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Und Mogrod wußte mit unerschütterlicher Sicherheit, daß er sterben würde, wenn die Bewegung vollendet war.

Er wollte nicht sterben. Nicht jetzt. Nicht hier. Nicht so. Nicht ausgerechnet jetzt! Er war seinem Ziel so nahe! Es war einfach nicht fair!

Der Gedanke erfüllte ihn mit jener absoluten Kraft, wie sie nur die Todesangst oder bestimmte Drogen hervorrufen konnten, die erlaubten, den Tod im Leben zu erfahren. Mit einem noch gellenderen Schrei sprang er auf die Füße, warf sich zur Seite und schlug die Türklinke herab, wobei er sich mehrere Fingernägel abbrach, so daß er blutige Spuren auf dem Holz hinterließ.

Er spürte es nicht. Er torkelte weiter, sprengte die Tür mit der Schulter auf und stolperte schreiend auf die Straße hinaus. Brandgeruch und der Gestank von heißen Maschinen lagen in der Luft. Nicht weit entfernt hämmerte ein Maschinengewehr, und aus den Fenstern des gegenüberliegenden Hauses schlugen Flammen.

Mogrod stolperte mit haltlos rudernden Armen noch zwei, drei Schritte weiter, ehe er schließlich fiel und so schmerzhaft auf das rechte Knie prallte, daß ihm die Tränen in die Augen schössen. Er ignorierte auch diesen Schmerz, sprang wieder in die Höhe und sah sich gehetzt um.

Er war nahezu im Zentrum der Kämpfe. Fast alle Häuser ringsum lagen in Trümmern oder brannten, und nur zwei oder drei Straßen weiter schien eine ganze Granatensalve einzuschlagen. Er spürte, wie der Boden unter seinen Füßen erzitterte, noch ehe er das dumpfe Grollen der Explosionen hörte und die schwarzen Rauchwolken sah, die sich in den Himmel wälzten. Er mußte hier weg!

Aber wohin? Die Truppen der Aufständischen hatten die Stadt nahezu überrannt, und der Kessel schien mittlerweile endgültig geschlossen zu sein. Für ihn bedeutete das den nahezu sicheren Tod. Er hatte diesmal auf das falsche Pferd gesetzt und sich mit seiner Berichterstattung ganz offen auf die Seite der Regierungstruppen gestellt - als es noch so aussah, als behielten sie die Oberhand. Wieder hämmerte das Maschinengewehr, und diesmal kam es ihm so vor, als wäre es merklich näher. Mogrod sah sich wild um. Er brauchte ein Versteck, irgendein Loch, in dem er sich verkriechen konnte, bis das Schlimmste vorüber war.

Er sah kein Versteck, aber dafür den Panzer.

Es war ein veraltetes Modell russischer Bauart, das rumpelnd auf seinen rostigen Ketten um die Ecke kam und sich trotz seines sichtlichen Alters mit erschreckender Schnelligkeit bewegte. Der Turm mit dem kurzen, dicken Geschütz drehte sich unentwegt von rechts nach links und wieder zurück, als suche er gierig nach einem Ziel - und richtete sich dann genau auf ihn!

Mogrod fuhr herum und rannte im Zickzack die trümmerübersäte Straße entlang. Hinter ihm heulte der Motor des Tanks auf wie ein wütendes Raubtier, und er konnte hören, wie die breiten Ketten das Straßenpflaster zerrissen. Wie schnell fuhr ein Panzer? Vierzig, fünfzig Stundenkilometer? Egal. Auf jeden Fall schneller, als er laufen konnte. Gehetzt sah Mogrod über die Schulter zurück und erkannte, daß sein Vorsprung bereits auf weniger als die Hälfte zusammengeschrumpft war.

Irgend etwas hämmerte dumpf und sehr schnell, und eine Stimme rief seinen Namen: »Herr Mogrod? Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Brauchen Sie Hilfe?«

Mogrod stolperte weiter, wich hakenschlagend einem Wagen aus, der auf vier platten Reifen am Straßenrand stand, und wartete auf das Krachen der Kanone oder eine MG-Salve, die ihn zwischen die Schulterblätter traf. Doch der Panzerfahrer hatte offenbar nicht vor, kostbare Munition zu verschwenden. Statt dessen heulte der Motor noch schriller auf, und der Hundert-Tonnen-Koloß machte einen regelrechten Satz. Er machte sich nicht die Mühe, dem Wagen auszuweichen, sondern walzte ihn einfach platt.

