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Mark fuhr mit einer entsetzten Bewegung herum.

Er war tatsächlich nicht mehr allein, doch hinter ihm stand keine Schimäre, sondern die Schwester vom Empfang. Sie mußte gelaufen sein, um den Aufzug noch zu erwischen, denn sie war ein bißchen außer Atem, und irgendwie wirkte sie auch erschrocken, ihn zu sehen. Vielleicht nicht einmal ihn. Vielleicht war da etwas in seinem Gesicht, das sie erschreckte. Mark hatte den Schrei, der aus seiner Kehle entweichen wollte, gerade noch unterdrücken können, aber sein Herz raste jetzt wie wild, und er war nicht sicher, ob er sein Gesicht weit genug unter Kontrolle hatte, um das Entsetzen zu verbergen, das ihn gepackt hatte.

Sonderbarerweise erleichterte es ihn im ersten Augenblick überhaupt nicht, statt eines zum Leben erwachten Alptraums die junge Krankenschwester zu sehen. Ganz im Gegenteil hämmerte sein Herz plötzlich noch wilder, und seine Hände begannen so heftig zu zittern, daß er sie zu Fäusten ballte, um sie überhaupt ruhig halten zu können.

Schwester Beate blickte ihn einen Moment lang irritiert an, dann drehte sie sich mit einer hastigen Bewegung um und drückte einen Knopf auf der Schalttafel neben der Tür. Der Lift setzte sich in Bewegung.

Marks Gedanken rasten. Was geschah mit ihm? Was um alles in der Welt geschah mit ihm?!

Vielleicht hatte er ein Geräusch gemacht, vielleicht spürte sie seine Nervosität aber auch einfach, denn plötzlich drehte sich Schwester Beate herum und sah erneut und auf die gleiche erschrockene Art irritiert zu ihm hoch. Mark fiel erst jetzt auf, wie klein sie war, und wie zerbrechlich - allerhöchstens ein Meter sechzig und so schlank, daß sie ohne die weiße Schwesterntracht und das dazugehörige Häubchen wie ein Kind ausgesehen hätte.

»Na - immer noch sauer?« fragte er. Seine Stimme zitterte so sehr, daß aus dem beabsichtigten lockeren Tonfall eher das Gegenteil wurde.

»Sauer? Warum sollte ich das sein?«

»Wegen vorhin.« Mark machte eine erklärende Geste zur Tür. »Es tut mir leid. Ich war vielleicht ein bißchen grob zu Ihnen.«

»Das macht nichts«, antwortete sie; zu schnell und mit zuviel Nachdruck, um ihn zu überzeugen.

»Ich möchte mich entschuldigen. Ich war einfach...« Er suchte nach Worten und rettete sich schließlich in ein Achselzucken. Nichts von dem, was er bisher gesagt hatte, klang irgendwie überzeugend. Offenbar war er schon wieder dabei, es noch schlimmer zu machen. Vielleicht sollte man an Tagen, die damit anfingen, daß man von einem Gespenst gejagt wurde, besser mit überhaupt niemandem reden.

»Ist schon gut«, sagte Beate. Sie sah ihn weiter ernst, aber jetzt auch beinahe ein wenig mitfühlend an. »Es muß sehr schlimm gewesen sein.«

»Was?« fragte Mark.

»Ihre Mutter«, erklärte sie. »Es scheint Sie sehr mitgenommen zu haben, sie so zu sehen.«

Obwohl das nicht der Grund für seine Blässe und das Zittern seiner Hände war, verspürte Mark doch ein heftiges Gefühl von Dankbarkeit. Dieses Mädchen war vielleicht keine gute Menschenkennerin, aber offenbar ein sehr mitfühlendes Wesen, und im Augenblick konnte er jedes bißchen Mitleid gut gebrauchen.

»Es ging«, sagte er ausweichend. »Es war schon schlimmer. Aber heute...«

Der Lift hielt an, und Mark wartete, bis sie die Kabine verlassen hatten, ehe er fortfuhr: »Mein grober Ton tut mir wirklich leid. Kann ich irgend etwas tun, um es wiedergutzumachen?«

Beates Antwort überraschte ihn. Sie blieb stehen und sah ihm eine Sekunde lang ernst in die Augen, dann lächelte sie plötzlich und nickte. »Ich habe in zehn Minuten Pause. Sie könnten mich in die Cafeteria begleiten und mich zum Frühstück einladen.«

Das überraschte ihn noch mehr. Es war nur eine rhetorische Frage gewesen, auf die er natürlich eine ebenso rhetorische Antwort erwartet hatte. Aber warum eigentlich nicht? Er brauchte jetzt einen Menschen, mit dem er reden konnte; vielleicht nicht einmal über seine Probleme, sondern einfach so, nur jemanden, der da war und zuhörte, und vielleicht war ein Fremder dazu besser geeignet als jeder andere.

