Выбрать главу

»Wir fahren auch nicht dorthin«, antwortete Sendig. »Jedenfalls nicht gleich.«

»Aber ich dachte -«

»Der Anruf gerade?« Sendig schüttelte den Kopf. »Es ging nicht um Artner. Das habe ich schon heute morgen erfahren, bevor ich zu Ihnen gekommen bin.«

Das überraschte Bremer nicht im mindesten, aber irgend etwas sagte ihm auch, daß Sendig nicht geneigt war, ihm zu erklären, worum es denn nun gegangen war. Allmählich begann er sich zu fragen, warum er überhaupt hier war, aber er sparte es sich auch, diese Frage laut zu stellen. Vielleicht hätte er sogar eine Antwort bekommen, doch er war ziemlich sicher, daß sie ihm nicht gefallen würde. Er drehte den Kopf wieder zur anderen Seite, um aus dem Fenster zu sehen - und fuhr so erschrocken zusammen, daß Sendig um ein Haar das Steuer verrissen hätte und hart auf die Bremse trat.

Sie waren nicht mehr allein im Wagen. Jemand saß hinter ihnen.

Bremer hatte es nur im Spiegel gesehen, und auch da nur aus den Augenwinkeln: ein kaum sichtbares, dunkles Flackern; gerade noch an der Grenze des überhaupt Wahrnehmbaren - aber das war eindeutig kein Schatten gewesen.

Sendig brachte den Wagen mit einem unnötig harten Ruck zum Stehen und fragte erschrocken: »Was ist los?«

Bremer schwieg. Hinter ihnen war nichts. Sie waren allein im Wagen.

»Was ist?« fragte Sendig noch einmal. Täuschte er sich, oder hörte er jetzt deutlich einen Unterton von Häme in seiner Stimme?

»Nichts«, antwortete Bremer. Er starrte noch eine Sekunde lang reichlich verdattert die leere Bank hinter sich an, schüttelte den Kopf und sagte noch einmaclass="underline" »Es war ... nichts. Ich muß mich wohl getäuscht haben.« Hastig drehte er sich wieder herum.

Sendig blickte ihn zweifelnd an. Er sagte nichts mehr, aber Bremer konnte zur Abwechslung einmal fast seine Gedanken lesen. Es spielte keine Rolle, was sie voneinander hielten - sie beide waren Männer, von denen man nicht erwartete, daß sie sich täuschten.

»Ich dachte für einen Moment, ich hätte etwas im Spiegel gesehen«, fuhr er mit einem nervösen Lächeln fort, »aber wie gesagt: Es war wohl ein Irrtum. Vielleicht nur ein Schatten.«

Sendig antwortete auch darauf nicht, aber er nahm die Hand vom Steuer und drehte den Innenspiegel so, daß er die Rückbank betrachten konnte. Für einen kurzen Augenblick erschien ein sehr konzentrierter Ausdruck auf seinem Gesicht.

Bremer widerstand der Versuchung, ebenfalls in den Rückspiegel zu sehen. Er hatte auch nicht diesen Spiegel gemeint, sondern den Außenspiegel, und darin hatte er ganz deutlich eine Gestalt gesehen, die auf der Rückbank des Wagens saß und sie anstarrte.

So behutsam wie möglich, damit Sendig es auf keinen Fall sah, drehte er Millimeter für Millimeter den Kopf und blickte aus den Augenwinkeln erneut in den Spiegel. Er konnte den spärlichen Verkehr hinter ihnen erkennen, einen Teil der rechten Tür und die Scheibe darüber.

Und die Gestalt!

Sie war da. Ein hochgewachsener, dunkler Schemen, nicht wirklich eine Gestalt, sondern vielmehr ein Schatten, dem irgendwie der Körper abhanden gekommen war. Und es war auch nicht wirklich der Scharten eines Menschen, sondern eher eines... Nein, das war verrückt!

»Sicher nur ein Schatten«, sagte er noch einmal.

12. Kapitel

Es war derselbe Traum, und zugleich war er auch vollkommen anders. Diesmal konnte er seine Umgebung genau erkennen, und er sah, daß er sich getäuscht hatte; das, oder der Raum hatte sich verändert. Der Kerzenschein, die wenigen, wenn auch ausgesuchten Möbelstücke und der düstere Gesang der sich wiegenden Gestalten, die im Kreis am Boden hockten, hatten ihm in der ersten Vision eine Behaglichkeit verliehen, die er jetzt nicht mehr besaß. Es war ein Verlies, düster und ohne Fenster und mit gemauerten Wänden, an denen nur hier und da noch die Reste von grauem Betonputz klebten. Auf der anderen Seite war eine Tür, die er beim ersten Mal ebenfalls nicht bemerkt hatte. Und noch etwas war anders:Diesmal war er sich vom ersten Moment an darüber im klaren, daßer träumte. Nichts von alledem, was er zu sehen, was er zu hören oder was er zu fühlen glaubte, besaß irgendeine Substanz. Aber dieses Wissen half nicht. Es machte den Schrecken, mit dem ihn die Vision erfüllte, nicht weniger schlimm, sondern schien ihn im Gegenteil noch zu intensivieren, denn mit diesem Wissen ging ein anderes, schlimmeres Hand in Hand: Real oder nicht, er war in Gefahr, das spürte er deutlich.

