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Bremer ertappte sich dabei, ganz instinktiv die Wände abzusuchen, aber so weit ging die Parallele nun doch nicht. Es gab keine Blutschrift, nur eine Reihe fettiger Schmutzflecke und fünf oder sechs großformatige Schwarzweißfotos, die, in schlichte Glasrahmen gefaßt, neben der Tür hingen.

Als Bremer sie betrachtete, begann er ein bißchen besser zu verstehen, was Sendig vorhin gemeint haben mochte, als er über Mogrod sprach. Sie zeigten unterschiedliche Motive, hatten aber allesamt das gleiche Thema. Auf einem war ein offensichtlich totes Kind zu sehen, das im Schlamm lag und von Ratten angefressen worden war, auf einem anderen ein brennendes Haus, aus dem Menschen stürmten. Zwei davon brannten ebenfalls. Ein drittes Bild zeigte eine Luftaufnahme einer Massenkarambolage auf der Autobahn - und so weiter. Bremer verspürte ein kurzes, heftiges Frösteln. Er verstand zuwenig vom Fotografieren, um zu sagen, ob diese Bilder nun gut oder schlecht waren - wahrscheinlich waren sie gut -, aber er fragte sich, was für ein Mensch sich solche Fotografien in sein Wohnzimmer hängte.

»Hübsch, nicht?«

Bremer fuhr unmerklich zusammen, wandte den Kopf und blickte ins Gesicht eines jungen Polizeibeamten. Er sah ihm nicht einmal ähnlich, aber er erinnerte ihn an Hansen, und offensichtlich spiegelten sich seine Gefühle sehr deutlich auf seinem Gesicht wieder, denn der andere wirkte plötzlich regelrecht erschrocken.

»Finden Sie?« fragte Bremer.

»Das... war natürlich nicht ernst gemeint«, versicherte der junge Beamte hastig. Er versuchte, sich in ein verlegenes Lächeln zu retten, das seine Unsicherheit aber eher noch unterstrich. »Der... der Kerl muß einen ganz schönen Sprung in der Schüssel gehabt haben, schätze ich. Wie kann man sich nur so etwas an die Wand hängen. Da unten liegt noch mehr von dem Zeug.«

Er deutete auf eine Anzahl zerborstener Glasrahmen, deren Scherben rings um die Tür herum auf dem Boden verstreut lagen. Bremer hatte eigentlich schon vom Anblick der Bilder an der Wand genug, ging aber trotzdem in die Knie, um einige der Fotos zu begutachten. Es war eine getreuliche Fortsetzung der Horrorgalerie, die neben der Tür hing, und mindestens eines davon war noch schlimmer: Es zeigte eine junge Frau, die vor einem Panzer davonlief.

Bremers Hände begannen ganz leicht zu zittern, während er das Foto betrachtete. Irgend etwas daran... erschreckte ihn. Dieses Foto war gut, das erkannte selbst er, aber es strahlte neben der ungeheuren Dramatik des Motives an sich noch etwas aus, das gar nicht wirklich sichtbar war, aber spürbar da. Vielleicht lag es einfach an dem Winkel, in dem es aus dem zerbrochenen Rahmen herausgerutscht und im unteren Drittel geknickt war, vielleicht hatte der Fotograf - Bremer wußte einfach, daß es Mogrod selbst gewesen war - auch einen besonderen Trick angewandt, aber gleich, warum: Das Bild besaß eine enorme Dynamik. Es gehörte nicht mehr sehr viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, daß der Panzer im nächsten Augenblick zum Leben erwachen und klirrend aus dem Bild herausrumpeln würde.

»Das muß die Kiste sein, die hier alles kurz und klein gewalzt hat«, sagte der junge Polizeibeamte. Bremer sah hoch, blickte ihn gerade lange genug an, um sein linkisches Lächeln vollends zum Erlöschen zu bringen, und richtete sich dann mit einer ruckhaften Bewegung wieder auf. Sein Fuß stieß gegen eine Glasscherbe. Das Klirren hörte sich an wie das Rasseln ferner Panzerketten.

»Ja«, sagte er. »Es sieht wirklich so aus. Was ist hier eigentlich passiert?« Er machte eine fragende Handbewegung. »Ist es sicher, daß es Selbstmord war?«

»Scheint so«, antwortete der andere. Er wirkte jetzt sehr nervös, aber auch ein bißchen angespannt. Er sah Bremer nicht an, während er antwortete, sondern betrachtete scheinbar interessiert die Bilder hinter ihm. »Jedenfalls gibt es einen Zeugen, der gesehen hat, wie er gesprungen ist. Sagt er wenigstens. Wenn er die Wahrheit sagt, dann hat er Schreie und Lärm gehört und ist hochgerannt, um nach dem Rechten zu sehen. Schließlich hat er die Tür eingeschlagen - gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie sich dieser Fotograf durch das geschlossene Fenster stürzt.«

