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Der Wind wurde stärker und trieb zerfetzte Wolken vor dem blassen Halbmond her, dessen unbeständiges Licht immer wieder die düsteren, kahlen Äste erkennen ließ, die sich in den Himmel reckten. Auf der hölzernen Uferbefestigung an Vannors kleinem Bootshaus lagen noch Schneereste, und der Fluß strömte hastig vorbei und leckte mit kabbeligen kleinen Wellen hungrig an dem niedrigen hölzernen Anleger. Einer von Vannors Männern hielt eine Laterne in die Höhe, ein anderer zog das kleine Boot aus dem Verschlag und hielt es fest, bis der Kaufmann sanft die schlafende, dick eingemummte Gestalt seiner Frau hineingelegt und“ ihren Kopf auf das armselige Bündel gebettet hatte, das ihrer aller Besitz enthielt.

Anvar fröstelte. Er trug einen von Vannor geliehenen Umhang, aber in der Kälte der Nacht und nach dem Schock, der schließlich auch ihn ereilt hatte, hatte ihn ein unkontrollierbares Zittern überfallen. Aurian stand neben ihm und zog Forrals alten Umhang um sich zusammen. Ihr Gesicht war fahl und wie versteinert. Nur ihr unbezwingbarer Wille, das wußte Anvar, verhinderte, daß sie zusammenbrach, und er hatte Angst um sie.

Vannor blickte Sara lange an und küßte sie zum Abschied; dann wandte er sich Aurian zu und umarmte sie unbeholfen. »Die Götter seien mit euch, Lady«, sagte er mit erstickter Stimme. Tränen liefen ihm über die Wangen.

»Und mit dir, mein lieber Vannor.« Aurians Stimme war ein Seufzen. Sie schluckte. »Paß auf dich auf«, sagte sie sanft, wischte sich über die Augen, zog die Kapuze über den Kopf und stieg in das Boot, darauf bedacht, das Schwert nicht zu verlieren, das sie jetzt gegürtet hatte. Sie steckte auch ihren Zauberstab, den sie sich von Anvar hatte geben lassen, in den Gürtel und nahm die Stange in beide Hände, um das Boot abzustoßen.

Vannor kam noch einmal zu Anvar und drückte ihm warm die Hände. »Paß auf sie auf, Junge«, sagte er. »Paß auf die beiden auf.«

Anvar nickte wortlos. Er stieg in das kleine Boot und nahm die Ruder. Aurian stieß mit der Stange ab, und das Boot glitt in sanftem Bogen in die Strömung des dunklen Flusses hinaus.

Während sie Fahrt aufnahmen, wurde Vannors Gestalt schnell kleiner und war bald nicht mehr zu sehen.

15

Flucht und Verfolgung

Aurian stakte das Boot immer im sicheren Schatten des Ufers flußabwärts; Anvar ruderte. Sie machten gute Fahrt, und die Strömung trug sie fort von den Schrecken, die hinter ihnen lagen. Zuerst glitten sie an Bäumen vorüber, dann an wohlgepflegten Gärten, die zu den Anwesen der reichen Kaufleute gehörten, dann wieder an Bäumen. Aurian hielt die Stange fest umklammert und legte all ihre Kraft in ihre Bewegungen – das war ihre Art, sich gegen den heftig brennenden Schmerz ihres Kummers zu wappnen. Sie schenkte dem dunklen, kabbeligen Wasser, das um sie herum gurgelte, keine Beachtung und sah nur Forrals Gesicht vor sich. Forral – den sie nun hinter sich ließ – der schon so viel weiter entrückt war als alles andere, dem sie jetzt den Rücken kehrte – der für immer gegangen war.

Sie würde sein geliebtes Gesicht nie mehr wiedersehen, nie mehr würde es vor Leben und Liebe sprühen. Niemals mehr durfte sie seinen Arm um sich spüren, niemals …

»Hör auf damit, du Dummkopf«, murmelte sie sich selbst durch ihre zusammengepreßten Zähne zu. »Nicht jetzt, noch nicht.«

Anvar blickte besorgt auf. »Herrin, geht es dir gut?«

»Sei still«, sagte Aurian knapp. »Sei still und rudere.«

Es waren ungefähr zwölf Meilen bis zum Hafen von Norberth an der Flußmündung, und sie setzten alles daran, die Strecke so schnell wie möglich zurückzulegen.

Sie passierten Mühlen und Dörfer, Weiden und Wälder. Die schnelle Strömung des Flusses, der nach der Schneeschmelze Hochwasser führte, trieb sie voran. Aurians Muskeln schmerzten, ihre Hände hatten schon Blasen, und Schweiß brannte ihr in den Augen. Einmal stöhnte Sara und begann sich zu regen, als Aurians Schlafzauber schwächer wurde. Die Magusch fluchte. Das hätte eigentlich nicht sein dürfen! Stimmte etwas mit ihrer Magie nicht mehr? Sie legte die Stange ins Boot und kniete sich neben das Mädchen. »Schlaf«, befahl sie mit schallender Stimme und legte ihre Hand dabei auf Saras Stirn. Sara entspannte sich wieder, ihre Augen blieben geschlossen, ihr Atem ging langsam und gleichmäßig. Aurian seufzte erleichtert. Als sie ihre Hand wegzog, war die Stirn des Mädchens blutverschmiert. Anvar stöhnte auf.