Langsam drehte er sich im Kreis, wobei sein Blick der Bewegung vorauseilte. Er tastete über die am Boden hockenden Gestalten, die Kerzen und den Sekretär - war er das erste Mal schon dagewesen? Er wußte es nicht mehr - und suchte nach etwas Bestimmtem, von dem er im ersten Moment nicht einmal wußte, was es war, nur, daß es da war und daß es ihm angst machte.

Anders als in einem normalen Traum war er weder unbeteiligter Zuschauer noch hilfloses Opfer oder Gejagter, sondern schien über eine Art Körper zu verfügen, zumindest konnte er sich bewegen. Aber er war nicht direkt beteiligt: Der Kreis der sich wiegenden, an den Händen haltenden Gestalten am Boden war noch immer da, doch diesmal sah ihn niemand an, keine Hände streckten sich ihm entgegen, um ihn festzuhalten, kein Gesicht zerfiel zu einer Zombiegrimasse, die ihn aus leeren Augenhöhlen anstarrte. Die Luft roch schlecht und scharf, und von irgendwoher kam ein rhythmischer, stampfender Laut, fast wie das Schlagen eines gewaltigen eisernen Herzens.

Vielleicht war es das ja, dachte Mark: das steinerne Herz eines steinernen Riesen, in dessen Adern der Wahnsinn pulsierte und dessen Gedanken geronnene Furcht waren. Im Wachen hätte er über diese Vorstellung gelächelt, aber jetzt gab sie seiner Furcht neue Nahrung. Er wußte natürlich noch immer, daß er träumte, aber zugleich wußte er auch noch immer mit unerschütterlicher Sicherheit, daß er in Gefahr war. Real oder nicht, was ihn hier bedrohte, war echt. Er war in einem Bereich des Seins gestrandet, der irgendwo zwischen Tod und Leben lag, und der Weg hinaus fährte in beide Richtungen: und in beide vielleicht gleich schnell und endgültig.

Wieder sah er die Tür an. Es war eine typische Alptraumtür: Ihre Proportionen stimmten nicht. Sie war zu niedrig, dafür zu breit, und bestand aus massivem Eisen, das irgendwann einmal einen Schutzlack gehabt hatte, nun aber gleichsam gehäutet war; Rost hatte das Metall zerfressen, es zu einer braunen Masse gemacht, die an verklumptes Blut erinnerte, wo sie nicht von schwärenden Beulen übersät war. Es gab kein Schloß, nur eine ausgefranste Wunde mit schwarzen Rändern, vielleicht die Spuren eines Schneidbrenners, mit dem diese Tür einmal gewaltsam geöffnet worden war. Durch diese Bresche in der stählernen Wand schimmerte Licht, das nicht heller, aber doch irgendwie anders war als das hier im Raum.

Was bedeutete dieser Traum? Mark hatte immer noch Angst - sein Herz hämmerte, und obwohl er seine Hände nicht sehen konnte, spürte er, daß sie zitterten und feucht vor Schweiß waren -, aber nun, wo er sich keiner direkten Gefahr ausgesetzt sah, hatte sie sich ein Stück zurückgezogen, nicht ganz und auch nicht auf Dauer, sondern wie eine gißige Spinne, die zurück ins Zentrum ihres Netzes gekrochen war und dort reglos auf ihre Beute lauerte. Er war sich ihrer Nähe sehr bewußt, trotzdem begann er allmählich so etwas wie Neugier zu empfinden.

Was bedeutete dieser Traum? Warum war er hier?

Er war sicher, keine der Gestalten am Boden zu kennen, diesen Raum niemals wirklich gesehen, dieses unheimliche Geschehen niemals wirklich erlebt zu haben; weder in dieser noch in irgendeiner anderen Form. Und trotzdem hatte er ein Gefühl der Vertrautheit, das mit jedem Moment stärker wurde.

Langsam begann er sich durch den Raum zu bewegen, wobei er sich erneut und mit wachsendem Interesse umsah. Es war tatsächlich eine Art Verlies, vielleicht ein sehr alter Keller, dem jemand mit ein paar Teppichen und Möbelstücken ohne viel Erfolg einen Anstrich von Wohnlichkeit zu verleihen versucht hatte. An den Wänden hingen Poster, und unter der Decke befanden sich zwei überlange Neonröhren. Ihr Licht wurde von dem der unzähligen Kerzen überstrahlt, sorgte aber trotzdem für den größten Teil der Helligkeit hier unten.