»Gern«, sagte er. »Ich sage nur noch dem Taxifahrer Bescheid, daß es noch einen Moment dauert. Gehen Sie ruhig schon vor. Ich kenne den Weg zur Cafeteria.«

Schnell, ehe sie vielleicht ihren eigenen Mut bedauern und es sich anders überlegen konnte, durchquerte er die Halle und verließ das Gebäude. Er mußte einen Moment nach dem Taxi suchen - der Fahrer hatte den Wagen gewendet und am Ende der Einfahrt geparkt, und als er Mark im Rückspiegel mit weit ausgreifenden Schritten heraneilen sah, faltete er seine Zeitung zusammen und ließ den Motor an. Er war nicht besonders begeistert, als Mark ihm erklärte, daß er sich noch weiter in Geduld fassen müsse. Die Anzeige auf dem Taxameter hatte die fünfzig Mark, die Mark ihm gegeben hatte, bereits weit überschritten, aber seine Barschaft war so gut wie aufgebraucht. Er wollte schließlich nicht in die Verlegenheit geraten, die Schwester darum bitten zu müssen, das Frühstück zu bezahlen, zu dem er sie eingeladen hatte - und womöglich sein eigenes dazu. Also erklärte er dem Fahrer so selbstbewußt, wie er konnte, daß es noch eine Viertelstunde dauerte, und hoffte, daß die Adresse, die er ihm beim Antritt ihrer Fahrt genannt hatte, dessen Zweifel zerstreuen würde. Ganz gelang es ihm offensichtlich nicht, aber Mark gab ihm gar keine Chance, irgendwelche Einwände zu erheben, sondern drehte sich auf dem Absatz herum und ging wieder zurück zum Haus.

Dabei blieb sein Blick für einen Moment an einem Wagen hängen, der draußen auf der Straße geparkt war. Es war ein ganz normaler, durchschnittlicher Wagen; ein weißer Kombi, dessen Typ er nicht genau erkennen konnte - möglicherweise ein Japaner, vermutete er -, aber irgend etwas daran irritierte ihn. Genauer gesagt: darin. Er konnte die Gesichter hinter der Windschutzscheibe nicht erkennen, dazu war der Wagen zu weit entfernt, aber er sah sie als helle ovale Flecken, und das bedeutete, daß sie in seine Richtung blickten.

Beobachteten sie ihn?

Unsinn. Wer immer diese Männer waren - wenn es Männer waren -, sie saßen bestimmt nicht dort drüben im Wagen und observierten ihn. Er fing wohl allmählich wirklich an, Gespenster zu sehen. Mark schritt schneller aus, öffnete die Tür und schlüpfte so rasch hindurch, wie er konnte.

Die Cafeteria befand sich in einem Anbau auf der rückwärtigen Seite des Gebäudes, der fast vollkommen aus Glas und Chrom bestand. Mark war schon oft hiergewesen, aber noch nie so früh, und deshalb bot sie im ersten Augenblick einen ungewohnten, fast fremden Anblick. Er kannte diesen Raum voller Menschen - Patienten und Ärzte, Besucher und Schwestern, manchmal so viele, daß ›Die Reise nach Jerusalem‹ zu einem beliebten und manchmal ziemlich verbissen geführten Spiel zu werden schien, aber jetzt war es dort fast leer. Außer Schwester Beate befanden sich nur noch zwei stämmige Krankenpfleger in dem großen, hellen Raum. Mark kannte einen von ihnen. Er nickte ihm flüchtig zu und ging dann zu dem Tisch am Fenster, an dem Beate Platz genommen hatte. Sie hatte sich bereits einen Kaffee besorgt und studierte scheinbar interessiert die Karte, was Mark ein wenig wunderte. Er kam nicht oft hierher, doch selbst er kannte die Speisekarte bereits auswendig. Sie wechselte nie; von den Preisen vielleicht einmal abgesehen.

»Schon was gefunden?« fragte er, während er Platz nahm.

Sie ließ die in Plastik eingeschweißte Karte mit einer fast erschrockenen Bewegung sinken und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich lasse es bei einem Kaffee«, sagte sie. »Mir ist gerade aufgefallen, daß ich gar keinen richtigen Appetit habe.«

Natürlich stimmte das nicht. Viel wahrscheinlicher war ihr aufgefallen, daß ihre impulsive Antwort auf Marks vielleicht nicht ganz ernst gemeinte Frage leicht als aufdringlich mißverstanden werden konnte, und sie versuchte jetzt, das Beste aus der Situation zu machen. Er könnte sie direkt darauf ansprechen, überlegte Mark, und sie damit ein bißchen in Verlegenheit bringen. Darin hatte er ja mittlerweile Übung.