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Die Magusch schaute sich benommen um. Sie war kalt und entkräftet, aber erleichtert, wieder normal zu atmen. Sie lag auf dem breiten, von Rankenfüßerkrebsen überzogenen Rücken des Wales, der sich sanft in einer wieder fast ruhigen See wiegte. Und da war auch Anvar, der steif und bewegungslos nicht weit von ihr entfernt lag. Vorsichtig balancierend, kroch sie zu ihm hinüber. Er fühlte sich kalt an – sehr kalt – und atmete nicht. Aurian überlief ein eisiger Schauder. Kam sie zu spät?

Sie versuchte, ihn mit den besonderen Sinneswahrnehmungen, die sie als Heilerin beherrschte, zu erforschen – und stellte zu ihrem Schrecken fest, daß sie dazu nicht in der Lage war. Kälte und Erschöpfung hatten ihren Tribut gefordert, und sie hatte den letzten Rest ihrer Kräfte in ihren Angriff auf Miathan gelegt. Die Anstrengung, mit dem Leviathan Kontakt aufzunehmen, hatte sie dann völlig ausgezehrt. Aurian fluchte und schlug sich unwillig mit der Faust auf den Schenkel. Jetzt, da die Not am größten war, ließ ihr Körper sie im Stich! Bevor sie nicht durch Nahrungsaufnahme und Ruhe wiederhergestellt war, würde sie nicht fähig sein, die intensiven Energien aufzubringen, die sie zum Heilen benötigte.

Aurian versuchte, ihrer Panik Herr zu werden, und dachte krampfhaft nach. Es mußte einfach eine Alternative geben. Sie dachte an Meiriels Anweisungen für diesen Notfall und drehte Anvar auf den Bauch, drückte immer wieder fest auf seinen Rücken. Ein Rinnsal von Wasser ergoß sich aus seinem Mund, aber er atmete immer noch nicht. Aurian drückte fester; die Anstrengung erwärmte sie trotz des eisigen Windes. »Atme! Wirst du wohl!« Sie ermüdete rasch; kalter Schweiß rann ihr übers Gesicht.

Am Ende, als die Magusch der Verzweiflung nahe war, hob sich Anvars Brust einmal, dann noch einmal Er hustete und übergab sich, spuckte Seewasser aus und sog in tiefen, hastigen Zügen Luft in seine Lungen; seine weit aufgerissenen Augen starrten über die sich beruhigende See und den gewaltigen, rundlichen Rücken des Wales. Er kämpfte in Aurians Armen und versuchte zu sprechen, aber er brachte nur ein Würgen hervor.

»Langsam, Anvar. Gleich wird es dir besser gehen.« Mitfühlend erinnerte sich Aurian an die furchteinflößenden Augenblicke, die sie selbst auf dem Rücken des Wales erlebt hatte, bevor sich ihre Lungen wieder daran gewöhnt hatten, Luft zu atmen. »Ruh dich eine Minute aus und schöpfe etwas Luft; währenddessen kann ich dir erzählen, was passiert ist. Anvar, die Wale sind nicht einfach wilde Tiere – es sind intelligente Wesen. Ich kann in meinen Gedanken mit ihnen reden, und dieser hat dein Leben gerettet …«

Anvar unterbrach sie. »Sara?« fragte er mit schwacher, heiserer Stimme.

Aurian schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, Anvar. Warte ab, ich werde …«

»Warum haben sie Sara nicht gerettet?« Schroff und anklagend schnitt er ihr das Wort ab. »Hast du sie gebeten, es zu versuchen?«

Aurian spürte, wie empörter Zorn in ihr aufstieg. Was denn? Dieser elende, undankbare … Er hatte nicht daran gedacht, wie nahe sie daran gewesen war, ihr eigenes Leben zu verlieren, oder dafür gedankt, daß seins gerettet wurde. Für einen Augenblick schweiften ihre Gedanken zurück zu jener furchtbaren Nacht auf dem Fluß, als sie ihn in ihrer Trauer über Forral geschlagen hatte. Vielleicht tat Anvar nun das gleiche – aber nein. Er hatte sie eine Mörderin genannt, und die Erinnerung daran schmerzte immer noch. Unerträglich gereizt durch diesen neuen Beweis seines Mangels an Vertrauen in sie, konnte sie nur noch verärgert reagieren. Das reicht, dachte sie. Wenn wir an Land kommen, bin ich mit ihm fertig!

»Arger, Kleine?« Der warme Klang der Stimme des Wales hallte vorwurfsvoll durch ihre Gedanken.