»Mach dir keine Gedanken, das Blut ist von mir«, sagte Aurian und besah sich kleinlaut ihre aufgeplatzten, blutenden Handflächen. Sie nahm wieder die Stange und machte sich mit erneutem Grimm an die Arbeit.

Die Zeit verstrich. Aurian nahm durch den Schleier von Schmerz und Erschöpfung, der sie umgab, nichts mehr wahr. Bestimmt mußten sie bald am Ziel sein. Diese schwarze, bittere Nacht schien kein Ende zu nehmen. Plötzlich fand sie mit der langen Stange keinen Grund mehr und begann – durch die Kraft ihres Stoßes aus dem Gleichgewicht gebracht – wild mit den Armen zu rudern. Als sie fiel, traf sie mit einer Hand auf hartes Holz und klammerte sich mit all ihrer Kraft daran. Die Stange verlor sie, als sie ins eiskalte Wasser eintauchte. Es war tief hier – zu tief –, und die Gewalt der Strömung zog und zerrte an ihrem langsam taub werdenden Körper, während sie sich mit einer Hand immer noch am Heck des Bootes festhielt. Sie konnte bereits spüren, wie ihre Kraft nachließ, wie sich ihr Griff lockerte, wie die Finger langsam über das nasse Holz zu rutschen begannen …

In diesem Augenblick überkam Aurian ein merkwürdiger Frieden – eine ihr neue, entspannte Klarheit des Denkens, alles, was sie jetzt tun mußte, war loszulassen, und sie würde in Sicherheit sein; unerreichbar für Miathan, der sie so niederträchtig verraten hatte, weit weg von allem Kummer und allem Streit. Und Forral, ihr geliebter Forral wartete schon auf sie …

»Halt aus, Herrin, ich komme!« Anvars Stimme war wie ein Schlag ins Gesicht. Starke Finger schlössen sich um ihr Handgelenk, dann um ihren Arm. Starke Hände zogen sie zurück an Bord des schwankenden Bootes. Aurian versuchte zu protestieren, aber sie war zu schwach, um zu kämpfen. Sie rutschte auf die Planken – ein zitterndes, durchnäßtes Häufchen Elend.

»Herrin, das Wehr!« Anvars entsetzte Stimme übertönte schrill das Brüllen des Flusses. Aurian wischte sich das Wasser aus den Augen. Weiße Gischt wehte in Streifen auf dem dunklen Wasser an dem kleinen Boot vorbei, das jetzt wild zu schaukeln begann und eine enorme Fahrt machte. Anvar kämpft mit den Rudern, blind in den umherfliegenden Schaummassen; sie sah gerade noch, daß ihm das linke Ruder von den brodelnden Wassermassen aus der Hand gerissen und gierig fortgewirbelt wurde.

Augenblicklich änderte das Boot seine Richtung, begann zu kreiseln und sich gefährlich zu einer Seite hin zu neigen. Sie hatten keine Kontrolle mehr über das Boot. Aurian lächelte.

Forral, dachte sie sehnsüchtig. Nur noch wenige Augenblicke …

Dann schien sie wie aus dem Nichts die Stimme des Schwertkämpfers zu hören. Du wirst mir folgen wollen. Tu es nicht! Sie blickte Anvar an. Er hatte ihr gerade das Leben gerettet. Ganz gleich, wie tief ihre Verzweiflung war, welches Recht hatte sie, ihn mit sich zu reißen?

Bitterlich fluchend zog Aurian ihren Zauberstab aus dem Gürtel. »Aus dem Weg«, rief sie Anvar zu. Sie rempelte sich an ihm vorbei zum Bug des Bootes, wo sie über Sara stand und versuchte, sowohl ihren Stab als auch das schlingernde Boot festzuhalten. Ein weißes Glänzen erstreckte sich vor ihnen quer über den Fluß. Es war schon verzweifelt nahe, und das Brüllen schwoll zu einem dröhnenden Donnern an. Aurian hielt ihren Stab jetzt fest mit beiden Händen umfaßt quer zum Boot auf ihrem Schoß. Ihre Fingerknöchel schimmerten weiß, während sie das glatte Holz umschlossen und Aurian sich mit all ihrer Kraft konzentrierte.

Der gleichförmige Klang ihres Singsangs erhob sich über das Donnern des Wehres. Der Stab begann zu leuchten, in einem blauweißen Licht zu schimmern, das sich wie die zarten Finger eines Blitzes ausbreitete und das ganze Boot einschloß, gerade als es die Kante des Wehrs erreichte und sich anschickte, vornüber zu kippen …