länger nach der Pfeife des Erzmagusch zu tanzen. Miathan stand eine große Überraschung bevor, dachte Forral. Und er freute sich unglaublich darauf.
Die Debatte nahm die vollen dafür vorgesehenen drei Stunden in Anspruch, und Forral konnte spüren, wie sich im Publikum Überraschung breitmachte. So etwas hatte es während der Amtszeit dieses Erzmagusch noch nicht gegeben. Miathan hatte immer dafür gesorgt, daß wenigstens eines der beiden anderen Ratsmitglieder auf seiner Seite war, und er hatte immer seinen Willen bekommen und jede Opposition mühelos beiseite gefegt. Aber diesmal war es anders. Nach einer Weile bemühte sich Vannor nicht länger, sein Grinsen zu verbergen, während die beiden Sterblichen systematisch die aalglatten Argumente des Erzmagusch eines nach dem anderen in bestem Einvernehmen entkräfteten. Und Forral gab sich damit zufrieden, innerlich zu lachen, während er mit ansah, wie Miathans Gesichtsausdruck schwarz und schwärzer wurde.
Schließlich wurde die Glocke zur Abstimmung geläutet, und damit war jede weitere Diskussion beendet. Narvish, der während des Fortgangs der Debatte immer beunruhigter gewirkt hatte, erhob sich und sprach den Rat an. »Der Erzmagusch Miathan hat vor diesem Rat beantragt, die Abwassersteuer um zehn Stücke Silber zu erhöhen«, intonierte er. »Diejenigen, die es befürworten, den Antrag in die Statuten der Stadt aufzunehmen, mögen sich erheben.«
Es herrschte völlige Stille, als sich der Erzmagusch erhob – allein. Forral sah, daß Miathan sich zu ihm herumdrehte in der Erwartung, er sei ebenfalls aufgestanden. Um seine Gleichmütigkeit zur Schau zu stellen, lehnte er sich in seinem Sessel zurück und legte seine gestiefelten Füße auf den vergoldeten Ratstisch. Ein Raunen ging durch den Saal. Der Gesichtsausdruck des Erzmagusch verwandelte sich von Selbstgefälligkeit in Verblüffung und Wut. Narvish, völlig außer sich, blickte sich wild um, als ob er nach einer Möglichkeit suchte, zu entkommen. »Eh … . sind das alle?« quiekte er.
»Nun mach schon weiter, Mann«, knurrte Vannor, aber seine Augen lachten. Der Kaufmann schien sich köstlich zu amüsieren. Der schleimige kleine Stadtschreiber entfernte sich schleichend von dem schäumenden Erzmagusch. »Eh … . alle anderen dagegen?«
Langsam nahm Forral seine Füße vom Tisch und stand zusammen mit Vannor auf, während der Saal in einem tumultartigen Beifall explodierte. Der Erzmagusch, inzwischen kalkweiß im Gesicht, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Forral hielt seinem Blick mit steinernem Trotz stand. Wortlos drehte Miathan sich um und stürmte aus dem Saal, zum ersten Mal in seinem Leben glatt geschlagen.
Der Erzmagusch lief in seinem Zimmer auf und ab; er war kaum in der Lage, seinen Zorn zu beherrschen. Diesmal war Forral zu weit gegangen. Wie konnte er es wagen, mit diesem Emporkömmling von Vannor gemeinsame Sache zu machen und die Vorherrschaft dieses Abschaums von Sterblichen über einen der Maguschgeborenen auch noch öffentlich zur Schau zu stellen! Miathan wußte, daß ihm die Herrschaft über die Stadt entglitt und daß damit auch alle seine weiterreichenden Pläne gefährdet waren. Genug war genug. Aurian hin, Aurian her, Forral hatte soeben sein eigenes Todesurteil unterzeichnet. Miathan verzog das Gesicht, als ihm noch eine andere Sache in den Sinn kam. Etwas, das er zuvor nicht mit Forrals Widersetzlichkeit in Verbindung gebracht hatte. Seit er D’arvan am Abend zuvor verbannt hatte, war der Magusch einfach verschwunden. Wo konnte er sein? Miathans Spione hatten ihn in der Stadt nicht aufspüren können, und der Erzmagusch fragte sich nun, ob seine Entscheidung richtig gewesen war. Er hatte dem Drängen Eliseths und Bragars nachgegeben, die D’arvan loswerden wollten, der, wie sie betonten, die Fortschritte seines Bruders behindere. Es sei besser, einen wirkungsfähigen und treuergebenen Magusch in der Akademie zu haben, als zwei, die nutzlos waren, hatten sie vorgebracht. Aber Miathan kamen nun Zweifel. Jeder, in dessen Adern Maguschblut pulsierte, blieb eine potentielle Quelle magischer Kräfte, und es beunruhigte ihn, daß sich D’arvan außerhalb seines Einflußbereiches befand. Was war, wenn er zusammen mit Forral und – Miathan krümmte sich bei dem Gedanken – Aurian irgendwelche Pläne gegen ihn schmiedete? Und was meinten Eliseth und Bragar mit ›treu ergeben‹? War Davorshan dem Erzmagusch treu ergeben oder den beiden? Miathan jonglierte mit den verschiedenen Möglichkeiten und fing sich in der klassischen Falle derjenigen, deren Lebenswerk es ist, gegen andere Intrigen zu spinnen und üble Pläne auszuhecken. Er war davon überzeugt, daß die anderen ihrerseits vorhatten, ihn zu stürzen.
Eliseth und Bragar schienen ihm ergeben zu sein, aber er traute ihnen nicht ganz. Sicherlich nicht genug, um ihnen hiervon zu erzählen. Miathan streichelte den polierten goldenen Rand des Kelches, der auf dem Tisch vor ihm stand. Das hier würde ihm gute Dienste leisten, falls sie sich gegen ihn wenden sollten. Finbarrs Forschungen hatten ihn mit den Antworten versehen, die er benötigte. Dieser Kelch besaß tatsächlich die magischen Kräfte des Kessels und konnte wie alle Werkzeuge der Gramarye, der schwarzen Kunst oder hohen Magie, zum Segen oder zum Fluch werden. Miathan lächelte. Der Maguschkodex war etwas für Einfaltspinsel. Hier in seiner Hand befand sich eine Waffe, so nützlich …
Seine Überlegungen wurden unterbrochen durch ein leises Klopfen an der Tür. Miathan fluchte und bedeckte den Kelch schnell mit einem Tuch. »Herein«, rief er. Es war Meiriel. Sie verbeugte sich tief. »Entschuldigt, Lord Erzmagusch«, sagte sie, »ich muß dringend mit Euch sprechen.«
»Warum so förmlich, Meiriel, hm?« Miathan zwang Leutseligkeit in seine Stimme. Es gab kein Anzeichen dafür, daß die Heilerin gegen ihn war, und er benötigte vielleicht alle Unterstützung, die er bekommen konnte. »Komm herein, setz dich. Nimm ein Glas Wein.«