Aurian starrte ihn an; sie konnte nur mit Mühe auf dem stampfenden Schiff ihren Halt wahren. »Was soll das heißen, du kannst nicht schwimmen?« fragte sie.
»Ich kann es nicht. Sara kann es – sie mußte schwimmen lernen, da sie am Fluß lebte –, aber mein Vater hat immer so viel für mich zu tun gehabt, daß ich nicht dazu gekommen bin, es zu lernen.«
Aurian schlug sich verzweifelt vor die Stirn. »Als hätten wir nicht schon genug Probleme!« sagte sie. »Bleib bei mir. Ich werde versuchen, dir zu helfen, aber um ehrlich zu sein, Anvar, ich glaube, der einzige Unterschied wird sein, daß du etwas eher aus diesem ganzen Elend heraus bist als der Rest von uns. In so einer See kann niemand überleben.« Sie war verbittert, mutlos, am Ende.
Ein gewaltiger Donnerschlag über ihnen ließ sie aufspringen, und ein blendender Blitz erhellte das Fenster. Über ihnen gab es ein ohrenbetäubendes Krachen, gefolgt von einem Aufprall, der das gesamte Schiff erschütterte. Die Lampe ging aus, und es wurde stockfinster. Aurian wurde unvermittelt nach vorn geworfen und prallte mit Anvar und Sara zusammen. Sie kroch wieder auf die Füße, hielt sich an der Koje fest, um überhaupt stehen zu können, und formte eine Kugel von Maguschlicht. Der Boden der Kabine fiel jetzt zum Bug des Schiffes hin steil ab. Aurian fluchte. Anvar wurde immer noch von Sara behindert, und die Magusch zog sie von ihm fort, damit er aufstehen konnte. »Beeilt euch«, schrie sie. »Wir müssen schnellstens hier raus!«
Als sie auf Deck kamen, bot sich ihnen ein Bild der Verwüstung. Der Hauptmast war vom Blitz getroffen worden. Er hatte Feuer gefangen und hing zur Hälfte herunter, war in die Verstagung des Vormastes gestürzt, der seinerseits mit seiner Verankerung einen Teil der Decksplanken herausgesplittert und den Vordersteven an der Steuerbordseite zerschmettert hatte. Er ragte jetzt ins Wasser hinaus und brachte das Schiff aus dem Gleichgewicht. Dieses bot inzwischen den heranrollenden Wogen, die es langsam auseinanderrissen, seine Breitseite dar. In das zerschmetterte Vorschiff strömte die See ein. Der Kapitän klammerte sich immer noch verzweifelt ans Steuerrad – eine nutzlose Geste, da das Ruder weit aus dem Wasser ragte.
Das Schiff sank. Während sie noch wie gelähmt dastanden, begann es zu kentern. Das Deck neigte sich immer steiler – sie fielen! Aurian spürte noch, wie Anvar ihre Schulter ergriff, dann aber seinen Griff löste, als sie vom eisigen Wasser verschluckt wurde; sie spürte den Strudel, der sie mit dem sinkenden Schiff in die Tiefe zu ziehen drohte. Die Wassermassen schlugen über ihr in einer Gischt von Schaum zusammen, und verzweifelt ruderte sie mit den Armen, um sich aus dem Gefahrenbereich zu bringen. Aber der Sog war zu stark. Sie hielt den Atem an, während sie nach unten gezogen wurde, und dann war wieder Miathan da. Sie fühlte den Griff seines Willens, der sich mit eisigen Klauen tief in ihr Bewußtsein grub.
Es war zuviel. Während sie so nahe daran war, zu ertrinken, während sie all ihre verbliebenen Kräfte benötigte, um zu überleben, kam er wieder über sie. Aurian spürte, daß eine blutrote Woge von Zorn in ihr aufbrandete. Sie mußte daran denken, wie Finbarr mutig standgehalten hatte; und sie dachte an Forral, der von den verderbten Kreaturen des Erzmagusch brutal dahingeschlachtet worden war. Miathan hatte ihn um einen Tod betrogen, wie er eines Kriegers würdig war. In ihrer blinden Wut keines Gedankens mehr fähig, öffnete sie ihren Mund, um ihn laut zu verfluchen. Salzwasser strömte ihr in den Hals und durchflutete brennend ihre Lungen. Gut, sie würde ihr Bestes tun, um ihn mit sich zu nehmen. Mit einem Ruck riß sie sich aus seinem Griff los, löste ihr Bewußtsein von ihrem Körper und befahl ihren Willen zurück nach Nexis. Da hockte er, wie eine Spinne über seinen Kristall gekauert. Aurian fuhr in den Kristall, konzentrierte die ganze Gewalt ihres Feuerzaubers und schoß einen gebündelten Strahl von Energie in seine Augen. Miathan schrie auf – ein furchtbarer, schmerzhafter Laut – und schlug sich die Hände vors Gesicht. Zwischen seinen Fingern stieg Rauch empor, als er sich geblendet abwendete.
