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»Wie alt sind Sie eigentlich?« fragte er, um seine Verlegenheit zu überspielen, aber auch aus wirklichem Interesse.

»Siebzehn - warum?«

Mark lachte. »Dann bin ich gerade mal ein Jahr älter. Warum lassen wir also das blöde Sie nicht? Ich heiße Mark.«

Wer baggerte jetzt eigentlich wen an? Zumindest war es ihm schon wieder gelungen, sie in Verlegenheit zu bringen. Möglicherweise hatte er mehr in ihren Blick und ihre vertraute Geste hineingedeutet, als darin war.

»Na ja - warum nicht?« sagte sie unsicher. »Eigentlich nennt mich sowieso jeder Schwester Beate. Kein Problem, das Schwester wegzulassen.«

»Du bist also seit drei Monaten hier?« fragte Mark.

Sie nickte verblüfft. »Stimmt. Aber woher - ?«

»Die Rühreier«, erinnerte Mark. »Ich bin ein aufmerksamer Zuhörer.«

»Das scheint mir auch so. Ganz im Gegensatz zu mir, fürchte ich. Sie sind - du bist - wirklich erst achtzehn?«

»Und auch das erst seit heute«, bestätigte Mark. Beates Überraschung wunderte ihn kein bißchen. Er sah sehr viel älter aus, als er war, was zum Teil an seiner Größe lag, zum weitaus größeren Teil aber an der Bitterkeit, die sich im Laufe der letzten Jahre tief in sein Gesicht eingegraben hatte. Und manchmal hatte er das Gefühl, nicht nur wie fünfundzwanzig auszusehen, sondern es auch schon seit mindestens zehn Jahren zu sein.

Er konnte sich kaum erinnern, jemals wirklich ein Kind gewesen zu sein. Sein Vater hatte ihm weit mehr angetan, als ihm sein Elternhaus und die Liebe seiner Mutter vorzuenthalten. Er hatte ihm seine Jugend gestohlen. Er war nicht erst heute morgen erwachsen geworden, sondern an dem Tag, an dem er ins Internat gekommen war, und das auf eine Art, die sehr bitter gewesen war.

»Heute?«

Er nickte. »Ich habe heute Geburtstag. Seit heute bin ich achtzehn. Ein richtiger, vollwertiger Mensch.«

»Na, dann herzlichen Glückwunsch!«

Mark schnaubte. »Da gibt es nicht viel zu beglückwünschen, fürchte ich«, sagte er. »Ich habe schon angenehmere Tage erlebt.«

»Wieso?«

Die Frage brachte ihn in Verlegenheit. »Ich schätze, ich habe ...ziemlichen Mist gebaut«, gestand er. »Ich war wohl...« Was? Ein bißchen vorschnell? Ein klitzekleines bißchen dumm? Er hob die Schultern und schloß nach einer hörbaren Pause: »Ich habe einen Fehler gemacht.«

»Aber Sie wollen nicht darüber reden.«

»Du«, korrigierte er sie. »Nein, das stimmt nicht. Nur jetzt nicht. Noch nicht.« Dabei stimmte das gar nicht. Wenn überhaupt etwas, dann hatte ihm dieses Gespräch mit Beate eines klargemacht: Er war hierhergekommen, um zu reden. Vielleicht nicht einmal mit seiner Mutter. Aber er hatte das, was er ihr gesagt hatte, einfach irgend jemandem erzählen müssen - bevor er es seinem Vater sagte.

»Vielleicht später«, fügte Mark mit einem Räuspern hinzu. Er sah auf und begegnete einem Lächeln, das vielleicht zum ersten Mal an diesem Morgen wirklich echt wirkte, auf jeden Fall nicht verkrampft. Er löschte es aus, indem er noch einmal den Kopf schüttelte und leise sagte: »Entschuldige. Ich... wollte nicht unhöflich sein. Es ist nur...«

»Schon gut. Das alles geht mich ja wirklich nichts an.«

»Das ist es nicht«, sagte er hastig. »Ich bin einfach nur durcheinander, das ist alles. Und anscheinend habe ich heute ein ganz besonderes Talent, jedem auf die Zehen zu treten, der freundlich zu mir sein will.«

Beate blickte ihn noch einen Moment lang sehr nachdenklich an, dann rettete sie sich in ein ausdrucksloses Lächeln und sah auf die Uhr. »Meine Pause ist vorbei«, sagte sie. »Ich muß zurück, bevor ich Ärger bekomme.«

»Selbstverständlich.« Mark stand auf, zahlte ihre Getränke und rannte fast, um vor Beate an der Tür zu sein und sie ihr aufzuhalten. Er benahm sich ziemlich linkisch, das bewiesen nicht nur der spöttische Gesichtsausdruck der beiden Krankenpfleger, die Beate und ihn jetzt ganz unverblümt anstarrten, sondern auch Beates irritierte Blicke - immerhin stolperte er beinahe über seine eigenen Füße, nur um vor ihr bei einer Tür zu sein, die er nun weiß Gott nicht aufhalten mußte. Anders als das große Portal draußen trug sie den speziellen Bedürfnissen der Bewohner dieses Gebäudes Rechnung und war so leichtgängig, daß selbst ein Kleinkind keine Mühe gehabt hätte, sie zu öffnen.