»Die dritte, die noch zu uns gehörte, ist verschwunden, Mächtiger«, erklärte Aurian. »Der Mann gibt mir die Schuld.«

»Er gibt dir die Schuld?« Ironischer Humor unterlegte die Gedanken des Giganten. »Er muß große Stücke auf dich halten, daß er dich für fähig hält, solche Dinge zu vollbringen!«

Als Aurian erst einmal ihre Überraschung über diese Bemerkung überwunden hatte, verneinte sie schnell. »Ich fürchte, nein, Mächtiger. Soweit es mich betrifft, scheint er voller Zweifel zu sein.«

Der Leviathan lachte. »Kleine, wenn wir an uns selbst sehr zweifeln, dann ist es oft tröstlicher für uns, diese Zweifel auf andere zu übertragen. Der Mann wird es schon lernen mit der Zeit. Und was seine vermißte Freundin anbelangt, so kannst du ihm sagen, daß er nichts befürchten muß. Sie ist bei meiner Schwester sicher aufgehoben, und sie werden noch vor uns Land erreichen. Dafür hat er dir zu danken.«

So, wie Aurian es erwartet hatte, hellte sich Anvars Miene bei dieser Neuigkeit auf. Aber als er in überschäumender Freude seine Arme ausstreckte, um sie an sich zu drücken, wandte sie sich verärgert ab.

»Bleib weg von mir!« sagte sie scharf. »Du hast es ausreichend klargemacht, was du wirklich von mir hältst. Sobald wir an Land kommen, seid ihr auf euch selbst gestellt – du und dieser selbstsüchtige kleine Dummkopf –, und ich wünsche dir viel Spaß mit ihr, Anvar, denn eines Tages wird sie dich genauso betrügen, wie sie den armen Vannor betrogen hat!«

Anvars Gesicht verdüsterte sich. »Wie kannst du es wagen, so über Sara zu sprechen?« sagte er. »Du bist von Anfang an unfair zu ihr gewesen. Du hast keine Vorstellung, was sie durchgemacht hat …«

»Nein, und es könnte mir auch nicht gleichgültiger sein. Ich sehe, was aus ihr geworden ist, und das reicht mir. Sie wird dich ausnutzen, du Dummkopf, und dich fallenlassen, sobald es ihr zweckdienlich erscheint. Aber wenigstens werde ich dann nicht mehr dabei sein und es mit ansehen müssen. Ich bin mit euch beiden fertig, und ich hoffe, daß ich euch nie wiedersehen werde.«

Wütend, wie sie war, ließ Anvars Gesichtsausdruck Aurian dennoch innehalten. Sie hatte ihn nie so verärgert gesehen. »Das paßt mir gut!« gab er hitzig zurück. »Ich habe bemerkt, daß du nichts dagegen hattest, mich in den letzten paar Jahren auszunutzen. Nun, ich will dir eins sagen, Herrin – ich bin die längste Zeit Sklave der verdammten Magusch gewesen! Von heute an werden Sara und ich unseren eigenen Weg gehen – ohne daß du dich einmischt.«

An diesem Punkt mischte sich jedoch der Wal ein und sagte, daß der Arger, der von ihren Gedanken ausginge, ihm großen Kummer bereitete. Aurian, die sofort alles bereute, entschuldigte sich bei der massigen Kreatur. Sie setzte sich so weit weg von Anvar, wie es der breite Rücken des Leviathan erlaubte, und machte es sich zum ersten Mal seit Tagen bequem, um sich auszuschlafen. Merkwürdigerweise brauchte sie lange, um einzuschlafen. Sie hatte Forrals dicken Umhang bei dem Schiffbruch eingebüßt, und ihre nassen Kleider klebten an ihr wie eine Schicht von Eis. Die Magusch mußte sich eingestehen, daß sie sich am liebsten mit Anvar zusammengerollt hätte, so daß sie sich wenigstens den armseligen Rest von Wärme teilen konnten, der ihnen geblieben war.

Ein verstohlener Blick verriet ihr, daß er sich an seinem Platz zusammengekauert hatte, offensichtlich zitterte, aber keine Anstalten machte, auf sie zuzugehen. Gut, ich werde ihn nicht fragen, dachte Aurian. Wenn er warm werden will, dann muß er schon herkommen.

So blieb sie also, wo sie war, von nichts anderem aufrecht gehalten als von ihrem sinnlosen, störrischen Maguschstolz. Aber schließlich forderte die Erschöpfung ihren Tribut.

In der Morgendämmerung erreichten sie Land. Der Himmel hatte sich zu seinem blassesten Blau aufgeklärt. Das Meer war spiegelglatt und die Luft überraschend warm. Aurian erwachte noch unausgeschlafen und mit verquollenen Augen. Vor ihr lag ein silberglänzender Strand von feinem Sand, der hier und da von gezackten Felsblöcken unterbrochen wurde. Dahinter erstreckte sich ein üppiger, dichter Wald aus ihr gänzlich unbekannten Pflanzen, der von hohen, sich landwärts steil auftürmenden Felswänden aus grauem Gestein überragt wurde. Die seidenweiche, mit Wohlgerüchen erfüllte Luft vibrierte von den schrillen Rufen fremdartiger Kreaturen unter der dichten Decke des Waldes. Es traf Aurian wie ein Schock. Dies war keine Küste des Nordkontinents.