Wieder ertönte das Hämmern, und diesmal klang die Stimme schrilclass="underline" »Herr Mogrod! Was ist denn da drinnen nur los? Ich schlage jetzt die Tür ein, wenn Sie nicht antworten!«

Das konnte er nicht. Er brauchte jedes bißchen Atem, das er bekam, um zu rennen. Trotzdem kam der Panzer unerbittlich näher. Er brauchte ein Versteck, irgend etwas, wo er sich verkriechen und wo ihn dieser Panzer nicht erreichen konnte!

Dann sah er es. Ein Kellerloch, nur noch wenige Schritte entfernt, und hinter einer halb niedergebrochenen Wand. Der Fußboden des Hauses war eingestürzt, wohl von einer Granate oder einem schweren Trümmerstück getroffen, und der darunterliegende Keller lag gut drei Meter tiefer. Ein riskanter Sprung, aber die einzige Chance, die er vielleicht noch hatte. Der Panzerfahrer würde es nicht wagen, ihm mit seinem tonnenschweren Gefährt dorthin zu folgen, aus Angst, daß der Tank einfach durch den Boden brach.

Etwas krachte. Er hörte das Geräusch von splitterndem Holz und sah aus den Augenwinkeln, wie ein Mann aus einer Tür nicht weit entfernt heraustaumelte. Sein Gesicht kam ihm vage bekannt vor, auch wenn er im Moment nicht genau wußte, woher. Und er bewegte sich genau auf den Panzer zu. Mogrod schrie ihm eine Warnung zu, mobilisierte noch einmal alle Kräfte, die er in seinem geschundenen Körper fand, und flankte mit einem gewaltigen Satz über den Mauerrest.

Ein grausamer Schmerz spaltete sein Gesicht in zwei ungleiche Hälften. Andere, kleinere Glasscherben stachen wie Messerklingen in seine Brust und seine Hände, und obwohl er den Schmerz diesmal spürte, schien er ihm irgendwie unwirklich, als wäre es gar nicht er, der ihn erlitt. Für einen winzigen Moment schwebte er scheinbar schwerelos im Nichts, und für die gleiche, fast nicht existente Zeitspanne konnte er durch das Fenster zurücksehen, durch das er gesprungen war. Das Zimmer war vollkommen verwüstet, Möbel umgeworfen, Bilder von den Wänden gerissen, der Fernseher aus dem Regal gefallen und zerbrochen, und jemand hatte die Tür eingetreten und rannte mit wild gestikulierenden Armen auf ihn zu, wobei er unentwegt seinen Namen schrie. Hinter ihm stand der Todesengel, groß, schwarz, mit ausgebreiteten Schwingen und erhobenen Armen. Seine rechte Hand wies auf Mogrod, und die Bedeutung dieser Geste war eindeutig. Er hatte es zu Ende gebracht. Diesmal war niemand dagewesen, der an seiner Stelle starb.

Er fiel.

Seine Wohnung lag nicht im achten Stock, und so dauerte sein Sturz auch nicht so lange wie der Löbachs wenige Stunden zuvor.

10. Kapitel

Er war auf dem Weg nach Hause im Taxi eingeschlafen und erwachte mit hämmernden Kopfschmerzen und der wirren Erinnerung an einen noch wirreren Traum - er war reichlich unangenehm gewesen, an mehr erinnerte er sich nicht, und nach dem, was er in der vergangenen Nacht erlebt hatte, wollte er sich auch nicht an mehr erinnern. Mark verscheuchte den Gedanken, blinzelte ein paarmal und richtete sich dann auf dem Rücksitz des Mercedes hoch, auf dem er zusammengesunken und im Schlaf halb gegen die Tür gerutscht war.

»Wir sind da«, sagte der Taxifahrer vollkommen überflüssigerweise. Noch überflüssigererweise fügte er hinzu: »Zu Hause.«

Wahrscheinlich hatte er nur freundlich sein wollen, aber er erreichte das Gegenteil. Mark blickte einige Momente lang die in Altweiß gestrichene Villa an, die sich dreißig Meter hinter dem mannshohen Gitterzaun erhob, vor dem das Taxi angehalten hatte, und versuchte etwas im Klang dieses Wortes zu erkennen. Zu Hause... Nein - er war immer noch nicht sicher, ob dies wirklich sein Zuhause war.

Immerhin wohnte er hier.