Sie hatte offensichtlich das Richtige gesagt, denn Anvar lächelte wieder. »Das werde ich übernehmen. Das habe ich in der Küche an der Akademie gelernt.«
Sara überlief es kalt. Sie wünschte sich, er würde sie nicht ständig daran erinnern, daß er ein leibeigener gewesen war. Als Vannors Ehefrau hatte sie sich daran gewöhnt, Diener zur Hand zu haben, und sie hatte aufgehört, sie als Menschen wahrzunehmen. Sie waren einfach, nun ja, da – höflich, anonym und immer zur Verfügung. Irgendwie gab es ihr das Gefühl von Unsauberkeit, nun mit einem von ihnen zu schlafen. Nur um ihrer Ziele willen konnte sie sich damit abfinden.
Sie wandte sich wieder Anvar zu und bedachte ihn mit ihrem strahlendsten Lächeln, das bei Vannor immer seinen Zweck erfüllt hatte. »Es ist eine gute Sache, daß wenigstens einer von uns praktisch veranlagt ist«, sagte sie. »Ich fürchte, ich bin ein hoffnungsloser Fall. Weißt du, wie man Feuer macht?«
Vor seinem unglücklich verlaufenen Versuch, Fische zu fangen, hatte Anvar seinen Zunder und seinen Feuerstein mit seinem abgelegten Hemd (das mit dem Hemd bereute er bereits zutiefst, da der Sonnenbrand inzwischen seine Wirkung entfaltete) zum Trocknen auf einem glutheißen Felsblock zurückgelassen. Zwischen dem Waldrand und der Hochwassermarke gab es viel Holz, und bald hatte Anvar ein munteres Feuer in Gang gebracht. Mit Aurians Dolch nahm er den Fisch aus und fühlte sich dabei wieder schuldig, denn er wußte, daß sie ihm die Waffe für wichtigere Zwecke als diesen gegeben hatte. Er briet den Fisch auf flachen Steinen am Rand des Feuers, und dann ließen sie ihn sich im Schatten am Bachufer schmecken, wo das üppige Blattwerk sie vor der Sonne schützte.
Anvar erwachte in der kühlen, duftgeschwängerten Abenddämmerung. Der letzte Sonnenstrahl verglühte hinter der hoch aufragenden Felswand. Fledermäuse auf der Jagd nach Insekten, die das Feuer angelockt hatte, flatterten über den Strand. Jetzt, nachdem die Sonne verschwunden war, machten sich ganze Horden von winzigen Krabben über die Reste des Fisches her. Anvar fröstelte, stand schnell auf und verfluchte die feurige Taubheit seines sonnenverbrannten Rückens. Verschlafen versuchte er, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Die langen, zusammen mit Aurian durchwachten Stunden hatten schließlich ihren Tribut gefordert, nahm er an. Er mußte wohl eingeschlafen sein, bevor er mit dem Essen ganz fertig gewesen war. Als nächstes stellte er mit Schrecken fest, daß Sara nicht mehr da war. Besorgt ließ er seine Blicke den Strand entlangschweifen. Sie konnte doch nicht so dumm sein, sich allein auf irgendwelche Erkundungsgänge zu begeben? Er nahm einen Ast von dem Stapel Brennholz, den sie aufgehäuft hatten, entzündete ihn an einem Ende in der Glut und besah sich im Licht der Flamme den Platz, wo sie gesessen hatte. Es waren keine Zeichen eines Kampfes sichtbar, also hatte wenigstens kein Tier aus dem Wald sie erbeutet. Dann sah er ihre Fußspuren, die an den Bach führten und dann in den Wald hinein. Mit einem Fluch folgte Anvar ihnen den Bach entlang in das düstere Dickicht des Waldes hinein.
Der Wald war bei Nacht viel unheimlicher als der smaragdgrün schimmernde Dschungel des hellichten Tages. Wurzeln schoben sich an Anvar heran, um ihn zu Fall zu bringen; Schlingpflanzen – oder waren es Schlangen? – streiften ihm übers Gesicht und erschreckten ihn so, daß er fast die Fackel fallen gelassen hätte. Äste zerrten an seiner Kleidung. Gesichter sprangen zwischen den Bäumen hervor und verwandelten sich in dem flackernden Licht zu Grimassen. Die Laubstreu zu seinen Füßen war feucht vom Tau des Abends, und aus verrottetem Holz wuchsen krankhaft schimmernde Pflanzen hervor, die ihn zu seinem Entsetzen an den Kelch erinnerten, aus dem Miathan seine Todesgeister freigesetzt hatte. Anvar schlug das Herz bis zum Hals; sein Atem ging flach und keuchend. Was war das vor ihm?
