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Sara fiel der Unterkiefer herab. »Du meinst, ich bin eine Gefangene?« kreischte sie. »Das kannst du nicht machen! Wie kannst du es wagen! Wenn Vannor davon hört …«

»Vannor hat dich mir mitgegeben, zu deinem eigenen Schutz. Ich bin für deine Sicherheit verantwortlich, und ich sage dir, daß du diese Kabine auf gar keinen Fall verlassen wirst. Wenn irgend jemand an die Tür kommt, dann verschwinde in der Koje und versteck dich unter deiner Decke – vor allem dein Gesicht. Was immer auch geschieht, du darfst dich keinesfalls irgend jemandem von der Mannschaft zeigen. Ich habe dem Kapitän gesagt, daß du Pocken hättest. Das sollte sie davon abhalten …«

»Was?« schrie Sara völlig außer sich.

»Herrin«, protestierte Anvar, »es ist nicht fair …«

»Habt ihr beide jemals eine junge Frau gesehen, die von einer ganzen Piratenbande vergewaltigt worden ist?« Aurians nüchterner Ton ließ die beiden anderen verstummen. Saras Blick wurde plötzlich ängstlich. »Ich habe es nicht«, fuhr Aurian fort, »und ich will es auch jetzt nicht sehen. Die Mannschaft dieses Schiffes ist die niederträchtigste, gemeinste Bande von Strolchen, die ich jemals zu Gesicht bekommen habe, und wenn sie auch nur einen Blick von dir erhaschen, dann werde weder ich noch Anvar sie aufhalten können. Ich weiß, daß es hart für dich ist, Sara. Anvar hat recht, es ist nicht fair, und es tut mir leid. Aber mach es so, wie ich es sage, bitte – um unser aller willen.«

Sara starrte sie einen Augenblick lang an, ließ sich dann vornüber auf die Koje fallen und brach in Tränen aus. Anvar beeilte sich, sie zu trösten. Aurian blickte ihn erstaunt an, wandte sich dann mit einem Schulterzucken ab und verließ die Kabine.

Die Magusch setzte sich, ein Bein untergeschlagen, auf die schmale Bank, die sich im Bug des Schiffes an der Reling entlangzog. Die Mannschaft schien einen großen Bogen um sie zu machen, obwohl sie oft die Blicke der Männer spürte, während sie zusah, wie eine bleiche Sonne sich langsam auf den dämmrigen Horizont zu ihrer Rechten herabsenkte. Sie dachte über die zurückliegende Nacht nach und versuchte, so gut sie konnte, die Tatsachen von dem Schleier von Ärger, Trauer und Furcht abzusondern, der ihre Erinnerung an das, was geschehen war, überschattete. Das Kind – das war das eine. Forschend richtete Aurian ihre Gedanken auf sich selbst, nach innen, um diesen schwachen Funken von Leben zart zu berühren – er war noch so winzig, daß noch nicht einmal sie von seine Existenz gewußt hatte. Obwohl sie es mit aller Kraft versuchte, war es ihr unmöglich, die Abneigung zu unterdrücken, die in ihr aufwallte. Wenn dieses Kind nicht gewesen wäre, lebte Forral noch … und doch war es jetzt alles, was von ihm übrig war. Es sollte das Allerkostbarste für sie sein. Und es hatte ja auch nicht darum gebeten, gezeugt zu werden. Das war ihre Schuld. Ihre eigene Sorglosigkeit, die es Meiriel ermöglicht hatte, sie zu hintergehen. Das arme Ding hatte nichts als Feinde – der Erzmagusch würde es töten wollen, so wie er seinen Vater getötet hatte …

Wie konnte sie hoffen, Miathan jemals zu besiegen? Aurian schauderte. Es war ja sehr schön gewesen, in der Hitze des Gefechtes diesen Eid zu schwören, und sie war entschlossen, es ihm heimzuzahlen, so gut sie nur konnte – aber wie? Der Erzmagusch war verrückt, ein Abtrünniger, der sich gegen die Ordnung gestellt hatte, und er besaß eine Waffe, die weit über ihre magischen Fähigkeiten hinausging. Wie mächtig war der Kessel? Welchen Sinn machte es, gegen solch eine Gewalt eine Armee aufzustellen? Tausende von Menschen würden nutzlos hingeschlachtet werden. Aber was war mit den anderen verlorenen Werkzeugen der Hohen Magie passiert? Ach, wenn sie doch nur eins davon aufspüren könnte … Aber wo sollte sie mit ihrer Suche beginnen. Sie waren schon seit Jahrhunderten verloren. Aurians Gedanken drehten sich in hoffnungsloser Verzweiflung. Es ist zuviel für mich, dachte sie. Wenn nur Forral bei mir wäre …

