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Der Griff um Anvars Hals zog sich enger zusammen. Im letzten Augenblick schrie er: »Nein, Aurian!« Dann bekam er keine Luft mehr. Seine Lungen brannten, sein Blick verdunkelte sich langsam. Dann lösten sich ihre Hände plötzlich, er wurde heftig davongestoßen und schlug aufs Deck, wo er winselnd versuchte, wieder Luft durch seinen zerquetschten Hals einzuatmen. Weit entfernt hörte er eine Stimme. Wie dankbar war er, daß es Aurian war, die seinen Namen rief. Als sich sein Blick wieder klärte, sah er verschwommen ihr Gesicht über seinem. Ihr eigenes Gesicht. Sie wirkte erschüttert und ratlos. »Bist du in Ordnung?« fragte sie.

Er nickte und ließ sich von ihr auf die Bank helfen. Seine Kehle fühlte sich an wie zerstoßen. Er griff nach dem Becher mit Rum und nahm unter großer Anstrengung einen Schluck. »Und du?« flüsterte er heiser.

»Jetzt ja.« Sie klang sehr erbost.

»Herrin, was ist passiert?« fragte er sie. »Kannst du dich an etwas erinnern?«

Aurian wandte ihren Blick von ihm ab und sprach mit monotoner, ausdrucksloser Stimme. »Ich bin eingeschlafen. Und plötzlich war ich nicht mehr in meinem Körper. Ich war irgendwo anders. Alles war grau und neblig, es war nicht in dieser Welt.«

»Ist das möglich?« stöhnte Anvar.

»Natürlich ist das möglich!« knurrte die Magusch. Sie zitterte, so hatte sie sich anstrengen müssen, die Selbstbeherrschung zu bewahren. »Miathan – er hat mich in Besitz genommen. Er hat mich irgendwie beherrscht, und ich konnte mich nicht bewegen; ich konnte nicht mehr zurück. Ich habe versucht zu kämpfen, aber ich konnte überhaupt nichts tun. Dann habe ich deine Stimme gehört, und das schien seine Konzentration gestört zu haben. Dadurch konnte ich ihn abschütteln!« Sie schüttelte den Kopf. »Aber ich hätte eigentlich nicht gewinnen können – nicht, wenn es nach ihm gegangen wäre. Nur schien er irgendwie nicht seine ganze Kraft eingesetzt zu haben …«

»Vielleicht, weil er zur gleichen Zeit deinen Körper benutzt hat«, schlug Anvar als Erklärung vor.

»Also deswegen habe ich versucht, dich umzubringen!« rief Aurian. »O ihr Götter – der Gedanke, daß er mein Bewußtsein beherrscht – meinen Körper benutzt …« Sie wandte sich heftig würgend ab. Anvar bot ihr den Becher mit Schnaps an, aber sie lehnte ab.

»Wie bist du wieder zurückgekommen?« fragte er sie, in der Hoffnung, sie dadurch von der Schreckensvorstellung ablenken zu können.

»Ich weiß nicht – es gab eine Art Stoß, und dann fand ich mich mit meinen Händen an deiner Gurgel wieder.«

»Wo ist er jetzt?« Anvar wurde plötzlich unruhig.

Aurian machte ein mißmutiges Gesicht. »Ich weiß es nicht, und das gefällt mir nicht. Er …«

Eine gewaltige Welle schlug über das Vorschiff und durchtränkte die beiden mit eiskaltem Wasser. Keuchend strich Aurian sich ihr triefendes Haar aus den Augen und blickte sich entgeistert um. Schwarze, brodelnde Wolken brausten über den Himmel und löschten mit unglaublicher Geschwindigkeit einen Stern nach dem anderen aus. Schwere Windböen zerrten an den Segeln, und der Mast knarrte bedrohlich, während sich das Schiff beängstigend weit zur Seite neigte. Mit einem Schrei stürzte der Ausguck von dem sich senkenden Mast und verschwand in den heranwälzenden Wogen. Wieder ging eine besonders schwere See über das Deck, nachdem der Bug des Schiffes in ein tiefes Wellental abgetaucht war. Aurian und Anvar fanden sich im Speigatt wieder – die Gewalt des Wassers hatte sie einfach weggespült. Die Mannschaft kam an Deck, alles, was Beine hatte. »Was, zur Hölle, geht hier vor?« stieß Jurdag schrill hervor. »So schnell kommt doch kein Sturm auf!«

Die Gewalt des Unwetters nahm weiter zu, und damit auch die Höhe der Wellen, die mit dem kleinen Schiff spielten. Noch einmal neigte es sich bedrohlich zur Seite, und Aurian klammerte sich an Anvar, als der nächste Brecher über das Schiff hinwegging.

