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Diese letzte aller Waffen wurde für zu gefährlich erachtet, als daß man das Risiko eingehen konnte, sie in die falschen Hände geraten zu lassen. Ein Seher des Drachenvolkes sagte eine Zeit voraus, in der das Schwert gebraucht werden würde, um die Welt vor dem Bösen zu retten, aber diese Zeit lag unvorstellbar weit in der Zukunft. Unter seiner Anleitung wurde das Schwert allein für den Einen geschaffen. Die Klinge selbst verfügte über ein geheimnisvolles Wissen und würde die Hand erkennen, für die sie geschaffen war, und um das Risiko noch weiter zu verringern, wurde sie in einem großen, unvergänglichen Kristall versiegelt. Um das Schwert zu erlangen, mußte der Eine einen Weg finden, die Klinge daraus zu befreien. Als das alles getan war, versteckten die Drachenleute das Schwert dort, wo es niemand finden konnte, und die wenigen, die davon wußten, nahmen sich selbst das Leben. So erlosch jede Kenntnis vom Schwert der Flamme.

Aurian blinzelte und sah das erste Licht des Morgens auf dem Silber der Lagune. Jede Einzelheit des Traumes hatte sich klar und deutlich in ihr Bewußtsein eingeprägt. Sie fröstelte in der leichten Kälte des Morgengrauens und streckte ihre Arme und Beine aus, die steif geworden waren und schmerzten, da sie auf nacktem Fels gelegen hatte. Sie richtete ihre Kräfte nach innen und vergewisserte sich des winzigen Fünkchens Leben in ihr – ihres und Forrals Kindes. Ach, Forral! Würde sie jetzt für den Rest ihres Lebens jeden Morgen beim Aufwachen von der trostlosen Erkenntnis niedergeschmettert werden, daß er für immer von ihr gegangen war? Aber das Kind – ihr gemeinsames Kind – schien wohlauf zu sein. Es schlief sicher und zufrieden in ihr, und Aurian betete dafür, daß das so bliebe. Dann sah sie die dunkle Masse von Ithalasas Körper an die Wasseroberfläche kommen, und alle anderen Gedanken waren sofort verschwunden.

»Ist es gutgegangen, Vater?« fragte sie ihn und versuchte, ihre gedankliche Stimme nicht allzu bedrängend klingen zu lassen. »Was hat dein Volk gesagt?«

Er lachte – sie hörte es ganz deutlich in ihrem Kopf. »Dummes Kind – denk einmal nach! Du kennst die Antwort schon.«

»Ich kenne sie schon?« Aurian, die früh morgens nie in bester Verfassung war, staunte.

Ithalasa lachte noch einmal. »Natürlich kennst du sie. Die Hälfte von dem, was du wissen wolltest, hast du bereits erzählt bekommen!«

»Mein Traum! Natürlich!« Aurian lief voller Erregung den Strand hinunter und tauchte in das kalte Wasser ein, um ganz nah an den massigen Kopf des Leviathan heranzuschwimmen. Sie wünschte sich, daß er nicht zu groß gewesen wäre, um ihn zu umarmen. Er zwinkerte mit seinem ihr zugewandten, hellen, tiefen Auge.

»Wir haben gedacht, das wäre der beste und schnellste Weg«, sagte er.

»Ach, vielen Dank, Großer«, keuchte Aurian. »Ich danke dir von ganzem Herzen!«

Ithalasa seufzte. »Es war keine leichte Entscheidung, und wir beten dafür, daß es die richtige war. Ich bitte dich, Tochter – wenn du deine Aufgabe erfolgreich bewältigt hast, dann vergiß nicht die Eide, die du mir geschworen hast. Wir möchten nicht, daß durch das, was wir heute tun, ein Tyrann geboren wird.«

Aurian wurde wieder nüchtern. Jetzt, da sie selbst die ganze Breite und Fülle der Gewalten geschaut hatte, mit denen sie es vermutlich zu tun bekommen würde, verstand sie nur allzugut, welch großes Vertrauen die Leviathane in sie gesetzt hatten.

Wassertretend streckte sie die Arme aus, um Ithalasas knotigen Kopf zu berühren. »Ich verstehe, Vater. Ich werde dich nicht enttäuschen, das schwöre ich.«

Ithalasa half ihr wieder, sich Fisch zum Frühstück zu fangen. Aurian hatte einen halben Tag und die ganze Nacht geschlafen und war jetzt, heißhungrig; ihr Körper stellte sich schon auf die Bedürfnisse des Kindes ein, das sie in sich trug. Während sie aß, setzte sie ihre Unterhaltung mit dem Leviathan fort.