Als sie an ihren Liebsten dachte, erschien sein Bild plötzlich vor ihren Augen. Nicht das Bild seiner Leiche, wie sie ihn zuletzt gesehen hatte, sondern das eines lebendigen Forral, der – unpassender ging es wohl nicht – im Schankraum des Unsichtbaren Einhorns saß. Er beugte sich über den bierbefleckten Tisch zu ihr herüber und erklärte ihr etwas; Aurian begriff, daß sie sich an eine Unterhaltung erinnerte, die sie vor einiger Zeit gehabt hatten. »Wenn dir ein Problem zu groß erscheint«, sagte er, »dann wirst du niemals weiterkommen, indem du dagegen anrennst. Zerlege es in einzelne Schritte und kümmere dich um das Wichtigste zuerst. Dann wirst du meistens feststellen, daß sich der Rest von allein ergibt.«

Das war ein guter Rat, und er kam zur rechten Zeit. Noch ganz in ihrer Erinnerung gefangen, lächelte Aurian. »Ich danke dir, Liebster«, flüsterte sie, und sein Bild schien zurückzulächeln, während es langsam verwand. Aurian sah wieder den Ozean vor sich und schüttelte den Kopf. War das eine Erinnerung gewesen? Eine Vision? Einbildung? Sie hatte keine Vorstellung, aber immerhin fühlte sie sich jetzt ruhiger und auf merkwürdige Weise getröstet. Und ihren Weg sah sie plötzlich klar vor sich. Das wichtigste zuerst. Nun, gut, das Wichtigste war, diese Reise sicher hinter sich zu bringen – weder den Piraten noch dem Erzmagusch zum Opfer zu fallen und die Bergfestungen zu erreichen, wo sie Hilfe und ein gewisses Maß an Sicherheit vorfinden würde. Und danach? Nun sie würde schon sehen.

Aurian fuhr herum, als sie hinter sich leise Schritte hörte. Sie hatte das Schwert schon halb aus der Scheide gezogen, bevor sie begriff, daß es sich um Anvar handelte, der überrascht zurückwich. Sie zuckte entschuldigend die Achseln und rückte ein Stück, damit er sich neben sie auf die Bank setzen konnte. »Wie geht es Sara?« fragte sie.

Anvar machte ein gequältes Gesicht. »Immer noch aufgebracht«, sagte er. »Sie verflucht Vannor und dich und mich – jeden, der ihr einfällt.«

Aurian seufzte. »Solange sie in der Kabine flucht, werde ich keine Zeit damit vertun, mir darüber Gedanken zu machen. Wir werden dieses jämmerliche Wesen ohnehin niemals davon überzeugen können, daß sie nicht die einzige auf der Welt ist, die Probleme hat.«

Auf diese Andeutung hin schaute Anvar sie besorgt an. »Wie geht es dir, Herrin? Ich habe dich nicht gern so lange allein gelassen, aber sie …«

»Ich werde überleben. Ich nehme an, daß ich einfach muß.«, Aurian milderte ihre grimmigen Worte durch ein Lächeln. »Und es hat mir nichts ausgemacht, allein zu sein, Anvar. Die Mannschaft läßt mich in Ruhe – die Leute scheinen einen gewissen Respekt vor dem hier zu haben« – sie klopfte auf den Griff ihres Schwertes – »und ich mußte etwas nachdenken.«

»Herrin, wie soll es jetzt weitergehen?«

»Ich weiß es nicht.« Es schien Aurian sinnlos, ihm etwas vorzumachen. »Ich würde mir im Moment darüber nicht allzu viele Gedanken machen, Anvar. Zunächst einmal müssen wir lebendig von diesem Schiff wieder herunterkommen. Wollen wir uns also fürs erste darauf konzentrieren. Ich frage mich, was es hier wohl zu essen gibt.«

Was es zu essen gab, erwies sich als eine fettige, übelkeiterregende, graue Brühe, die als ›Eintopf‹ bezeichnet wurde. Vor allem Sara war weit davon entfernt, beeindruckt zu sein, und ließ darüber auch keine Unklarheit aufkommen. »Das kann ich nicht essen!« protestierte sie. »Es ist ekelhaft! Mir wird schlecht werden davon!«

»Wenn dir schlecht wird, dann sieh zu, daß du rechtzeitig zum Fenster kommst«, sagte Aurian brutal und zwang sich, noch einen Löffel von dem Fraß herunterzubekommen und dabei nicht an tote Ratten zu denken. Sara zog sich in beleidigtem Schweigen in ihre Koje zurück, und kurz darauf konnte man sie unter ihrer Decke schluchzen hören.

»Herrin«, flüsterte Anvar vorsichtig, »könntest du nicht nun, etwas freundlicher zu ihr sein? Es ist hart für sie – sie ist es nicht gewohnt …«

Das war zuviel für Aurian. »Anvar, darf ich dich daran erinnern, daß wir nicht zu einem Picknick unterwegs sind? Wir sind auf der Flucht, weil es um unser Leben geht, und wir haben keine Zeit, Sara zu hätscheln. Es ist für uns alle dasselbe, weißt du. Sie wird sich einfach daran gewöhnen müssen – und zwar verdammt schnell!« Sie schleuderte ihren leeren Teller auf den Boden, stürmte aus der Kabine und schlug die Tür hinter sich zu.