»Schneidet es los!« röhrte Jurdag, und die Magusch blickte auf, als sie die Panik in seiner Stimme bemerkte. Das triefnasse Hauptsegel saß fest. Der Wind drückte es immer weiter nach unten und drohte, das Schiff zum Kentern zu bringen. Zwei Mann kletterten in die Takelage, um den Befehl auszuführen, aber die nächste haushohe Welle riß sie fort. Der Mast senkte sich noch einmal bedrohlich; das schwere Segel versank fast in den Fluten.

Aurian wußte, daß sie schnell handeln mußte. Sie stand auf und kam irgendwie bis zum Vormast, an den sie sich um ihres Lebens willen so fest wie nur möglich klammerte, während das Schiff unter ihr stampfte und schlingerte. Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte sie, ihre ganze Aufmerksamkeit auf das strapazierte Segel zu richten, aber es war nicht möglich, sich gleichzeitig am Mast festzuhalten und sich auf ihre Magie zu konzentrieren. Sie sah sich nach Anvar um. »Gib mir hier festen Halt«, überschrie sie den brüllenden Sturm. »Halt mich!« Sofort war er an ihrer Seite, legte einen Arm um den Mast und stemmte sich gegen das schräg stehende Deck ab, während er sie mit dem anderen Arm fest um die Taille nahm.

»Jetzt!« Aurian hob ihre Hände, und mit einem Donnerschlag spaltete sich das Segel in der Mitte, riß von oben bis unten durch. Unverzüglich begann sich das Schiff wieder aufzurichten, während sich das Segeltuch in einem Gewirr von Schote, Stagen und Wanten um den Mast wickelte. Der Kapitän stand einen Augenblick lang glotzend da und begann dann, der verbliebenen Mannschaft Befehle zu geben, damit die Trümmer beseitigt und die Vorsegel gerefft wurden. Selbst mit dem kleinen Fetzen Segeltuch am Vormast, das noch oben blieb, trieb der Sturm das Schiff mit mörderischer Fahrt vor sich her.

Anvar ging bis dicht an Aurians Ohr. »Es sieht schlecht aus«, rief er. »Wir müssen Sara herausholen.« Sie klammerten sich fest aneinander, nutzten alles aus, was gerade zur Hand war, taumelten und krochen über das sturmgepeitschte Deck, ständig in Gefahr, von den massiven Brechern über Bord gespült zu werden. Das Wasser war überall. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bevor sie schließlich die Zuflucht ihrer Kabine erreichten.

Die Tür war von einem Haufen Treibgut blockiert, das die hereinkommende See dort aufgehäuft hatte. Aurian fluchte und hob noch einmal ihre Hände.

»Schütz deine Augen!« schrie sie Anvar zu. Und schon flogen Scherben und Splitter umher, als sie die Masse wegblies. Anvar riß die Tür auf, und sie stürzten hinein, gefolgt von einem Schwall eisigen Wassers.

Sara schrie und kletterte in die Koje, als die Flut über den Boden der Kabine gesprudelt kam. Anvar, der sich gegen die Gewalt des Wassers wehrte, versuchte verbissen, aber erfolglos, die Tür zu schließen, bis sich Aurian ebenfalls dagegenwarf. Mit vereinten Kräften konnten sie die Luke schließlich dicht bekommen und verhindern, daß der Ozean ihnen noch mehr Wasser hineinschickte. Nach Luft ringend, blickte Aurian auf die schmutzige Brühe hinab, die an ihren Stiefeln leckte.

»Nun ja«, sagte sie, »die Planken hier hatten Wasser auch bitter nötig.« Gebückt schob sie sich durch die Kabine, bis sie ihren Zauberstab gefunden hatte, den sie sich tief in den Gürtel steckte. »Gehen wir«, sagte sie knapp. »Wir müssen hier raus sein, bevor das Schiff sinkt.«

»Herrin, der Sturm läßt doch sicherlich bald wieder nach?« In Anvars Stimme lag eine unausgesprochene Bitte.

Aurian schüttelte den Kopf. »Nein, Anvar. Dieser Sturm ist Eliseths Werk, und er wird solange toben, bis ihre Kräfte sie im Stich lassen – und das kann noch eine ganze Weile dauern – oder bis das Schiff gesunken ist. Miathan will, daß wir sterben.«

Sara gab einen verängstigten Aufschrei von sich und brach in Tränen aus. Anvar sah mit aschgrauem Gesicht die Magusch an. »Herrin, ich kann nicht schwimmen«, sagte er.