»Weißt du«, sagte er, während sie den Garten durchquerten und wieder das Hauptgebäude ansteuerten, »eigentlich hast du recht.«

»Womit?« fragte Beate.

Mark seufzte und machte eine flatternde, ausholende Geste. »Es ist ein Scheißtag, wenn man bedenkt, daß ich heute achtzehn werde. Eigentlich sollte man einen solchen Tag anders begehen.«

»Nicht mit einem Besuch im Krankenhaus, meinst du?«

»Zum Beispiel. Man sollte ihn feiern.«

»Und warum tust du es nicht?«

Er lächelte bitter. »Vielleicht, weil ich wenig Grund dazu habe. Und außerdem wüßte ich niemanden, der mit mir feiert.« Er blieb mitten im Schritt stehen und sah Beate mit gespielter Überraschung an. »He - warum feiern wir ihn nicht gemeinsam? Ich könnte dich abholen, wenn deine Schicht vorbei ist, und wir machen einen drauf.«

Einen Moment lang war er davon überzeugt, den Bogen überspannt zu haben. So ganz nebenbei - seine eigenen Worte überraschten ihn jetzt wirklich, denn er hatte eigentlich nur irgend etwas sagen wollen, um den peinlichen Moment zu überspielen. Beate wirkte fast erschrocken. Dann schüttelte sie den Kopf und sagte: »Ich ... glaube nicht, daß das eine gute Idee ist.«

»Ich verstehe«, seufzte er. »Du hältst mich für aufdringlich. Oder hast einen festen Freund.«

»Nein«, antwortete sie. »Keinen Freund. Aber ich... es geht nicht.«

»Warum?«

»Ich wohne hier«, sagte Beate. »Ich habe nur ein kleines Zimmer, zwar für mich allein, aber die Anstaltsleitung sieht es nicht gerne, wenn -«

»Schon kapiert«, unterbrach sie Mark. »Dann hole ich dich nicht ab. Wir können uns unten an der Kreuzung treffen, und wir gehen irgendwohin und trinken ein Bier. Oder essen etwas - keine Rühreier, Ehrenwort.«

»Bestimmt nicht?«

»Ganz bestimmt nicht«, versprach er lachend. »Und keine Angst - wenn du meinetwegen Ärger bekommst, sage ich meinem Vater Bescheid, und er kauft den Laden und schmeißt jeden raus, der dich auch nur schief ansieht.«

9. Kapitel

Die Bilder würden ihm ein Vermögen einbringen. Der leichte Nieselregen, der die ganze Nacht über angehalten und nur am Morgen für eine knappe Stunde ausgesetzt hatte, hatte vor kurzem wieder eingesetzt, und mittlerweile goß es in Strömen. Außerdem war es viel zu kalt für die Jahreszeit, so daß Mogrod mittlerweile nicht nur bis auf die Haut durchnäßt war, sondern auch vor Kälte mit den Zähnen klapperte, aber das störte ihn nicht im geringsten. Ganz im Gegenteil - er war in der Stimmung, laut zu singen, und er grinste so breit über das ganze Gesicht, daß ihn mehr als ein Fahrgast in der U-Bahn erstaunt angeblickt hatte.

Er hatte auch allen Grund für sein Grinsen. Was da in seiner rechten Manteltasche klapperte, war Gold wert, und das in jeder Hinsicht. Die Bilder würden eine Menge Geld einbringen, aber das allein war es nicht. Das war es nicht einmal hauptsächlich. Viel wichtiger als der Scheck, den ihm die Redaktion rüberschieben durfte, damit sie diese Bilder bekamen (und, so wahr ihm Gott helfe, er würde dafür sorgen, daß es ein großer Scheck war, aber trotzdem), viel wichtiger als das Geld waren die Umstände, unter denen er an diese Bilder gekommen war. Mogrod war wieder da. Wie Phönix aus der Asche war er auferstanden und breitete in alter Kraft und Frische die Schwingen aus, und niemand - keiner! - würde es jetzt noch wagen, das zu bezweifeln.