Es hatte nicht gereicht. Verdammt sei meine Schwäche! fluchte Aurian. Während ihr sterbender Körper sie wieder in sich aufnahm, durchlitt sie die Bitterkeit des Versagens. Er lebte noch, das wußte sie. Es gab nur einen Trost, an den sie sich mit den letzten Fasern ihres Bewußtseins klammern konnte: Sie hatte ihn geblendet – seine Augen unheilbar zerstört. Das ist für Forral, du Bastard, dachte sie. Dann umfing sie Dunkelheit.
18
Leviathan
Sie schwamm. Was, zur Hölle, ging hier vor? Das konnte doch nicht der Tod sein – nicht schon wieder ein dunkler, kalter Ozean. Ein inneres Zeitgefühl sagte Aurian, daß nur ein paar Sekunden vergangen sein konnten, seit sie ihr Bewußtsein verloren hatte – und ihr Gefühl trog sie nicht. Dann stellte sie zu ihrem größten Erstaunen fest, daß sie ohne Anstrengung atmete. Unter Wasser atmete! Aurian lachte laut auf. Es klang gedämpft und verzerrt, als die Lungen Wasser durch ihren Mund drückten. Die Legenden hatten also recht. Ein Magusch konnte nicht ertrinken. Ihr Körper mußte die Umstellung von der Luft- zur Wasseratmung instinktiv vorgenommen und ihre Lungen dem neuen Medium angepaßt haben. Ich wette, davon weiß Miathan nichts, dachte sie triumphierend. Er wird denken, daß ich tot bin, und da ich dafür gesorgt habe, daß er sich zunächst einmal ums ich selbst kümmern muß, wird er auch nichts anderes argwöhnen. Bei den Göttern, ich hoffe, daß er sich in Schmerzen windet.
Dann fielen ihr Anvar und Sara wieder ein. Ihre Lungen würden sich nicht anpassen. Sie würden ertrinken. Sie machte kehrt und wandte sich wieder den umhertreibenden Wrackteilen des unseligen Schiffes zu, tauchte dort nach ihnen und versuchte den quälenden Gedanken zu ignorieren, daß es wahrscheinlich nutzlos war. Aber sie hatte Vannor versprochen, daß sie auf Sara achtgeben wollte, und sie selbst, Aurian, war es ja gewesen, die Anvar die ganze Geschichte eingebrockt hatte. Sie mußte es also versuchen. Aber es war unmöglich, unterhalb der dunklen Wellen irgend etwas zu erkennen. Selbst mit ihrer angeborenen Nachtsichtigkeit konnte sie diese Trübnis nicht durchdringen. Sie wünschte sich, wie die Wale zu sein, deren Fähigkeit zu besitzen, Formen auch in den schwärzesten Tiefen wahrzunehmen … Natürlich! Sie tauchte unter und begann zu singen; ein Gesang, den sie erst heute gelernt hatte, den sie aber schon ihr ganzes Leben gekannt zu haben schien. Sie rief in ihren Gedanken die Leviathane und bat sie um Hilfe. Und zu ihrer Erleichterung antworteten sie.
Sie waren in erstaunlich kurzer Zeit bei ihr und durchkämmten das mit verstreuten Trümmern überzogene Wasser nach dem, was sie suchte. Einer von ihnen nahm sich ihrer an; seine ungeheure Körpermasse machte sie zum Zwerg, während er neben ihr herschwamm. Sie erkannte ihn an seinen Gedankenmustern als den Vater des Walkindes, das sie gerettet hatte. Seine tiefe, freundliche Stimme hallte in ihren Gedanken wieder. »Ich habe den Mann. Meine Gefährtin sucht die andere Frau. Kannst du auf meinen Rücken klettern, Kleine? Der Mann braucht Hilfe.«
Aurian dankte ihm und schwamm zur Wasseroberfläche, über die der Wal mit seinem breiten Rücken gerade eben herausragte. Sie kletterte mit einigen Schwierigkeiten hinauf, hoffte, daß sie ihm dabei nicht weh tat, und hatte gerade noch Zeit, sich von der Wärme seiner glatten Haut, die sie unter ihren Händen spürte, überraschen zu lassen, bevor sie anfing zu keuchen und zu würgen und keine Luft mehr bekam. Sie ertrank – ertrank in Luft!
Diesmal verlor Aurian nicht das Bewußtsein, obwohl die panikerfüllten Augenblicke, während derer sich ihre Lungen anpaßten, eine Ewigkeit zu dauern schienen. Sie versuchte, bewußt zu empfinden, was da vorging, denn sie wußte, daß sie diese Kenntnisse eines Tages vielleicht nötig haben würde.
»Hast du darüber nachgedacht, welche Konsequenzen das hat?« Die Worte, die sie einst an Finbarr gerichtet hatte, standen ihr beeindruckend klar vor Augen, während sie würgte und spuckte.