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»Was zum Teufel hast du getan?!«

Mark ignorierte den schneidenden Ton in der Stimme seines Vaters ebenso wie dessen verwirrte Gesten. Sie waren beide nahezu gleichzeitig neben Marianne niedergekniet, aber sie schienen auch beide gleich hilflos. Mark streckte die Hände nach Marianne aus, aber er wagte es nicht, sie zu berühren. Seine Gedanken überschlugen sich. Marianne rührte sich nicht. Er konnte nicht sehen, daß sie atmete, und für einen Moment war er felsenfest davon überzeugt, sie getötet zu haben. Seine rechte Hand schmerzte immer heftiger. Er mußte in seinem panischen Kampf gegen den Todesengel mit aller Gewalt zugeschlagen haben. Er hatte sie umgebracht.

»Was ist denn nur passiert?« fragte sein Vater. Er klang jetzt nur noch erschrocken, nicht mehr zornig und fordernd, und obwohl ihm selbst der Gedanke in dieser Situation geradezu grotesk erschien, begriff Mark vielleicht zum ersten Mal wirklich, daß die herrische Art seines Vaters vielleicht nicht mehr als eine Maske war; eine Gewohnheit, die ihm so sehr in Fleisch und Blut übergegangen war, daß er sie schon gar nicht mehr abstreifen konnte, geschweige denn wollte. Aber er war gar nicht so. Nicht wirklich. Vielleicht war er nicht einmal annähernd so stark, wie Mark bisher geglaubt hatte.

»Ich weiß es nicht«, stammelte er. »Es tut mir leid. Ich wollte das nicht. Es ist...«

Marianne bewegte stöhnend die Hände und versuchte den Kopf zu heben. Ihre Bewegungen waren unsicher und nicht richtig koordiniert, so daß Mark rasch ihre Hand ergriff und festhielt, damit sie sich nicht selbst verletzte.

»Marianne!« sagte er. »Können Sie mich verstehen? Was ist mit Ihnen? Sind Sie in Ordnung?«

Natürlich war sie es nicht. Sie hatte jetzt zwar die Augen geöffnet, schien ihn aber im ersten Moment gar nicht wahrzunehmen; zumindest war in ihrem Blick kein Erkennen. Mark sah, daß die linke Seite ihres Gesichtes bereits anzuschwellen begann.

»Es tut mir so leid«, murmelte er. »Bitte, da... das wollte ich nicht. Ich wußte nicht -«

»Was?« Der schneidende Ton war wieder da, und diesmal war er nicht gespielt. Mark sah nur flüchtig auf, aber schon dieser kurze Blick ins Gesicht seines Vaters reichte, ihn alles wieder streichen zu lassen, was er gerade über ihn gedacht hatte. Möglicherweise war seine Härte ja tatsächlich nur aufgesetzt - aber wenn, dann so perfekt, daß es keinen Unterschied machte.

»Was... was ist passiert?« murmelte Marianne. Sie versuchte sich aufzusetzen, und Mark gewann einige kostbare Sekunden damit, ihr dabei zu helfen und sie zu stützen.

»Es tut mir leid«, sagte er noch einmal. »Ich wollte das nicht, Marianne. Ich glaube, ich...«

»Ich glaube«, unterbrach ihn sein Vater, »daß du uns eine Menge zu erklären hast, mein lieber Junge. Warst du das?«

»Er hat es nicht absichtlich getan«, sagte Marianne leise. »Bitte, Herr Sillmann - regen Sie sich nicht auf. Es war ein Unfall. Mark kann nichts dafür.«

Mark verspürte ein kurzes, heftiges Aufwallen von Dankbarkeit. Marianne war noch immer benommen. Selbst durch den dicken Stoff ihres Kleides hindurch konnte er spüren, daß sie am ganzen Leib zitterte, und mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit wußte sie gar nicht, was passiert war. Trotzdem versuchte sie ihn in Schutz zu nehmen. Aber dieser Gedanke weckte auch seinen Trotz - und den Zorn auf seinen Vater, den er nicht umsonst monatelang sorgsam kultiviert hatte. Plötzlich begriff er wieder, daß es einen Grund dafür gab.

»Doch, ich kann etwas dafür«, sagte er. »Es war meine Schuld. Aber darüber reden wir später. Jetzt legen Sie sich erst einmal aufs Bett, und ich rufe Ihnen einen Arzt.«

»Nein!« Marianne klang fast entsetzt. »Keinen Arzt. Mir fehlt nichts.«

»Das zu beurteilen, überlassen Sie bitte Doktor Petri«, sagte Marks Vater. »Mark hat vollkommen recht. Wir rufen einen Arzt und klären hinterher, was überhaupt passiert ist.«

Das klang vernünftig - aber zugleich auch nicht besonders überzeugend. Mark mußte seinen Vater nicht einmal ansehen, um zu spüren, daß diese Worte nur rhetorisch gemeint waren. Vermutlich, dachte er wütend, arbeitete es hinter der Stirn seines Vaters schon wieder auf die gewohnte Art: Der Arzt würde Fragen stellen, und selbst wenn nicht, würde er sich seinen Teil denken. Die Leute könnten reden. Gut.