Ein seltsames, flackerndes, geisterhaftes Licht. Anvar verlangsamte seine Schritte und schlich vorsichtig auf die Lichtung mit dem kleinen Teich zu. Dann blieb er wie bezaubert stehen.
In dem stillen schwarzen Wasser badete eine Nymphe. Sie hatte helle Haut und goldenes Haar. Sie wurde umgeben und umspielt von einem ganzen Hofstaat vom Himmel gefallener Sterne, die über dem Wasser tanzten und sie mit einem silbernen Glorienschein umgaben.
Anvar hielt den Atem an. Ein abtrünniger Stern kam zu ihm herübergetanzt, und jetzt sah er, daß es ein fliegendes Insekt war, dessen Körper in kaltem, weißem Licht erstrahlte. Dann wandte sich die Nymphe zu ihm um, stand nackt in dem verzauberten Teich, unbeschreiblich schön mit ihrem goldenen Haar, das ihr über die Schultern fiel. Sara.
Anvar war hingerissen und hilflos angesichts dieser überirdischen Schönheit. Er hatte mit ihr schimpfen wollen, weil sie sich in der Nacht allein in den Wald gewagt hatte; hatte ihr ihren Mangel an gesundem Menschenverstand vorwerfen wollen. Statt dessen konnte er nicht anders, als sich unaufhaltsam auf sie zubewegen, ein Schlafwandler im Banne eines flüchtigen Traumes. Er ließ seine ausgebrannte Fackel fallen, riß sich seine Kleider vom Leibe und stieg zu Sara in den Teich.
Sie erstarrte, ein unausgesprochener Protest erstarb ihr auf den Lippen. Dann überließ sie ihr Gesicht mit einem Achselzucken seinen Küssen, und ihre Arme erwiderten seine Umarmung.
Sie liebten sich am Ufer des Teiches. Anvar war voll entbrannt, wurde davongetragen auf den Flügeln der Liebe, der Leidenschaft, der Schönheit Saras und der glühkäferfunkelnden Nacht, die sich zu einem einzigen entrückenden Ganzen vereinigten. Erst im Augenblick seines Höhepunktes spürte er ein beunruhigendes Aufflackern von Unsicherheit, ob Sara wirklich bei ihm war. Ihr Körper ja, natürlich. Er reagierte vorzüglich mit perfekten Bewegungen und allen Geräuschen, die dazugehörten. Aber in dem Augenblick der Explosion öffneten sich ihre Augen, und als er hineinschaute, begriff er, daß Sara selbst weit weg war.
Anvars Körper entspannte sich, und sein Herz hämmerte in schnellem Rhythmus an ihrer Brust. Sara lächelte und fuhr ihm träge mit den Fingern durchs Haar.
Du hast es dir nur eingebildet, dachte er. Eine optische Täuschung wegen der verdammten Leuchtkäfer. Aber seine Freude war dahin, und seine Unbeschwertheit wurde verdrängt von der verzweifelten Erkenntnis, wie sehr er sie brauchte. Von Kindheit an hatte sie zu ihm gehört – und jetzt endlich hatte er sie für sich allein. Die Vorstellung, sie zu verlieren, war unerträglich. Aber zum ersten Mal spürte er einen heimtückischen Hauch von Zweifel wie einen eisigen Finger. Hatte Aurian recht gehabt? Hatte Sara ihren Ehemann Vannor für ihre Zwecke benutzt? Und benutzte sie jetzt ihn?
»Mir ist kalt«, beklagte sich Sara. »Kalt, und es ist mir hier zu schlammig.« Sie verzog ihr Gesicht und versuchte sich unter ihm herauszuwinden. »Jetzt muß ich noch einmal baden!«
Mit einem Seufzer gab Anvar sie frei und folgte ihr zu einem Bad im Teich. Die unerwartete Kälte des Wassers ließ jetzt, da er wieder in der Lage war, dergleichen wahrzunehmen, die letzten Reste des Zaubers, der über der Nacht gelegen hatte, so schnell verschwinden, wie er gekommen war.
Wortlos gingen sie zurück zum Strand, wo Anvar aus der verbliebenen Glut erneut ein gewaltiges Feuer entfachte.
»Ich habe wieder Hunger«, sagte Sara. Aber die Reste des Fisches waren von den Krabben davongeschafft worden, und Anvar wußte, daß es keine Möglichkeit gab, in der Dunkelheit etwas zu essen zu finden.
»Versuch zu schlafen«, sagte er. »Wir werden morgen früh etwas finden.«
»Und was ist danach?« verlangte sie zu wissen. »Wir können ja nicht für ewig in dieser furchtbaren Wildnis bleiben.«
Für Anvar war es ein Paradies, wenn er einmal den Sonnenbrand außer acht ließ, aber vermutlich hatte sie recht. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Wenn wir morgen den Felsen hinaufsteigen …«