Er zuckte mit den Schultern und maß Bremer mit einem fragenden Blick. »Ich habe nicht alles mitbekommen, aber ich glaube, es sieht nicht nach Fremdeinwirkung aus. Sie?«

»Ich?« Bremer schüttelte den Kopf. »Woher soll ich das wissen. Ich bin gerade erst gekommen.«

»Na ja, aber ich meine... wenn sich der große Boß selbst um eine Sache kümmert...«

So viel zu deiner Theorie, daß niemand dumme Fragen stellt, dachte Bremer schadenfroh. Aber er ließ sich nichts von seinen wahren Gefühlen anmerken, sondern schüttelte nur wieder den Kopf und sagte: »Ich habe keine Ahnung, was wir hier tun. Vielleicht kannte er ihn ja persönlich. Er hat einen Fahrer gesucht, und ich hatte einfach das Pech, gerade im Weg herumzustehen. Sieht nach ein paar unbezahlten Überstunden aus«, fügte er noch hinzu.

Seine Worte schienen immerhin überzeugend genug zu klingen, um die Neugier des anderen zu befriedigen, wenigstens für den Moment. Bremer gab ihm auch keine Gelegenheit, weitere Fragen zu stellen, sondern ließ ihn stehen und schlenderte ziellos durch die Wohnung, soweit dies in der hier herrschenden Enge überhaupt möglich war. Sendig stand neben dem zerbrochenen Fenster und redete abwechselnd mit zwei Kriminalbeamten und einem heruntergekommenen dürren Kerl, dem das schlechte Gewissen regelrecht ins Gesicht gebrannt war und der so sehr in diese Umgebung paßte, als wäre dieses Haus eigens für ihn gebaut worden - und zwar in dem Zustand, in dem es sich jetzt befand. Das mußte der Zeuge sein, von dem der junge Beamte gesprochen hatte. Bremer fand nicht, daß er sehr vertrauenerweckend aussah. Oder gar glaubhaft.

Er beendete seine ohnehin eher ziellose Inspektion der Wohnung in einem winzigen Verschlag unter der Dachschräge, den er von außen für eine Abstellkammer gehalten hatte. Als er die Tür öffnete, erlebte er eine Überraschung - der Raum war zwar winzig, entpuppte sich aber als komplett eingerichtete Dunkelkammer. Unter der Decke brannte eine einzelne rote Lampe, in deren trübem Schein er im allerersten Moment nur Umrisse erkannte. Aber immerhin sah er, daß auch hier ein ziemliches Chaos herrschte. Mogrod hatte auch hier ganze Arbeit geleistet. Fotoschalen und Flaschen waren vom Tisch gerissen worden, der Belichter umgeworfen und Glas zerbrochen. Ein scharfer Chemikaliengeruch stieg ihm in die Nase, und auf dem Boden glänzte eine ölige Pfütze: Wasser, Entwickler und Fixierflüssigkeit, die ineinandergelaufen waren und in denen großformatiges Fotopapier schwamm, das im tiefsten Schwarz glänzte, das man sich nur vorstellen konnte.

Bremers Augen weiteten sich erstaunt, als sein Blick auf die Bilder fiel, die an die Wand neben der Tür geheftet waren. Selbst in dem schwachen Licht, das hier drinnen herrschte, erkannte er sofort, was sie zeigten: Löbachs zerschmetterten Leichnam, den Menschenauflauf vor seinem Haus, den Krankenwagen - und auf einem Bild ihn selbst und einen schreckensbleichen Hansen, der zumindest auf dieser Fotografie nicht sehr viel lebendiger aussah als Löbach, und schließlich sogar eine Aufnahme von Sendig, wie er gerade aus dem Wagen stieg.

Aber das war nur die Hälfte der Fotos. Die andere Hälfte zeigte Löbachs Apartment. Wie immer er es auch fertiggebracht hatte - irgendwie war es dem Journalisten gelungen, in die strengbewachte Wohnung einzudringen und einen ganzen Film zu verschießen.

Ganz plötzlich verlor für Bremer die Theorie von Mogrods Selbstmord sehr viel von ihrer Glaubhaftigkeit. Für diese Bilder hätte jedes Revolverblatt in der Stadt eine fünfstellige Summe bezahlt - eine Menge Geld, vor allem für jemanden, der in einem solchen Loch hauste. Warum zum Teufel sollte er sich umbringen, mit einem solchen Kapital?

Bremer fuhr herum, beugte sich halb aus der Tür und versuchte mit heftigem Gestikulieren Sendigs Aufmerksamkeit zu erregen. Die einzige Reaktion bestand jedoch aus einem ärgerlichen Blick eines der Männer von der Spurensicherung, der ihn lautstark anfuhr: »He, was tun Sie dort drinnen? Da sind wir noch nicht fertig!«