Mit einer fast zornigen Bewegung half er Marianne, sich auf das Bett zu legen, dann richtete er sich auf und deutete zur Tür. »Ich ruf jetzt den Arzt an. Und Sie rühren sich nicht, klar?«

»Bitte nicht«, sagte Marianne. »Mir fehlt nichts. Ein paar Minuten Ruhe und ein kalter Umschlag, und alles ist wieder in Ordnung.«

Mark machte sich nicht einmal die Mühe, zu antworten. Er sah sie nur an. Ihr linkes Auge schwoll so schnell zu, daß man dabei zusehen konnte. In spätestens einer Stunde würde sie Mühe haben, zu reden. Wortlos drehte er sich um, verließ das Zimmer und ging zum Telefon in der Diele, um den Arzt anzurufen. Er hätte es ebensogut vom Anschluß in seinem Zimmer aus tun können, aber das hätte bedeutet, länger in der Nähe seines Vaters zu bleiben, und aus irgendeinem Grund ertrug er den Gedanken im Moment einfach nicht. Es gab überhaupt keinen vernünftigen Anlaß dazu, aber in diesem Augenblick machte er nicht sich, sondern ihn für alles verantwortlich, was geschehen war. Dies war sein Haus, und es war der böse Geist seines Vaters, der es beherrschte.

Er fand die Nummer des Arztes auf der ersten Seite im Telefonbuch, aber er zögerte plötzlich, sie zu wählen. Er hatte nur flüchtige Erinnerungen an Dr. Petri, einen ältlichen, auf den ersten Blick netten Mann, der beinahe ebenso lange zu diesem Haushalt gehörte wie Marianne und sehr viel länger als er selbst. Mark war als Kind selten krank gewesen und hatte somit wenig Kontakt mit ihm gehabt. Trotzdem hatte er keine guten Erinnerungen an ihn. Dr. Petri war der Mann, der seine Mutter in die Klinik eingewiesen hatte.

Aber das spielte im Moment keine Rolle. Er war ein sehr guter Arzt, und das allein zählte. Außerdem würde er wahrscheinlich sehr schnell hier sein. Seine Praxis befand sich nur zwei Straßen entfernt. Mark wählte seine Nummer, wartete ungeduldig, bis sich die Sprechstundenhilfe meldete, und bat mit knappen Worten um einen Besuch. Wieder ein winziges Detail, das zeigte, welchen Einfluß sein Vater besaß: Die junge Frauenstimme am Telefon fragte nicht, was geschehen war, sondern antwortete nur, daß Dr. Petri in spätestens zehn Minuten kommen würde. Marks Zorn auf seinen Vater stieg.

Aus diesem Grund ging er auch nicht in sein Zimmer zurück, sondern wartete in der Halle, bis der Arzt kam - was tatsächlich nicht einmal zehn Minuten dauerte. Petri schien alles stehen- und liegengelassen zu haben, um zu seinem wichtigsten Patienten zu eilen.

Auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck maßloser Überraschung, als er Mark erkannte, aber gleich darauf auch ein Lächeln, das so ehrlich war, daß Mark sich seiner eigenen Gedanken von vorhin fast schämte. Er begegnete in letzter Zeit sehr selten Menschen, die sich freuten, ihn zu sehen. Zu selten, als daß er es sich leisten konnte, ungerecht zu sein.

»Mark!« sagte Petri. »Sie sind zu Hause? Das ist ja eine Überraschung. Sind denn schon wieder Ferien?«

Mark trat zurück und öffnete in der gleichen Bewegung weiter die Tür. »Nein«, antwortete er. »Ich bin nur... zu einem kurzen Besuch.«

»Das ist schön«, sagte Petri und trat ein. Mark hatte ihn als alten, sehr schlanken Mann in Erinnerung, aber in beiden Punkten hatte er sich getäuscht Er war nicht annähernd so alt, wie er geglaubt hatte, dafür aber so dürr, daß selbst der teure Maßanzug, den er trug, um seine Gestalt zu schlottern schien. Die Arzttasche in seiner rechten Hand schien viel zu schwer für einen Mann seiner Statur.

»Wie lang haben wir uns nicht mehr gesehen? Drei Jahre? Vier?«