»Vater, ich bin verwirrt«, sagte sie. »Ich wußte gar nicht, daß es vier Rassen der Magusch gibt. Auf der Akademie hat man uns beigebracht, daß wir die einzigen Magusch sind. Wir nennen uns selbst die Magusch oder das Maguschvolk und nicht Zauberer, so wie wir es früher gemacht haben – nach dem, was du mir erzählt hast. Was ist denn mit den anderen Rassen passiert? Warum haben wir nichts von euch gewußt? Und wo sind die Waffen geblieben?«

»Ah! Das ist, wie man so sagt, eine Geschichte für sich, und in der sind die Antworten auf alle deine Fragen unauflösbar miteinander verbunden. Es ist die tragische Geschichte der Verheerung, die ich dir zu meinem Leidwesen als nächstes erzählen muß.«

Aber Aurians Gewissen rührte sich. Seit sie sich – nachdem Ithalasa sie ausgelesen hatte – ihrer Fehler ganz bewußt war, hatte ihr Zorn auf Anvar nachgelassen und sich in ein erstickendes Schuldgefühl verwandelt. Sie wußte, wie ihre Arroganz ihn verletzt hatte, und sie hatte keine Vorstellung, was wirklich hinter dieser Affäre mit Sara steckte, über die sie sich so bitter entzweit hatten. Sie waren beide im Unrecht gewesen, aber wie oft hatte Forral ihr eingeschärft, niemals ihre Kameraden im Stich zu lassen, ganz gleich, was geschah t Aurian war beschämt, und ganz abgesehen davon, gab es eine mahnende Stimme in ihrem Inneren, einen Instinkt, der sie drängte, sofort zu Anvar zurückzukehren. Es gab nichts daran zu rütteln. Ganz gleich, wie sehr es sie auch ärgerte, sie mußte zurück zu den beiden. Diese Idioten würden allein niemals zurechtkommen, und sie hatte Vannor versprochen, daß sie sich um sein verflixtes, treuloses Weib kümmern würde.

»Weiser, bevor du mir davon erzählst, muß ich meine Gefährten finden. Ich hätte sie nicht allein zurücklassen dürfen, und ich fürchte, daß sie schon in Schwierigkeiten sind.«

Ithalasa seufzte. »Ach, Kleine, habe ich dir nicht gesagt, daß du die Weisheit noch lernen würdest? Aber jetzt, so fürchte ich, mußt du noch etwas anderes lernen – nämlich, dich zwischen einer weniger wichtigen und einer wichtigeren Sache zu entscheiden. Ich kann das Wagnis nicht eingehen, dir den Rest der Geschichte erst später zu erzählen. Obwohl ich das Einverständnis meines Volkes dazu gewonnen habe, gab es doch viele Zweifel. Und jeder von uns kann jederzeit seine Meinung ändern, und selbst wenn das nur einer tut, darf ich dir nichts weiter erzählen. Aus diesem Grund müssen wir so schnell wie möglich handeln. Die Geschichte der Verheerung ist lang, und es hat auch keinen Sinn, wenn wir uns bei Nacht auf die Reise begeben. Außerdem bist du immer noch erschöpft, und wegen des Kindes, das du in dir trägst, benötigst du nach einer so intensiven Gedankenübertragung zunächst einmal Ruhe. Wenn du die Geschichte hören willst, dann können wir erst morgen nach deinen Freunden suchen.«

Aurian biß sich auf die Lippen. Sie saß gefangen in einer Zwickmühle zwischen ihrem Gewissen und ihrem Verstand, der ihr sagte, was jetzt dringend notwendig war. Sie mußte den Rest der Geschichte hören. Die Zukunft der Welt hing vielleicht davon ab. Und Anvar und Sara waren doch bestimmt noch wohlauf, oder? Ithalasa hatte sie an einem sicheren Platz abgesetzt. Aber diese innere Stimme ließ sich nicht zum Schweigen bringen, und sie sagte ihr, daß sie es falsch machte. Aurian schüttelte den Kopf und rang mit sich. Schließlich traf sie ihre Entscheidung. Ich muß hierbleiben und das Ende der Geschichte hören – das ist zu wichtig, als daß ich darauf verzichten könnte. Und wenn ich herausgefunden habe, was ich wissen muß, dann werde ich mich auf den Weg zur Anvar und Sara machen.

Ithalasa wartete so nahe vor der Küste, wie es ihm möglich war, und schwieg – seine Gedankenverbindung zu Aurian war unterbrochen –, bis sie ihr Dilemma gelöst hatte und sich ihm wieder zuwandte. »Also gut«, sagte sie, »ich werde bleiben und hören, was du mir zu erzählen hast.«

»Das ist richtig, glaube ich. Du wirst das Wissen wiedererlangen, das dein Volk vor langer Zeit verloren hat. Mache weisen Gebrauch davon, Kind.« Und dann kamen Ithalasas Gedanken wieder in einer überwältigenden Flut über sie, füllten ihr Bewußtsein mit Worten und Visionen aus, die sich vor ihr entfalteten und sie zur Zeugin der Schrecken und Tragödien lange vergangener Zeiten werden ließen.