»Ich würde es gern machen, Herrin«, sagte Anvar und war überrascht festzustellen, daß dem wirklich so war.
»Ich danke dir, Anvar. Das freut mich wirklich. Aber nicht heute abend. Wir essen mit Vannor, und ich möchte einmal wie eine Lady aussehen und nicht wie eine Kriegerin.« Sie schlang ein Netz aus Goldfäden über ihr glattes Haar, das die feuerrote Flut bändigen sollte, erhob sich dann und strich den Rock ihres smaragdgrünen Kleides glatt. »Also«, sagte sie, »ich muß jetzt los^ Bis später, Anvar – oh, verflucht, wer kann das sein?«
Es hatte vernehmlich geklopft, und Anvar ging zur Tür, um zu öffnen. Es war ein Diener, der Lady Aurian zum Erzmagusch beordern sollte. Aurian verzog das Gesicht, als er ihr die Botschaft überbrachte. »Fledermauskacke! Ich werde zu spät kommen! Hat er gesagt, was Miathan will?«
»Es tut mir leid, Herrin.« Anvar schüttelte den Kopf. Die Magusch gab einen langen Seufzer von sich. Anvar entging es nicht, daß hinter ihrer Maske von Lässigkeit Furcht aufflackerte.
»Herrin, wenn du lieber jetzt sofort fort willst, dann werde ich zum Erzmagusch gehen und ihm sagen, daß ich einen Fehler gemacht habe und daß du bereits fort bist«, bot er ihr an.
»Danke, aber ich gehe besser selbst. Miathan gehört zu denen, die den Überbringer für die Nachricht verantwortlich machen! Ich komme mir noch meinen Mantel holen, bevor ich gehe – ich hoffe, daß es nicht so lange dauern wird.«
Als Aurian gegangen war, machte Anvar sich in ihren Gemächern zu schaffen und räumte die Kleider weg, die sie nach ihrer Rückkehr von der Garnison achtlos abgelegt hatte. Er sammelte ihre lederne Kampfmontur, ihren Sehwertgürtel und ihre Stiefel auf und rollte sie zusammen mit dem Mantel, der einst Forral gehört hatte, zu einem Bündel zusammen. Das legte er an die Tür zu dem Schwert, das bereits dort an der Wand lehnte. Er würde die Sachen später saubermachen, dachte er. Sie stanken nach Pferd. Er leerte ihr Bad aus, machte ein Feuer und stellte für ihre Rückkehr eine volle Flasche Wein auf den Tisch. Nachdem alles gerichtet war, wollte Anvar gerade seine Gitarre nehmen, um sich damit ein oder zwei einsame Stunden zu vertreiben, als sein Blick auf ihren halb unter das Bett gerollten und dort vergessenen Zauberstab fiel.
Der Zauberstab war ein wichtiges Werkzeug der Magusch; er diente dazu, ihre magischen Kräfte zu konzentrieren und auf ein Ziel zu lenken. Jeder der Magusch fertigte sich, wenn seine Fähigkeiten eine bestimmte Stufe erreicht hatten, aus einem der traditionellen magischen Bäume einen Zauberstab an – aus einem Ast oder einer Wurzel, ganz wie es ihm beliebte – und verschmolz ihn dann mit seinen magischen Kräften und seiner Person. Aurian hatte es lange hinausgezögert, sich ihren Stab zu machen, da sie wußte, wie unbeholfen sie schnitzte, und Angst hatte, das Ergebnis könnte zu katastrophal ausfallen. Und als Anvar nach einer Möglichkeit gesucht hatte, sich für ihr großzügiges Sonnenwendgeschenk zu revanchieren, war er schließlich in die Wälder südlich des Flusses gegangen und hatte dort nach langem Suchen gefunden, wonach er suchte. Die gedrehte Wurzel einer Buche, Aurians Lieblingsbaum. Er hatte daraus sorgfältig, so wie sein Großvater es ihm beigebracht hatte, einen Stock geschnitzt und dabei die natürliche Drehung des Holzes ausgenutzt, um daraus die beiden Schlangen der hohen Magie hervortreten zu lassen – die Schlange der Macht und die Schlange der Weisheit, die sich umeinandergeringelt die ganze Länge des Stabes hinaufwanden. Es war das schönste, was er je aus Holz geschnitzt hatte. Es hatte eigene Kraft und eigenes Leben, noch bevor es mit Zauber erfüllt wurde. Aurian war außer sich vor Freude gewesen, als er ihr den Stab überreicht hatte, und ihr Entzücken war für Anvar die schönste Belohnung gewesen.
Anvar bückte sich, um den Stab aufzuheben – und ließ ihn sofort wieder fallen, als hätte er sich daran verbrannt. Bei der Berührung des Holzes hatte ihn Furcht durchzuckt, ein Aufflackern von Panik, als hätte Aurian in hilfloser Verzweiflung nach ihm geschrien. Vorsichtig griff er noch einmal nach dem Stab, aber diesmal war nichts mehr zu spüren.
Den Stab noch in Händen, überlegte Anvar. Was war Aurian zugestoßen? Sie war jetzt schon sehr lange fort. War irgend etwas nicht in Ordnung? Hatte sie es irgendwie geschafft, über dieses Werkzeug, das er geformt und das sie mit ihren magischen Fähigkeiten erfüllt hatte, zu ihm Verbindung aufzunehmen? Ein Knoten von Schmerz entstand bei diesem Gedanken zwischen Anvars Augen, aber er ließ sich davon nicht beirren und versuchte, sich ihren Gesichtsausdruck zu vergegenwärtigen, als sie zu Miathan bestellt worden war. Ja, es war ein Aufblitzen von Furcht gewesen. Wie groß seine Angst vor dem Erzmagusch auch sein mochte, Anvar wußte, daß er jetzt herausfinden mußte, ob Aurian in Schwierigkeiten steckte.
Mit schleppenden Schritten stieg er zur obersten Etage hinauf und versuchte sich erfolglos davon zu überzeugen, daß er sich das alles nur eingebildet hatte. Die Tür zu Miathans Gemächern stand einen Spaltbreit offen. Anvar hatte seine Hand schon gehoben, um anzuklopfen, als er von drinnen Stimmen hörte. Der Erzmagusch – und Meiriel? Wo war Aurian? Ei erstarrt, die Hand immer noch gehoben, und das, was er hörte, ließ es ihm kalt den Rücken herunterlaufen.
»Es funktioniert nicht, Miathan.« Meiriels Stimme klang gepreßt. »Selbst unter deinem Schlafzauber kämpft sie instinktiv, um ihr Kind zu beschützen.«
»Pest über sie! Kannst du nichts dagegen tun?«
»Nun ja … Es gibt eine Droge, mit der ich es versuchen könnte. Sie beeinflußt ihren Willen und macht sie unseren Befehlen gefügig. Wir sollten sie dann eigentlich dazu Bringen können, sich die Brut selbst auszutreiben.«
»Hast du die Droge bei dir?«
»Natürlich!« erwiderte Meiriel knapp. »Aber wir müssen uns beeilen. Es dauert ungefähr eine Stunde, bis die Droge wirkt, und wenn wir in der Zwischenzeit entdeckt werden sollten …«
»Mach dir keine Sorgen. Eliseth und ihr Gefährte sind zweifellos wieder damit beschäftigt, ihren gewöhnlichen Unfug auszuhecken, und du weißt ja, daß Finbarr nie aus seinen Archiven herauskommt. Fang also an, Meiriel. Forrals Brut darf diese Nacht nicht überleben.«
Anvar stockte der Atem. Er mußte sich gegen das kalte steinerne Mauerwerk des Turmes stützen, und in seinem Kopf drehte sich alles. Aurians Baby, vernichtet, so wie es mit Saras geschehen war und aus ähnlichen Gründen … Sein Kind – Forrals Kind … Forral!
Anvar machte kehrt und schlich leise davon, bis er die erste Kehre hinter sich hatte, und schoß dann die Wendeltreppe in halsbrecherischem Tempo hinunter. Nachdem er das Erdgeschoß erreicht hatte, steckte er sich ohne zu überlegen den Stab in den Gürtel und rannte über den mit Fackeln beleuchteten Hof zu den Ställen neben dem Wachhaus. »Ein Pferd, schnell!« rief er den verblüfften Wachen zu. »Eine dringende Besorgung für Lady Aurian!« Sie wußten inzwischen, daß er der vertraute Diener der Lady war, und ließen ihn gewähren. Er griff sich Zaumzeug, nahm sich das nächstbeste Pferd, sprang hinauf, ohne es erst zu satteln, und duckte sich, als er durch das Tor des Stalles galoppierte. Als er das Pferd durchs Tor trieb, schwenkten die Wachen bereits die Laternen, damit die Torhüter auch die unteren Tore öffneten.
Anvar erreichte die Garnison kurz vor einigen berittenen Soldaten, die sich an seine Fersen geheftet hatten. Ihnen war sein rücksichtsloser Parforce-Ritt durch die Straßen der Stadt verdächtig vorgekommen. Zwei Wachen versperrten ihm den Weg, Anvar riß sein Pferd herum und war schon von dem verblüfften Tier heruntergesprungen, bevor es ganz zum Stehen gekommen war. Er drückte den staunenden Soldaten die Zügel in die Hand. »Kommandant Forral!« japste er. »Schnell – wo ist er?« Zum Glück handelte es sich bei einer der Wachen um Parric.
»In seinem Quartier, aber …« Er sprach mit sich selbst. Anvar war schon fort, hatte sich an ihm vorbeigedrängt und rannte über den Exerzierplatz zu den Quartieren der Offiziere. Die Männer der Patrouille, die ihm dicht auf den Fersen gewesen war, sahen Parric fragend an. Der Kavalleriehauptmann, zuckte nur die Achseln.